Hoch die Segel!

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    • Hoch die Segel!

      470 Silberstücke. Arri schob die Münzen vom Tisch wieder in den Beutel und friemelte diesen dann wieder in sein Versteck hinein.

      470 Silberstücke waren nichts.

      Sie hatte die zukünftige Ehefrau eines Kaufmanns von Calpheon nach Heidel begleitet, war auf dem Rückweg in Gesellschaft eines völlig verstörten Kindes und seiner zwei noch anstrengender Erzieherinnen gereist, die alle sie zu einem Hof nahe Calpheon geleiten musste und hatte dann noch einen von Münzen schweren Beutel von einem ziemlich undurchsichtigen Mann zu einem Versteck bringen müssen.

      470 Silberstücke.

      'Du hättest dir das ein oder andere Bier sparen können.'

      Hätte sie.

      'Warum bist du immer so ungeduldig?'

      Sie spielte mit dem Dolch, der noch vor ihr auf dem Tisch lag, nach dem sie ihn vorhin aus dem Gürtel gezogen und auf die massive Holzplatte gedonnert hatte.

      'Weil ich so bin.'

      Das war zwar nur ein Teil der Wahrheit, aber dennoch aufrichtig. Immer war sie ungeduldig gewesen, immer auch aufbrausend, heißen Herzens, fröhlich, optimistisch, draufgängerisch – ein gleißender Sonnenschein an einem trüben Tag. Hatte mal ein Blödmann gesagt, der um sie hatte freien wollen.

      „Du bist mehr Junge als ich“, hatte ihr nächstälterer Bruder vor einigen Jahren einmal zu ihr gesagt. Er hatte nicht traurig, aber ein wenig verstört geklungen. Sie hatte ihn vor die Brust gestoßen und eine wilde Keilerei angefangen, die sie verloren hatte.

      'Ich will kein Junge sein.' So oft hatte sie ihre drei Brüder nackt gesehen, so, wie diese auch sie; hatte das baumelnde Etwas zwischen ihren Beinen argwöhnisch gemustert und gedacht: 'Deswegen dürfen sie tun, was immer sie tun. Ich will das gar nicht haben.' Sie mochte ihren Körper, die Rundungen, das Weiche, scheinbar Nachgiebige, mochte eigentlich alles daran. 'Aber ich will tun können, was sie tun dürfen.' Irgendwann hatte sie ihre Mutter gefragt, warum es offenbar so merkwürdig war, dass sie gern Hosen trug und besser als viele Jungen kämpfen konnte. Warum denn ihre Brüder mehr wert waren als sie.

      „Meine Süße“, hatte ihre Mutter geantwortet. „Das sind sie nicht. Du bist mir genauso viel wert. Mädchen gehen ihren Weg besser allein.“

      Arri war älter geworden und hatte sich ihren Weg gesucht. Seit zwei Jahren ging sie ihn nun allein, und es war ihr gut gegangen. Bis sie immer deutlicher gespürt hatte, dass sie sich in mehr als einer Hinsicht von den meisten Frauen unterschied.

      Es war heute nicht die erste Begegnung gewesen, bei der Arri festgestellt hatte, dass Frauen gern mit ihr gemeinsam schwärmten. Allerdings schwärmten sie von Männern.

      Arvarya hatte sich von Beginn an nur in Frauen verliebt.
      "How very fitting that they would build a prison for mages in the middle of a lake and make it look like a giant phallus." (Morrigan)

      „Man kann keine neuen Ozeane entdecken, hat man nicht den Mut, die Küste aus den Augen zu verlieren.“
      (André Gide)

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    • Immerhin, 120 Silberstücke mehr. Nach nur einigen Tagen wenn auch harter Arbeit. Das machte nun 590 Silberstücke. Naja, vielleicht auch nur 584, wenn sie sich heute Abend zwei oder drei Bier gönnen würde.

      Ein wenig unschlüssig saß Arri auf der Brückenmauer und ließ ihre Beine herunter baumeln. Eigentlich war sie müde, aber gerade heute Morgen schien die Sonne von einem stahlblauen Himmel und in Calpheon war viel los. Gelegentlich saß sie gern einfach am Rand und beobachtete die Leute, dachte sich aus, wer sie waren und was sie gerade taten, was sie mochten, was sie hassten und wovor sie sich fürchteten.

      Der dicke Mann da, in den seidenen Hosen, mochte bestimmt Schweinshaxe und dickes Bier, dafür würde er eingelegtes Gemüse hassen und bestimmt nicht gern reiten. Vermutlich hasste er auch Wasser, ob zum Trinken oder zum Baden oder gar zum Seg-

      Sie verlor den Mann, der Umstände und Gemüse hasste, sofort aus dem Gedächtnis, als eine Frau mit hellem Haar an ihr vorüber ging. Sie trug es lang über die Schultern. Im Sonnenlicht glänzte es wie Silber. Nur kurz sah Arri das Gesicht der Vorübergehenden: Sie sah weiße Haut, eine ganz leicht gebogene Nase, Augen, die hellgrün oder vielleicht hellblau waren, einen entschlossenen Mund, dessen Lippen dennoch so weich schienen. Ganz dicht kam die Unbekannte an ihr vorbei, schon war sie vorüber. Sprachlos sah Arri ihr nach. Erst, als nichts mehr von ihr zu sehen war, sprang sie von der Mauer hinab.

      Sie fühlte sich wütend. Ungeduldig. Allein. 'Die erste Zeit, nachdem ich von Zuhause weg gegangen bin, hat es mich glücklich gemacht, allein zu sein', erinnerte sie sich selbst. 'Ich war so froh, tun und lassen zu können, was ich wollte.' Aber jetzt war es immer öfter anders. Wenn sie nicht arbeitete oder kämpfte, dann begann sie, sich heftig zu sehnen. Wenn auch eher nicht nach ihrer Familie.

      'Ich brauche einfach Beschäftigung. Heute Abend versuche ich, in der Taverne neue Auftraggeber zu finden. Es muss alles schneller gehen. Ich muss endlich fort von hier.'
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    • 'Nett. Neliko ist nett. Yvea auch.' Arris Füße schlabberten über den hellen Stein von Calpheons Straßen. 'Und diese Frau mit den schwarzen Haaren ist...' Sie grinste in sich hinein und stolperte mit dem rechten über den linken Stiefel. Beinahe wäre sie hingefallen, doch sie konnte sich fangen, indem sie sich auf die Brückenmauer stützte.

      Für einen Moment war sie fast nüchtern. 'Ich hab mich ziemlich zum Narren gemacht', wurde ihr klar. Sie erinnerte sich. Der Blick der Schwarzhaarigen. Yveas Antwort auf ihr reuiges Geständnis. Nelikos „Dann schafft Ihr es auch, bestimmt. Ihr wirkt stark und ich glaube an Euch.“ Wütend kickte sie einen Stein beiseite. Sein helles Tickern schallte unter den dunklen Fenstern her. „Verdammt, Arri. Mach nicht so einen Wind um nichts!“ Erst, als ihr die hohle Gasse das Echo entgegen warf, wurde ihr klar, dass sie das laut gesagt hatte. Mit gesenktem Haupt ging sie hastig weiter, plötzlich wieder gerader, zielgerichteter, aufrechter.

      Zehn Silber für... Nichts? Nein, das auch nicht. Irgendwie war dieses Besäufnis wichtig gewesen, überlegte sie, während sie wieder über ihre Füße stolperte, diesmal vielleicht eher, weil sie so müde war. 'Ich lasse manches nicht zu, nur dann, wenn ich betrunken bin', überlegte sie. 'Das ist eine Schwäche, aber eine, aus der ich lernen kann.'

      Grunzend sank sie zuhause auf ihr Bett, schleuderte die Stiefel von sich, als sie die Riemen gelöst hatte und schloss die Augen. 'Zumindest habe ich Yvea gesagt, dass sie für mich werben soll. Wer weiß, wenn ich das nächste Mal ins Lys gehe, wartet vielleicht eine Nachricht auf mich. Und wenn ich Neliko wieder treffe, freue ich mich. Und die Schwarzhaarige...' Dann fiel ihr wieder die Frau mit dem silbernen Haar ein.

