Die Hexe aus dem Osten

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    • Die Hexe aus dem Osten


      Der versiegelte Brief

      Marktstraße [1. Stock, 6-1] zu voran geschrittener Abendstunde

      Rawhiti schließt hinter sich die schwere, beschlagene Holztüre des gemieteten Zimmers im Marktviertel, welches sie und Maze seit geraumer Zeit bezogen hatten. Die rothaarige Leibwächterin ist nicht im Raum anwesend. Vermutlich nutzt sie die freie Zeit, die Raw ihr nach dem Auftrag mit Darek zusprach. Wie passend dieser Umstand doch gerade ist.
      Mit genüsslich langsam kreisenden Schultern und leichten dehnenden Bewegungen der Halsmuskulatur geht die große Frau mit dumpf klingenden Stiefelabsätzen zu ihrem Bett und lässt sich rücklings auf die großzügige Matratze fallen. Ein zufriedenes Seufzen dringt zwischen ihren Lippen hervor.
      Langsam öffnet sie die Augen. Bis auf das fahle Mondlicht, welches durch die Fenster seine absonderlichen Schatten an die Wände wirft, ist es dunkel im Raum. Ruhig hebt die Frau ihre rechte Hand und macht in der Luft eine fließende, abfallende Bewegung.
      Ein Knistern und der Raum wird von einem warmen, flackernden Licht erhellt. Raws Augen wandern über die nun tanzenden Schatten, die an die Wände und Decke geworfen werden. Allmählich besinnt sie sich wieder auf den versiegelten Briefumschlag, den ihr neustes Projekt, der Attentäter Istaqa, aus Dareks Kleidung hervorbrachte. Etwas schwungvoller richtet sie sich auf und macht es sich mit überschlagenen Beinen sitzend auf dem Bett bequem. Aus ihrem schwarzen Mantel zieht sie den Brief hervor. Mit spitzen Fingern dreht sie den Umschlag hin und her und streicht einige Male über das Wachssiegel, dessen Ursprungs sie sich noch nicht sicher ist. Minuten verstreichen, ehe Raw den Brief mit einer spitzen Kralle öffnet und seinen Inhalt zu Tage fördert. Ruhig gleiten ihre grünen Augen über die Zeilen.

      Während sie den mehrseitigen Brief liest, zeichnet sich Zeile für Zeile ein dunkles Lächeln auf ihren Mundwinkeln ab.
      Das Schriftstück enthält viele Informationen und Berichte, die ihr noch äußerst dienlich sein werden.

      „Wie interessant….“, huscht es leise über ihre Lippen,“ scheinbar ist er oder sie schon länger aktiv in den Reihen der Organisation.“
      Raws Kopf fällt in eine leichte, nachdenkliche Schräge. Sie faltet die Blätter zusammen und steckt diese zurück in den Umschlag. Ihre Stirn legt sich in Falten und sie hebt nachdenklich den Kopf gen Kerzenschein. Mit einer Hand greift sie nach ihrem schwarzen Bilanzbuch, welches auf dem Beistelltisch steht und lässt den Brief zwischen den Aufstellungen diverser Zahlen ihres inoffiziellen Geschäftes verschwinden.

      Mit Istaqa an ihrer Seite und dem Wissen aus dem mysteriösen Brief benötigt sie nun mehr finanzielle Mittel, um ihre Ziele weiterverfolgen zu können. Rawhiti verdient durch die calpheonische Bergbaufirma und ihr Nebengeschäft bei der Zunft nicht schlecht, doch für ihr weiteres Vorhaben wird sie mehr Silber anhäufen müssen. Ihr Blick ruht lange auf dem schwarzen Buch.
      In dem Brief wird ein Freudenhaus in Epheriaport erwähnt. Vielleicht sollte sie sich dort umsehen und mit der hiesigen Geschäftsleitung eine Übereinkunft, welche für beide Seiten dienlich ist, treffen.
      So manchereins empfand sein Leben für wichtiger, als es für eine handvoll Huren und Silber zu opfern.
      Mit diesem Plan stellt sie das Buch zurück auf den Nachttisch. Sie kann sich darauf verlassen, dass niemand einen neugierigen Blick hineinwerfen würde, da es nur langweilige Zahlen beinhaltet.

      Draußen ertönen Schritte auf der Treppe. Raws Kopf dreht sich zur Tür, als schon die Klinke herunter gedrückt wird und Maze den Raum betritt.
      „Oh, ihr seit noch wach?“
      „Ja, aber ich wollte gerade zu Bett gehen. Gute Nacht, Maze.“
      „Gute Nacht.“
      Die Rothaarige sieht sie für einen Augenblick noch an und wendet sich dann schließlich ihrer Zimmerhälfte zu. Sie ist es gewohnt, dass Raw nie viele Worte verliert.
      Nach einer kurzen Zeit hört man im Raum das Knarren von Holz, als sich Maze zu Bett legt.
      