      'Ich glaub, ich bin noch ziemlich jung', dachte sie, seufzte, drehte sich zur Seite und schlief ein.
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    • Vier Wochen später.

      Grinsend sprang Arri an Bord des Fischerboots. „He, Andrasch“, rief sie. „Ich bin wieder da!“ Von vorne, vom Bug her, hörte sie die gekrächzte Antwort. „Dann komm schon, Landratte! Hier sind Netze zu flicken!“

      Dem alten Fischer war sie aufgefallen, als sie zum zweiten Mal innerhalb eines kürzeren Zeitraums lange am Kai von Epheriaport herum gelungert hatte. „Is' ja nicht mit anzusehen, dein sehnsüchtiger Blick“, hatte er ihr von den Planken seines Schiffs aus zugeraunzt. „Schlimmer als so 'ne kleine Katze is' das.“

      Er hatte sie an Bord kommen lassen und begonnen, ihr das Schiff zu zeigen und zu erklären. „Das hier is' der Baum, da unter'm Segel. Stehste besser nich' im Weg, bei 'ner Wende. Der schlägt dann nämlich um, der Baum, or'ntlich schnell, von Backbord nach Steuerbord.“

      Sechs Mal war sie nun schon da gewesen, immer, wenn sie Zeit fand: Sie hatte mit ihm das Boot gesäubert, das Segel geflickt, die Netze entwirrt und gereinigt. Und sie waren hinaus gefahren aus dem Hafen, auf die offene See; Arri hatte wie verzaubert neben Andrasch gestanden, den Wind gefühlt und das Salz auf den Lippen geschmeckt und die Sonne in der unendlichen Weite des Meeres versinken sehen. Vom ersten Moment an hatte sie gewusst, dass das ihre Bestimmung war. Der Grund dafür, dass sie lebte. Ihr Ziel und ihre Heimat.

      „Na, Kerlchen?“, begrüßte sie Andrasch auch heute. So hatte er sich angewöhnt, sie zu nennen. Er saß auf einer Taurolle und hatte ein Fischernetz zwischen seinen knotigen Fingern. Seine Haut war braun gebrannt und voller tiefer Falten. Zufrieden ließ sich Arri neben ihm nieder und nahm sich ein anderes Netz vor. Kräftiger Wind blies durch ihr Haar und die Sonne ließ das Wasser azur leuchten. Über ihr kreiste eine Möwe, die sich einen Happen versprach und gierig schrie.

      'Es war das Beste, was ich je getan habe, zu Andrasch auf das Boot zu steigen. Und vielleicht verkauft er es mir ja einmal, wenn ich genug gespart habe und er zu alt ist, allein hinaus zu fahren.'
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    • „Uuaaah.“ Es war nicht zum Aushalten, so schlecht war ihr. Als sie das erste Mal aufgestanden war, noch früh, die Sonne war noch nicht aufgegangen, hatte sie sich übergeben müssen. Glücklicherweise stand in ihrem Zimmer noch ein kleiner Kessel herum, den sie von zu Hause mitgenommen hatte; sonst hätte sie wohl den Boden voll gekotzt.

      Mühsam bewegte sich Arri in Richtung des kleinen Tischchens. Darauf stand eine große Karaffe mit Wasser, die sie erst einmal direkt an den Hals setzte. Fast die Hälfte des Inhalts verschwand ohne zu zögern in ihrem Inneren. 'Hab ich schon jemals so einen Durst gehabt?' Stöhnend setzte sie das Gefäß ab und wischte sich mit dem Ärmel ihres Hemdes über den Mund. 'Uh. Ich stinke.'

      Der Abend war einfach zu heftig gewesen. Erst die Schmerzen im Hintern, vom vielen Reiten, dann diese Irrsinnige, die nun noch ein angebliches Crew-Mitglied aufgetan hatte, und dann noch Aegaria und ihre Geschichte. Arri berührte die seltsam unbeteiligte Emotionalität, die Aegaria ihr gegenüber an den Tag legte, sie machte sie aber auch mehr als unsicher. Und traurig.

      Wackelig ging sie wieder zu dem Bett, neben dem das blaue Tuch, die (mittlerweile leere) Rumflasche und das Flaschenschiff lagen. Nachdenklich ließ sie das Tuch durch die Finger wandern. Und wenn es nun wirklich so war? Wenn sie schon einmal gelebt hätte, als Rum trinkende Steuerfrau auf dem seltsamen Schiff einer verrückten Kapitänin? Plötzlich sah sie sich selbst, das Tuch verwegen um den Kopf gewickelt, breit grinsend in einem unendlichen Meer das Steuer haltend, egal, welche Böen es schaukeln mochten. „Arri“, schalt sie sich selbst laut.

      „Ein Meer kann nicht unendlich sein. Es gibt immer einen Hafen.“
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    • Viel Glück mit der Seefahrt.“ Wieder und wieder hörte Arri den Satz, als sie sich nach Hause bewegte. Ausgerechnet Julianna hatte ihn gesagt; eine Angehörige der Wache, mit der sie vor einiger Zeit heftig aneinander geraten war. Und zwar, wie sich heute heraus gestellt hatte, weil sie beide hatten Aegaria schützen wollen. „Verrückt“, murmelte Arri und stiefelte die Treppe hoch.

      In ihrem Zimmer angekommen, zerrte sie beide Stiefel von den Füßen. Aegaria hatte es scheinbar zugesetzt, dass Julianna und sie gestritten hatten. „Bitte nicht streiten“, hatte sie gebeten, und Arri hatte die sehr unfreundliche Bemerkung herunter geschluckt, die sie Julianna hatte um die Ohren schleudern wollen. Und schließlich hatten sie sich vertragen, und ausgerechnet Julianna schien erkannt zu haben, wie sehr sich Arri nach der See sehnte. 'Die See!'

      Dann war noch Aurora gekommen, die junge Frau, ebenfalls bei der Wache, mit dieser so intensiven Ausstrahlung und der wunderbaren Stimme. Und diesem Lächeln! Seufzend ließ sich Arri auf ihr Bett fallen. Leider war es nicht dazu gekommen, dass sie ihr Schwimmunterricht geben konnte. „Rekrutin Aurora, die freundlichste Wache der Stadt“, hörte sie Aegaria wieder sagen.

      Oh, ja.
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    • 'Diesmal ist es noch schlimmer.' Noch im Bett wurde es Arri klar. Ihr war fürchterlich übel und sie musste sich festhalten, als sie aufstand. Schwankend verharrte sie für einen Moment vor ihrem Bett. Für einen Augenblick sah sie ihre Mutter vor sich stehen und sie mit ernstem Gesicht mustern. „Süße, warum trinkst du so viel Bier?“ 'Weil es Spaß macht', wollte sie antworten, doch dann wurde ihr bewusst, wie lächerlich das war: Spaß machte ihr an diesem Morgen gar nichts mehr.

      Sie ging zur Waschschüssel und schüttete sich einige Handvoll des Wassers ins Gesicht. Leider war es lauwarm und nicht wirklich erfrischend. 'Was habe ich gestern getan?', ging es ihr durch den Kopf. Sie konnte sich nicht erinnern! Doch... Moment. Da war wieder die Käpt'n gewesen... Sie hatte erzählt, sie und Arri seien Geliebte gewesen, in anderen Leben. 'Liebe Güte.'

      Ach, und dann war da noch diese merkwürdige Frau gewesen, deren Zettel sie gefunden hatte. Die war entschieden unheimlich, fand sie. Was hatte da noch einmal darauf gestanden? Auch daran erinnerte sie sich nicht... Und dann war sie nach Hause ge-

      Plötzlich sackte Arvarya auf das Bett. 'Oh, nein!' Nun erinnerte sie sich: Sie war keineswegs direkt nach Hause gegangen, sondern wie eine Fünfjährige anbetend bei Aurora stehen geblieben, die an diesem Abend Wachdienst versah. 'Oh, bei allen guten Geistern, bitte nicht!' Die Käpt'n war dabei gewesen, und noch jemand... Ja, Neliko. Sonst auch noch jemand? Alle hatten gehört, was Arri an diesem Abend möglicherweise gefaselt hatte. Vor allem Aurora hatte es gehört.

      Nacheinander wurde sie erst knallrot und dann leichenblass. 'Aber was genau habe ich bloß zu ihr gesagt?' Sie hatte keine blasse Ahnung, doch sie ahnte, dass es nichts Kluges gewesen sein konnte – das Einzige, was sie in ihrer Erinnerung klar vor sich sah, war das Bild von Aurora in ihrer Rüstung. 'Ich muss die Käpt'n finden', beschloss sie.'Ich muss wissen, was ich gesagt habe. Und dann werde ich mich entschuldigen müssen.' Wieder lief sie rot an. Lieber hätte sie auf Leben und Tod gegen fünfzehn Leute gekämpft. 'Zumindest würde ich da vermutlich nichts mehr davon merken, wenn es schief liefe.'

      Mühsam zog sie sich an, mit zitternden Händen. Sie würde Aurora danach nie wieder unter die Augen treten können. Ein Entschluss formte sich in ihr.'Nie wieder werde ich so viel trinken.'
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    • Als die Käpt'n sie ansprach, wäre Arri beinahe vom Boot gefallen. Sie hatte sich an einen ihrer Lieblingsplätze begeben, ein Ruderboot, das unterhalb einer Brücke in Calpheon festgetäut war. Dort versuchte sie nachzudenken. Bis Ranomasina sie ansprach.

      Sie mochte die Käpt'n. Mehr: Irgendetwas ließ sie respektvoll zu ihr aufsehen, obwohl die Frau nicht älter aussah als sie. Doch was steckte hinter all dem?

      Arri setzte sich etwas anders auf die Fensterbank ihres kleinen Zimmers. Ein roter Mond stand am Himmel, umgeben von all diesen Sternen. Sehnsüchtig sah sie zu ihnen hinauf.

      Aegaria war dann zu ihnen gekommen. 'Aegaria.' Sie mochte diese merkwürdige Frau so gern. Es hatte nichts mit dem Gefühl zu tun, das sie durchlief und zittern machte, wenn sie Aurora sah. Diesem Wunsch nach Nähe und Berührung und... 'Aurora.'

      Daran durfte sie nicht denken. Sie lachte. Als ob das etwas daran ändern würde, dass sie beständig an sie dachte. Doch es nahm ihr die Luft, wenn dieser Moment wieder vor ihr stand, wie ein unheilvolles Gemälde in harten Farben. Dieser Moment, als sich Aurora von ihr weg gedreht hatte, mit diesem seltsamen Lächeln auf dem Gesicht, das bitterer war als Blei, erstickender als Staub in der Kehle. Sie hatte sich für alles bereit gemacht. Und war dennoch nicht bereit gewesen für diese formale Ablehnung dessen, was so warm, zärtlich und lebendig in ihr war.

      Wieder wünschte sie sich einen harten Geschmack in der Kehle, einen wilden Gesang, blutigen Schmerz in ihrem Körper. Nach all dem hatte sie gesucht, doch nichts davon hatte geholfen; zuletzt hatte sie auf den kaputten Pfosten ihres Betts eingeschlagen, bis ihre Wirtin wütend an ihre Zimmertür gehämmert hatte. '“Jetzt ist aber Ruhe hier! Anständige Leute möchten schlafen!“

      'Ich bin nicht anständig.' Ein böses Lächeln floss über ihre Lippen. 'Ich will gar nicht anständig sein.' In Gedanken versunken trat sie an ihr Bett. Ihr Blick fiel auf das Flaschenschiff, das in dem Beutel gesteckt hatte, den die Käpt'n ihr gegeben hatte. “Eine Erinnerung steckt noch drin.“

      Arri legte sich auf den Boden, das Gesicht dem Fenster zugewendet, in das der Rote Mond emotionslos blickte. In ihren Händen drehte sie die Flasche, in der das Schiff wehrlos steckte. Drei Masten, doch zwei der Segel waren verschwunden. 'Diese Erinnerungen sind schon verbraucht, hat sie gesagt.' Kurz lachte sie. Was für ein Quatsch! Schließlich griff sie nach dem Messer, das in ihrem Gürtel steckte und öffnete den Wachsverschluss.

      Nichts passierte. Atemlos hielt sie das kleine Glasgefäß in den Händen und wartete, doch es geschah nichts. Fassungslos lag sie da, rührte sich nicht, wartete verzweifelt.

      Nach einigen Momenten legte Arri sich auf das Bett. Sie zog ihre Stiefel nicht aus, auch nicht den Waffenrock. Nichts hatte mehr eine Bedeutung.

      Als der Mond längst nicht mehr im Fenster zu sehen war, begann ein Rauschen ihre Ohren zu füllen.

      Fort... Wieder her... Wieder fort... Wieder zu mir... Das Meer sang ihr zu. Vögel kreischten und ein Duft von Salz und Fisch und Süße stieg in ihre Nase. Weiche Haut berührte ihren braun gebrannten Unterarm. Sie sah zur Seite und grinste die Frau neben sich an, diese Frau mit den dunkelheißen Augen, deren schwarze Haare unter einem roten Tuch hervor lugten, dass sie sich um den Kopf gebunden hatte.

      „Nordnordwest, Arri.“ Die Stimme war gleichermaßen tief und schnarrend und weich. Sie fuhr in den Unterleib, geschmeidig wie ein Delphin.

      „Aye, Käpt'n“, antwortete Arri. Ein Lachen sprudelte durch ihren Körper, von den Zehen, durch die festen Waden in den warmen Bauch und das heiße Herz, schließlich in die heisere Kehle. „Wohin immer du willst.“
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    • Ein grauer Morgen sah ihr am nächsten Morgen aus dem Fenster entgegen. Trübe Luft, unbewegt auch nur von einer Spur von Wind. Arri schloss die Augen wieder. Für einen Moment kehrte der Geruch noch einmal zu ihr zurück, die Geräusche, das Gefühl... Wie der Wind mit ihrem Haar gespielt und wie die warme weiche Haut sich angefühlt, wie das Meer zu ihr gesungen hatte... Dann verschwand alles, bis es nur noch aus der Ferne anzusehen, einfach nur noch eine Erinnerung war.

      Sie blieb lange einfach liegen. Lauschte dem Klopfen ihres Herzens und dem Schmerz und der Sehnsucht, die in ihm tobten. Schließlich zwang sie sich, aufzustehen. Auf dem Tisch lag das Flaschenschiff: Keines der Segel war mehr gehisst. Langsam wusch sie sich, zog sich an, aß etwas, trank ein wenig Wasser, legte ihren Schwertgurt an, ging aus dem Haus.

      Eigentlich hätte sie schon Stunden zuvor bei einem Kunden sein sollen, der wollte, dass sie seinen Wagen nach Trent begleitete. Es war ihr egal. Mit schweren Schritten trottete sie durch Calpheon, durch Häuserschatten, an Bäumen vorbei, die ihre Blätter ohne Klagen ziehen ließen, vorbei auch an den lauten Händlern, die sich über ihre Marktstände beugten, vorüber an den kleinen Booten, die auf den Wellen des Flusses schaukelten.

      Als sie im Kapellenviertel ankam, musste sie sich zwingen, weiterzugehen. Arri wollte niemanden sehen, mit niemanden reden und schon gar nicht auf dem Besitz dieser Familie sein, der Aegaria diente. Doch sie hatte etwas versprochen.

      Sie klopfte an der Tür, von der sie hoffte, dass sie tatsächlich zum Zimmer ihrer Freundin gehörte. Grimmig malte sie sich ein hübsches Szenario aus, falls jemand anderes ihr öffnen sollte, doch sie verjagte die schöne Vorstellung wieder. 'Jetzt geht es nicht um mich.' Ruhig wartete sie auf eine Reaktion auf ihr Klopfen.
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    • In Aegarias Zimmer sah es aus, als sei Krieg ausgebrochen. Vor allem die an einer Wand zusammen getragenen Holzstücke eines Stuhls waren dafür verantwortlich. Doch ihre Freundin hatte sie angestrahlt und herein gebeten, als sie geklopft hatte.

      „Ähm... Ich war gestern wütend“, begann sie zu erklären, angesichts des Zustands ihres Zimmers offenbar etwas peinlich berührt, aber offen und direkt wie gewohnt. Arri liebte das. Den Stuhl, sagte Aegaria, habe aber Mendred kaputt gemacht. „Ich glaube, er hat mich damit aus meinem Wutanfall geholt.“

      „Du hattest einen Wutanfall? Warum, Aegaria?“, fragte Arri. Sie setzten sich auf das Bett. „Weil ich es so gemein finde, wie Leute wie du oder ich teils angesehen werden“, antwortete Aegaria. Für einen Moment wäre Arri gern heulend in ihre Arme gefallen. Es entwaffnete sie, dass Aegaria bereit war, so für sie und auch für sich einzustehen. Doch sie konnte sich wieder fangen.

      Aegaria berichtete, dass die Leute von der Wache, ausgenommen die alte Hauptmann, die Abscheu gegen merkwürdige Seherinnen und Mietklingen eigentlich nicht teilten. „Sie dürfen es nur der Öffentlichkeit nicht zeigen, weil sie zur Wache gehören.“ Das habe sie von Julianna erfahren. „Du bist echt 'ne Wucht“, sagte Arri. „Warum?“, fragte die, ihre Stirn gerunzelt. „Weil du dir Gedanken über mich machst und für mich einstehst. Das bedeutet mir viel.“ „Natürlich tu ich das“, erwiderte Aegaria. Arris Feststellung schien sie zu überraschen. „Ich mag dich ja.“ Kameradschaftlich legte Arri ihren Arm um Aegarias schmale Schultern. „So ein Glück. Ich mag dich nämlich auch!“

      Aber Aegaria war noch nicht fertig mit den Überraschungen. „Ich hoffe noch immer, dass du nicht fortgehen musst“, sagte sie. „Aber wenn es das ist, was du wirklich tun willst, dann sollst du es auch. Weil ich habe kein Recht, dich hier einzusperren, noch könnte ich es auch wirklich tun. Aber... du würdest mir fehlen.“

      Alle Erklärungssätze, die an diesem Morgen durch Arris Kopf gestolpert waren, fielen augenblicklich in einen großen warmen See und ertranken. Eine ganze Weile suchte sie vergeblich nach neuen. „Ich muss das tatsächlich tun“, sagte sie schließlich. Für einen Moment sah sie Aurora vor sich, wie sie sich von ihr wegdrehte. „Aber du wirst mir auch verdammt fehlen“, schloss Arri dann. Sie gab ihr das Flaschenschiff, dass sie vor einigen Wochen in Epheriaport erstanden hatte. Es war nicht wie das, was die Käpt'n ihr gegeben hatte, aber Arri hatte es lange in den Händen gehalten und versucht, Erinnerungen an Begegnungen mit Aegaria hinein zu träumen. Sie erklärte Aegaria, was sie tun solle, wenn alles blöd war und die Leute gemein zu ihr.

      „Versprich mir zwei Dinge“, sagte sie dann ernst. „Dass du auf dich aufpasst vor allem. Und dass du ja nicht brav bist!“ „Du meinst, ich soll nicht immer tun, was man mir sagt?“ Nickend bestätigte Arri das. „Genau!“ Dann bat sie Aegaria noch um einen Gefallen. „Wenn du die Käpt'n siehst, sagst du ihr, dass sie mich in Epheriaport finden kann?“ Aegaria versprach es. „Soll ich Aurora auch irgendetwas ausrichten?“ Stur sah Arri nach vorn. „Nein.“ Julianna habe ihr gesagt, dass Aurora Arri möglicherweise ein bisschen mögen würde, sagte Aegaria da. Vielleicht habe sie sich so merkwürdig verabschiedet, weil es ihr schwer gefallen sei. „Julianna meinte auch noch, dass Aurora vielleicht nachgeben könne und sich so den Zorn der alten Frau Hauptmann zuziehen könnte und auch über dich bringen.“

      Fassungslos sah Arri Aegaria an. „Mit wem ich knutsche oder schlafe geht doch wohl die Frau Hauptmann mal gar nichts an!“ Sie fühlte eine Ader an der Seite ihres Halses klopfen und es dauerte, bis Aegaria sie beruhigt hatte. „Wie war es denn früher bei dir?“, fragte ihr Freundin. „Also... ehm.... frühere Beziehungen?“ „Ich hatte noch keine,“ erwiderte Arri kleinlaut. Es tue ihr so Leid, sagte Aegaria mit Wärme. „Ich hatte nicht wirklich geglaubt, dass Aurora und ich eine Beziehung führen würden“, gestand Arri. „Aber so war es so, als sei ich nur ein völlig austauschbarer Mensch. Unwichtig.“ Aegaria fasste sie an der Schulter. „Das bist du nicht. Auf gar keinen Fall.“ Aufgewühlt umarmte Arri sie.

      Nach einer Weile sagte sie dumpf. „Wenn du sie siehst... Vielleicht will sie ja hören, wo ich bin.“
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    • Die Sonne strahlte vom Himmel, als sich Arri am Morgen des darauf folgenden Tages von ihrem Zimmer aus zum Hafen von Epheriaport aufmachte. Dass Herbst war, schien Teil eines anderen Lebens zu sein: Hier wärmte der Sonnenglanz noch und der Wind war zwar frisch, aber gar nicht kalt. Hoch oben kreisten die hungrigen Möwen und kreischten ihre sehnsüchtigen Rufe. 'Ich sollte mich sputen', dachte sie. 'Bei diesem Wetter wird Andrasch so rasch wie möglich aufs Meer hinaus wollen.'

      Sie pfiff ein Lied, als sie auf den Steg hinaus lief. Ein Seemannslied, aber sie konnte sich überhaupt nicht erinnern, wann und wo sie es gelernt hatte.'Die Glocke klingt unter Wasser ganz still, aus dem Grabe heraus...' Es war kein fröhliches Lied, aber eines, das zur See passte. 'Soll'n sie uns verdammen, doch wir sterben nie.'

      Mit einem Satz sprang sie an Bord des alten Fischerboots. Die Planken waren sauber geschrubbt wie immer. „Andrasch!“, rief sie laut und rutschte ein wenig aus. Mit der Linken fing sie sich an der Persenning ab und lief weiter Richtung Heck. Dort lagen die Netze, fein säuberlich geordnet und zum Auswerfen bereit hin gelegt. Arri grinste. Klar, der alte Seebär hatte schon alles fertig gemacht.

      „Andrasch!“, rief sie wieder und stieg die steilen Stufen in die kleine Kajüte hinab. „Ich bin zurück, und ich werde dir jetzt immer helfen. Jeden Tag, wenn du willst. Ich werde sogar-“

      Es roch seltsam dort unten. Irgendwie kalt. Die Lampe, die vom Kajütendach herab hing, schaukelte quietschend. Darunter saß Andrasch auf der schmalen Bank. Sein Oberkörper war nach vorn auf den linken Arm gesunken, der längs über den Tisch gestreckt war. In der Faust hielt der alte Mann seine Pfeife, aber sie war schon lange verglüht. Der rechte Arm hing herunter, als werde er nicht mehr gebraucht.

      Leise und langsam trat Arri näher. „Andrasch“, flüsterte sie und legte die Finger ihrer Linken zaghaft an die faltige Wange des Fischers. Sie war kalt wie die See.

      Seine Augen musste sie nicht schließen, denn sie waren von selbst zugefallen. Der Mund schien entspannt, friedlich, fast sah es aus, als lächle Andrasch. Zum ersten Mal fiel Arri auf, dass am Grund der tiefen Falten, die das Gesicht des Fischers durchzogen, die Haut seltsam weiß war – so ganz anders als dieses tiefe, knorrige Braun, was Hände, Hals und Antlitz sonst zeigte.

      „Doch wir sterben nie“, flüsterte Arri und fühlte salziges Nass auf ihrer Wange.
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      (André Gide)
    • Nun waren schon wieder so viele Tage vergangen, seit Aegaria sie besucht hatte. Arri erinnerte sich an diesen Tag, während sie die Netze einholte. Dann begutachtete sie stirnrunzelnd den spärlichen Fang: Einzelne kleine Fische zappelten hier und da in den Maschen. 'Das reicht einfach nicht.' Langsam begann sie, die Tierchen aus dem Netz zu lösen und eines nach dem anderen wieder ins Meer zu befördern. Aus dem Osten fiel der starke klare Schein der Sonne auf die blaue Ewigkeit, die sich im Norden vor ihr erstreckte. Die Wellen glitzerten und hungrig spielte der Wind mit Arris Haar. Sie sah nordwärts und folgte mit dem Blick einer laut kreischenden Möwe, die sich gegen den Wind stemmte. 'Frei sein heißt nicht unbedingt glücklich sein', erinnerte sie sich. Das hatte sie gelernt. 'Aber weder das eine oder das andere... Das ist einfach gar nichts.'

      Sie schritt zum Mast und setzte das Segel wieder, vertäute es dann fest. Der Wind kam von Osten, Landwind, sie würde kreuzen müssen. Festen Schrittes ging sie zum Steuerrad im Heck und schlug den richtigen Kurs dafür ein. Der Baum mit dem Segeltuch schlug über das Schiff und das Segel wurde vom Wind gefüllt. Glücklich stand Arri am Steuer und sah auf das unendliche Blau vor sich. 'Mal schauen, was hinter dieser Insel liegt, die ich neulich von weitem gesehen habe.'

      (…)

      Sie konnte überhaupt nichts sehen. Immer war Wasser in ihrem Gesicht: entweder vom prasselnden Regen oder von Wellen, die über das Boot schlugen. Sonst war da nur Dunkel, das Krachen der Wellen und das Heulen des Windes. Die Sonne ließ noch auf sich warten; vermutlich war es eins oder zwei in der Frühe. Vor geraumer Zeit hatte sie das Segel eingeholt; vermutlich gerade noch rechtzeitig, bevor der Sturm es zerrissen hätte. 'Ich hätte die 'Khalia' niemals so etwas aussetzen dürfen', dachte sie mit vagem Schuldgefühl. 'Sie ist doch nur ein Fischerboot.'

      Ein Blitz zuckte über den Himmel und für einen Moment konnte Arri die Wellen sehen, die sich in dem wilden Meer aufbauten, das sie erreicht hatte. Sie ragten höher als ein Haus. Angst hatte Arri nicht; eher eine Art grimmige Einsicht: 'Dieses Spiel kann ich auch verlieren.' Dennoch fühlte sie auch Stolz. 'Soweit bin ich nie zuvor gekommen.' Gut, dass Fischer immer Vorräte einzupacken pflegten, wenn sie hinaus fuhren – so hatte sie bisher weder hungern noch dürsten müssen. „So schwer ist das doch gar nicht“, schrie sie dem Sturm entgegen. Dann wischte sie sich mit dem Ärmel Nässe aus den Augen und lachte.

      Das Krachen, als die nächste Welle den Bug traf, war markerschütternd. Sofort wusste Arri, dass etwas zerstört worden war. Fast augenblicklich begann der Rumpf der 'Khalia', sich zur Seite zu legen. Instinktiv hielt sie sich am Steuerrad fest, doch dieses sank innerhalb kürzester Zeit in die Fluten hinein.

      Das Wasser war so kalt, dass Arri nach Luft schnappte, als sie hinein gezogen wurde. Salziges Nass füllte ihren Mund und ihr Inneres. Sie ließ das Steuerrad los und begann, mit den Beinen zu paddeln; aufwärts wie sie hoffte, doch sie hatte keinerlei Anhaltspunkt, wo oben war.'Schwimmen, schwimmen', gellte ein Befehl ihres Hirns durch ihren Körper, und der gehorchte. Schmerzhaft schwer hing die Kleidung an ihm. Ihre Lungen platzen vor Drang nach Luft, ihr Herz erstarrte vor Kälte.

      Als sie etwas zwischen den Fingern spürte, packte sie zu und ließ nicht mehr los.
      "How very fitting that they would build a prison for mages in the middle of a lake and make it look like a giant phallus." (Morrigan)

      „Man kann keine neuen Ozeane entdecken, hat man nicht den Mut, die Küste aus den Augen zu verlieren.“
      (André Gide)
    • Kalt war ihr, so schmerzhaft kalt, dass Arri vergeblich versuchte, sich an Wärme zu erinnern. Die Hitze eines Sommertags versuchte sie, sich vorzustellen, das Sitzen an einem Kamin, das Brennen, wenn man heiße Suppe zu schnell aß... Doch egal, was sie tat, sie fror entsetzlich. Wo war ihre Decke? Hatte sie vergessen, das Feuer mit genug Holz zu nähren? Immer noch waren ihre Augen geschlossen; sie war so müde.

      Doch ihre Hand krampfte sich zitternd zusammen. Etwas körniges rieb an der Haut ihrer Handinnenfläche. Sand? 'Warum habe ich Sand im Bett?' Es kostete ungeheure Kraft, die Augenlider zu heben, doch sie schaffte es.

      Über Arri leuchtete ein stahlblauer Himmel, über den eine Möwe dahin glitt. Es war so hell, dass sie rasch ihre Hände vor die Augen riss. Körniger Sand scheuerte über die dünne Haut der Lider. Unter sich fühlte sie scharfe Kanten in ihre rechte Pobacke schneiden. Mühsam drehte sie sich zur Seite und stemmte sich halb hoch.

      Das grelle Sonnenlicht tat ihren Augen weh, doch sie sah sich um. Eine große Muschel lag zerbrochen dort im weißen Sand, wo eben noch ihr Hintern gewesen war. Unterhalb ihrer Füße schlugen Wellen träge an den Strand. In einiger Entfernung sah sie zu ihrer Linken einen kleinen Hain; hinter sich, als sie sich umdrehte, ein Felsgebilde. Dahinter – das Meer.

      Hustend kam Arri auf die Füße, musste sich mit einer Hand abstützen, sonst wäre sie sofort wieder umgefallen. Vermutlich war dies eine der kleinsten Inseln, die sich im Meer fanden. 'Wer hier spazieren geht, ist in einer Stunde unweigerlich wieder zuhause.'

      Mit wackeligen Beinen ging sie einige Schritte an den Wellen entlang, straffte sich, um nicht wieder in den Sand zu fallen. Etwas weiter fand sie eine zerbrochene Planke. Das Holz war ihr vertraut. „Ich bin schiffbrüchig“, murmelte Arri. Fassungslos schlang sie ihre Arme um sich. Ihre Kleidung war dreckig, feucht und zerrissen. In der Tasche ihres Waffenrocks fand sich ein Brotrest, der vollkommen aufgeweicht am Innenfutter klebte. Gierig schlang sie hinein, was sie davon heraus kratzen konnte. Es schmeckte nach Salz und Bitternis und wies sie sofort auf ein viel drängenderes Problem hin.

      „Ich habe Durst.“
      "How very fitting that they would build a prison for mages in the middle of a lake and make it look like a giant phallus." (Morrigan)

      „Man kann keine neuen Ozeane entdecken, hat man nicht den Mut, die Küste aus den Augen zu verlieren.“
      (André Gide)
    • Der folgende Text entstand im Foren-RP zwischen dem Gott des Schicksals Lyanarah (Sven) und mir, inklusive einiger Geschehnisse, deren Ausgang mit dem Würfel bestimmt wurden. Auch, wenn Sven und ich bis zum Ende niemals ein übereinstimmendes Ergebnis würfelten, stimmte für mein Gefühl ansonsten alles überein: Es war spannend, sehr atmosphärisch und ich finde, dass es irgendwie richtig gut zu Arri passt. Vielen Dank, Sven! Das war so klasse! Für euch habe ich Svens Part grün und meinen blau gefärbt.

      „Was machen wir jetzt?“ Eine weibliche freundliche Stimme hinter Arri erklingt.

      Erschrocken fährt Arri herum.

      Eine ca. 1,70 Meter große Frau steht vor Arri am Strand. Lederne Stiefel, eine blau-weiße Pluderhose, welche durch ein rotes Tuch gehalten wird. An der Seite baumelt ein Säbel sowie eine Wasserflasche und diverse Beutel. Das weiße Leinenhemd weist Flecken auf. Um den Hals und an den Gelenken kann man verschiedenen Schmuck erkennen. Die Frau hat rote lockige Haare, Sommersprossen und blaue Augen. Sie trägt ein rotes Kopftuch und ihre Haut ist leicht gebräunt. Sie lächelt Arri an.

      Arri hat den Eindruck, sie stehe eine Ewigkeit nur da und starre die Frau an. 'Habe ich Halluzinationen? Bin ich tot?' „Wer bist du?“, flüstert sie heiser. Ihre Kehle ist jetzt noch trockener als vorher. „Wie kommst du hierher?“

      „Wie wir hergekommen sind? Ob wir tot sind oder halluzinieren? Was denken wir denn?“ Sie schaut Arri fragend an.

      Mit herunter geklappter Kinnlade starrt Arri die Frau weiter an. „Wir? Woher weißt du, was ich...“ Sie schaut die Frau genauer an und wird leichenblass, dann ballt sie ihre Fäuste. „Ich bilde mir das ein, oder?“

      Die Frau zuckt mit den Schultern. „Wenn wir das denken, ist das wohl so. Was machen wir denn jetzt?“

      Arri sinkt in den Sand, so, dass sie auf den Knien landet. „Wenn wir das denken...“, murmelt sie. Mit fassungslosem Gesicht schaut sie hinauf zu ihrem Gegenüber. „Was... haben wir denn zuletzt so gemacht?“

      Die Frau zuckt wieder mit den Schultern. „Wir wissen das doch schon alles. Die Frage, die wir uns stellen sollten, ist was wir nun machen?“ Die Frau steht weiter ihr gegenüber im Sand und schaut sich kurz um.

      Auf diese Entgegnung verzieht Arri das Gesicht. „Ich weiß gar nichts“, sagt sie wütend. „Du bist hier diejenige, die sagt, alles zu wissen.“ Ihre Augen gleiten an der Gestalt ihres Gegenübers hinauf und hinunter, als zähle sie deren Gliedmaßen, Narben, Falten oder welche Dinge auch immer. „Wir müssen hier weg“, sagt sie dann bestimmt. „Und etwas zu trinken finden. Also, ich jedenfalls.“

      „Trinken sollten wir nicht. Weg sollten wir, ja! Wir sollten auch nicht wütend werden. Wir haben auch nicht viel Zeit.“ Die Frau zieht die Augenbraue hoch.

      „Ist ja gut", murmelt Arri ungnädig. Auch sie beginnt nun, sich umzuschauen. „Wir könnten ein Floß bauen“, schlägt sie langsam vor und hat dabei den kleinen Hain im Auge. Dann sieht sie wieder zu ihrer Inselgefährtin. „Könnten wir doch, oder?“

      „Wir haben keine Zeit. Das Wasser steigt.“ Sie deutet zum Meer um die Insel.

      „Wie jetzt?“, fragt Arri ungläubig. „Du meinst...“ Sie lässt die Hände in den Sand sinken und stemmt sich dann mühsam in die Höhe. „Ja, verdammt, was denn dann? Schwimmen? Siehst du irgendwo Land?“ Sie blickt in alle Richtungen, entdeckt aber nirgendwo eine Küste. Mit zusammen gezogenen Augenbrauen sieht sie plötzlich wieder ihre Gefährtin an. „Wie zum Henker bist du denn hierher gekommen? Kannst du fliegen?“

      Arris Hände spüren das kühle Nass zwischen ihren Fingern. "Wir sind gemeinsam angekommen, aber das wissen wir doch.“ Langsam rieselt der Sand von Arris Händen zu Boden.

      „Nein, wir wissen das ganz und gar nicht!“ Arri ruft das wütend. „Ich weiß nur eines: Ich. Will. Weg.“ Verzweifelt blickt sie um sich. „Ich könnte einen starken Ast suchen, an dem ich mich festhalten kann.“ Sie sieht wieder zu der... anderen Frau. „Oder ich nehme deine Kleidung und mache daraus ein Segel, an das ich mich hänge. Vielleicht kann ich dann fliegen.“ Fieberhaft scheint sie weiter nachzudenken.

      Etwas nicht sichtbares kann Arri zwischen ihren Fingern spüren.

      Vorsichtig und langsam hebt Arri die linke Hand und starrt auf ihre Finger.

      Das Gefühl eines wegglitschenden „etwas“ ist zu verspüren, bevor das Gefühl weg ist. Zu sehen ist nichts. Eine nasse Haarsträhne klebt an Arris Wange. „Wir können nicht fliegen. Zumindest haben wir noch keine Erfolge bei unseren Versuchen gehabt. Wir müssen den richtigen Weg finden.“

      Wie hypnotisiert lässt Arri ihre Hand wieder sinken und wartet eine Zeitlang nur still und stumm ab.

      Der Himmel über den beiden wird kurz dunkelblau bis schwarz und ein Gefühl des hin-und-her-Werfens durchströmt Arri. Die Person vom Strand steht nun zwischen Arri und dem Palmenwald in der Mitte der Insel. „Das Wasser steigt.“ Sie deutet auf das Wasser, was näher an Arri gekommen ist. Die Sonne steht am blauen Himmel und blendet Arri kurz. Ihre bereits getrockneten Haare sind sandig.

      Arri keucht. „Was zum Henker passiert hier gerade?“ Ihre Stimme klingt heiser und brüchig. Erschöpft betrachtet sie ihre Inselgefährtin. „Wir brauchen ein Schiff“, flüstert sie dann beschwörend. „Haben wir... noch eines?“

      „Wir müssen sehen und den Pfad finden. Haben wir ein Schiff? Wir haben zumindest ein Schiff in einer Flasche. Das hilft uns aber nicht weiter.“ Die Frau schaut sich um und lässt den Blick dann zum Palmenwald gerichtet. „Wir haben keine Zeit.“

      Tonlos murmelt Arri die Worte nach, dann schreckt sie hoch. „Gib mir mal die Wasserflasche“, sagt sie entschieden und deutet auf die Flasche am Gürtel ihres Gegenübers. „Und was hast du noch in all den Beuteln?“

      „Was haben wir denn in den Beuteln?“ Fragend schaut die Frau zu Arri. „Trinken sollten wir nicht.“

      Arri wirkt einerseits wütend und andererseits entgeistert. „Trinken müssen wir aber, wenn wir leben wollen!“ Sie stampft mit dem rechten Fuß in den Sand. „Ach, verflucht, das nützt ja eh nichts“, schiebt sie dann murmelnd hinterher. Nach einer kurzen Weile hebt sie den Kopf und sieht ihr Gegenüber sinnierend an. „Und wenn wir nun - nein, anders: Wir haben ein Schiff im Beutel, ja?“

      Die Frau öffnet einen Beutel und holt ein kleines Spielzeugschiff heraus. „Stimmt, wir haben ein Schiff. Das hilft uns aber nicht wirklich weiter. Wir sollten nichts trinken.“ Die Frau deutet auf die Flasche in der Hand von Arri.

      Arris Blick wechselt von der Frau ihr gegenüber zur Flasche in ihrer Hand und zurück. „Und wenn wir etwas trinken? Was passiert dann?“ Sie hebt die Flasche an und führt sie langsam in Richtung Mund.

      „Wir sollten nichts trinken. Wir haben keinen Durst. Wir werden es bereuen.“ Arri, die noch am Strand steht, spürt das Meer, welches ihr schon bis über die Füße reicht.

      Man kann sehen, wie Arri mit sich ringt. Sie öffnet die Flasche, hält sie in der Schwebe, direkt vor ihrem Mund, sieht dabei ihrem Gegenüber in die Augen. Spannung liegt in der Luft. Schließlich lässt sie sie zögernd sinken. „So“, sagt sie langsam, beinahe klingt es wie ein Knurren. „Das Einzige, was du zu einer Lösung bisher beigetragen hast, sind dumme Regeln und irgendwelche nebligen Sätze. Hilf uns, verdammt! Gibt es hier einen Pfad, den wir gehen können? Kennst du einen? Gibt es eine andere Möglichkeit, hier wegzukommen, als zu schwimmen? Na los jetzt!“

      „Wir wissen nicht wer wir sind?“, schaut sie sie fragend, aber erleichtert an, nachdem Arri die Flasche gesenkt hat.

      Fassungslos starrt Arri die fremde Bekannte an. „Ich weiß, wer ich bin!“, schreit sie dann. „Und du? Weißt du, was ich bin?“ Wütend geht sie einige Schritte los, Richtung Palmenhain, und dreht sich dann mit aufforderndem Blick um. "Jetzt komm schon! Wir werden jetzt einen großen Ast suchen.“ Wütendes Gemurmel begleitet sie, als sie, die Flasche zudrehend, Richtung Palmen stapft.

      „Mit wem reden wir überhaupt ?“ Die Stimme in Arris Kopf, freundlich und ganz leise. Die Frau ist weg. Nein die Frau steht jetzt neben Arri. „Also was machen wir jetzt ? Einen Ast? Was wollen wir mit einem Ast?“

      Mit aufeinander gepressten Kiefern mustert Arri die Frau erneut, starrt zurück zu dem Punkt, von dem sie los gegangen ist, dann wieder zu ihrer Nebenfrau. „Ich rede mit dir“, sagt sie dann erschöpft und leise. „Und ich glaub, du bist ich. Nein, ich du. Also, jedenfalls...“ Sie bricht ab und versucht es dann neu. „Ich will einen Ast, weil ich nichts anderes weiß, um hier wegzukommen. Und ich glaube, dass du genau weißt, wie das geht, aber ich weiß das eben noch nicht!“ Sie fährt sich mit beiden Händen durch ihr sandiges Haar. „Ich will ein Schiff! Ich will jetzt ein Schiff!“ Leise fügt sie hinzu. „Und ein Fass Bier.“

      „Wir wollen nichts trinken, wir wollen sehen. Wir sind Arri. Wir wollen kein Schiff. Wir wollen sehen. Auch, wenn wir großes Verlangen haben, unseren Mund zu öffnen, sollten wir dies nicht tun.“ Blitz und Donner über den Köpfen der beiden. Die Wolken sehen wie Wellen aus, die im Sturm das Meer heimsuchen.

      Arri scheint am Ende ihrer Nervenkraft angekommen zu sein. „Sehen, sehen... Ich will nicht sehen, ich will-“ Abrupt unterbricht sie sich und starrt ihr Gegenüber an. „Ich sehe dich. Also mich, meine ich. Lebend. So, wie ich bisher noch nicht war.“ Noch einmal nimmt sie die Hose, die Stiefel, die ganze Ausrüstung ihres Gegenübers genau ins Visier. „Also sterbe ich hier nicht. Weil du dann nicht hier wärest. Richtig?“

      Dort, wo Arri hinschaut und die Frau noch eben stand, steht nur eine Palme. Zwei Palmen weiter rechts steht die Frau nun. „Sind wir wirklich hier oder bilden wir uns das nur ein? Eine gute Frage, die wir uns gestellt haben. Wo sind wir überhaupt?“

      Konzentriert leckt Arri über ihre trockenen Lippen. „Sind wir wirklich hier?“, wiederholt sie ungläubig und streckt eine Hand nach der Palme aus, über deren Stamm sie forschend fühlt. „Wo sind wir...“ Sie setzt sich in den Sand; ihre Beine sind zu zittrig zum Stehen. „Ich bin irgendwo, wo ich nicht mehr wegkomme“, murmelt sie. „An einem Ort, der sich anfühlt, als müsse ich bald sterben...“ Unglücklich sieht sie zu ihrem anderen Ich hoch. „Das bringt uns auch nicht weiter, oder? Gibt es diesen Ort wirklich? Oder ist der etwa nur in meinem Kopf vorhanden?“

      „Wir müssen aufstehen und was tun. Und wenn wir uns nur umschauen.“ Kleine Wellen schwappen die Stiefel von Arri. Das Wasser ist wieder gestiegen. Über ihren Köpfen zucken noch immer Blitz und Donner und die wilden Wellen.


      Wie ein folgsames Kind steht Arri matt auf und sieht sich um. Die Palmen um sie sehen gesund und unberührt aus, doch stürmischer Wind beugt sie von einer Seite zur anderen. Der Sand an der Küste ist beinahe weiß und vollkommen makellos. Wellen schlagen wütend an die Küste, das Meer ist dunkel, grau, grün, blau - die Farben wechseln. Der Himmel über ihnen ist ebenso dunkel, beinahe schwarz, Möwen ziehen kreischend über ihn. Arri verzichtet darauf, ihre Eindrücke zu erzählen. Sie ist erschöpft und ihr Gegenüber kennt ihre Gedanken sowieso.

      Die Frau drückt sich an ein paar Palmen vorbei und Arri stapft in den Palmenwald. Hinter den ersten Palmen ist ein großes Loch im Boden. Eine Treppe aus Stein führt am Rand des Loches nach unten in die Dunkelheit. Die Ränder des Loches sind auch aus Stein gehauen. In der Mitte des Loches kann man die oberen Enden von vier Säulen erkennen. Der Stein ist mit allerlei Grünzeug bewachsen.

      „Oh, toll!“, ruft Arri. Aufgeregt und mit roten Wangen kniet sie am Rand des Lochs nieder und äugt hinein, dann steht sie sofort wieder auf und macht sich daran, die Treppe herunter zu gehen, doch vor dem ersten Schritt dreht sie sich zu ihrer Gefährtin um. „Wir gehen hier herunter, ja?“, fragt sie plötzlich unsicher. „Das ist ein Ausweg für uns, oder?“ Wieder starrt sie in die Tiefe, verharrt an ihrem Platz. „Oder komme ich als nächstes in eine Grube voller Märchentiere, die mich fressen wollen oder so? Sag mir bitte: Was ist all das hier?“, flüstert sie. „Wo bin ich? Wo kommst du auf einmal her? Wozu treffen wir uns?“


      Die Frau lächelt und schweigt. Ihre Handbewegung deutet 'Geh weiter hinunter'. Arri geht Schritt für Schritt die Treppe hinunter. Wie aus dem Nichts gehen Fackeln an, die Arri den Weg nach unten weisen. Unerschrocken setzt sie die Schritte fort, bis sie unten ankommt und in einen runden Raum schauen kann. Gegenüber der Treppe an der Wand stehen verschiedene Särge. Einer der Särge ist geöffnet und leer. Die vier Säulen bilden in der Mitte ein kleines Rechteck. In diesem erhebt sich ein Podest, auf diesem Podest liegt eine Frau. Das Fackellicht taucht den Raum in ein Licht, dass man Umrisse erkennen kann, aber keine Details.

      Gebannt und auch erschrocken bleibt Arri stehen, ihr Atem geht schnell und flach. Sie bringt kein Wort hervor. Nach einer Weile geht sie sehr langsam auf das Podest in der Mitte zu, den Kopf gesenkt. Erst als sie direkt davor steht, hebt sie ihn langsam und richtet ihren Blick auf die Frau, die dort liegt.

      Auf dem Podest liegt eine 1,68 m große Frau. Ihre Haare kupferrot. Die Augen und Mund sind geschlossen. Ihre Kleidung besteht aus einem blauen Waffenrock mit Lederbesatz, hohen Lederstiefeln, fingerlosen Handschuhen. Die Kleidung und die Haare sind durchnässt. Im Hintergrund ist das Zischen eine Fackel zu hören. Wasser tropft auf diese. Über die Ränder tropft noch langsam etwas Wasser in die Höhle. „Wir haben uns gefunden.“ Erleichtert klingt die Stimme. Die Frau steht in der Nähe des offenen Sargs.


      Gebannt starrt Arri auf die Frau auf dem Podest, sie dreht sich nicht um. Lange betrachtet sie alles, was sie erkennen an, scheint sich nicht von dem Anblick lösen zu können. Schwerfällig dreht sie sich endlich halb um und flüstert: „Aber... Aber...“ Ihre Kehle ist so trocken, dass es ihr kaum gelingt, Worte hervor zu bringen. „Aber wir hatten uns doch nicht verloren...“ Zaghaft wispert sie ein: „Oder?“ hinterher.

      „Wir haben uns alle gefunden.“ Sie deutet auf alle Särge, die in dem Raum stehen. Das Wasser fließt nun etwas stärker über den Rand, Blitze und Donner sind noch immer zu vernehmen. Wenn man einen Blick nach oben wirft, erkennt man das Wasser über dem Loch ist, nein, das Meer, welches sich langsam über die Ränder in dieses Loch ergießt. Das Meer ist aufgebracht und wilde Wellen schlagen gegen einen großen schwarzen Schatten, der mit den Wellen wippt. „Wir müssen sehen, wir...“ Sie stockt kurz. „Wir fanden es schön, wieder vereint zu sein.“ Sie lächelt, falls Arri zu ihr schaut. „Wir müssen uns nun beeilen.“


      „Alle?“ Arri schaut trotz der scheinbar drohenden Gefahr zu den anderen Särgen, dann panisch nach oben. Ihre Augen erfassen den Schatten, dann sieht sie wieder zu ihrem anderen Ich, dessen Lächeln sie zaghaft erwidert. „Wir gehen hoch“, bestimmt sie dann. „Wir gehen zu unserem Schiff. Wir gehen an Bord.“

      „Nein, wir müssen sehen.“ Die Frau steht nun neben dem Podest. „Sehen!!“


      Angstschweiß steht auf Arris Stirn, ihr Herz pocht rasend und so laut, keuchend holt sie Luft. Niemals zuvor hat sie eine derartige Angst gefühlt. Ihr ganzer Körper scheint weich zu sein wie ein toter Fisch, doch sie zwingt sich, ruhig stehen zu bleiben, ihre Augen weit zu öffnen und alles genau zu erfassen: der runde Raum. Das Steinpodest, auf dem ihr Körper liegt. Die Särge. Die Säulen. Das Fackellicht. Das Meer, welches sich in den Tunnel zu fließen, anschickt. Der große schwarze Schatten.

      Die Augen von der Frau auf dem Podest flackern leicht. Das Wasser im Raum ist schon weiter gestiegen, viele Fackeln sind erloschen. Das Wasser geht Arri nun bis zu den Hüften, so schnell? Ihre Kleidung ist komplett nass, die Haare kleben an der Haut. Instinktiv presst sie ihren Mund zusammen und hält die Luft an. Das Loch wirkt kleiner, der Schatten über ihnen näher. Die Frau mit den Locken streichelt über die rechte Hand von der Arri auf dem Podest. Dunkelheit. Wasser unter, über und neben einem... Eine Stimme im Kopf. „Wir wollen sehen.“

      'Sehen... sehen... sehen...' Das Wasser um Arri herum ist dunkel und wild. Sie spürt, wie ihre Füße sich vom Boden heben und sie, plötzlich um so vieles leichter, im Wasser schwebt.'Sehen.' Sie strengt sich an, um ihre Augen um jeden Preis offen zu halten. Um zu sehen.

      Arri öffnet ihre Augen. Das Wasser ist so kalt. Als sie etwas zwischen den Fingern spürt, packt sie zu und lässt nicht mehr los. Eine kräftige Hand greift nach ihr und zieht sie an der linken Hand, nach oben? An der rechten Hand spürte sie die warme Berührung der Frau mit den Locken. Die Finger der Frau und die von Arri gleiten langsam auseinander, während Arri nach oben gezogen wird.

      Arris Kopf dreht sich der warmen Berührung hinterher, die Augen weit aufgerissen.

      Langsam verschwindet die Frau in den Tiefen des Meeres. Arri wird mit einem Ruck aus dem Wasser gezogen und findet sich in den Armen eines kräftiges Mannes wieder. „Wir haben sie!!“, brüllt dieser, während Arri einfach nur nach Luft schnappt und Wasser spuckt...

      Mühsam befreit sich Arri aus den Armen des Manns und sinkt auf alle Viere. Salzwasser und Galle dringen aus ihr, als sie hingebungsvoll kotzt. Es ist qualvoll, so, als würde sie niemals wieder aufhören können, sich zu übergeben. Doch ihre Augen bleiben offen.

      "How very fitting that they would build a prison for mages in the middle of a lake and make it look like a giant phallus." (Morrigan)

      „Man kann keine neuen Ozeane entdecken, hat man nicht den Mut, die Küste aus den Augen zu verlieren.“
      (André Gide)

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    • Zum ersten Mal seit langer Zeit war Arri erleichtert, von Bord eines Schiffes zu gehen. Die Fahrt auf der Tausend Gesichter war seltsam gewesen. Alle dort schienen sie zu kennen, selbst der Papagei Tac, der wohl Käpt'n Ranomasina gehörte, nannte sie krächzend beim Namen. Daher war sie gerade auch erleichtert, das kleine Beiboot allein zum Hafen Velias zu rudern.

      Auf dem Meer hatte sie die Erinnerung nicht mehr losgelassen. 'Beinahe wäre ich tot gewesen.' Aber weniger das erschreckte sie, sondern das Gefühl, etwas Wesentliches zurück gelassen zu haben. 'Mich.' Vor ihren Augen sah sie die Frau mit den roten Locken und dem roten Tuch darum.

      Die Zeit, bis sie vor Velia vor Anker gegangen waren, hatte Arri meist im Bug gesessen und auf das Meer geschaut. Stolz brach das große Segelschiff die Wellen. Anfangs hatte sie sich noch einige Male übergeben müssen, doch die Besatzung hatte sie sehr selbstverständlich mit viel klarem Wasser und dann auch mit Schiffszwieback versorgt. Die Käpt'n war nicht da gewesen; sie sei in Velia, hatte die Besatzung ihr gesagt. 'Ich muss mit ihr reden.'

      Nun ruderte sie das Beiboot, bis das Wasser so flach wurde, dass sie heraus steigen und ihr Gefährt an Land ziehen musste. Vom klarblauen Himmel strahlte die Sonne warm auf den weißen Sand. Immer noch spürte sie, dass ihre Beine weich waren. In ihren Taschen klimperten einige Münzen, also ging sie zu einem Gasthaus und bat um ein Zimmer. Bevor sie die Käpt'n suchen würde, wollte sie unbedingt noch etwas anderes tun. Sie setzte sich an einen groben Tisch in dem kleinen Zimmer und begann zu schreiben.

      „Liebe Aegaria,

      ich hoffe, es geht dir gut. Verzeih, dass ich so mit der Tür ins Haus falle, aber ich brauche deine Hilfe. Mir ist etwas widerfahren, das...“
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      „Man kann keine neuen Ozeane entdecken, hat man nicht den Mut, die Küste aus den Augen zu verlieren.“
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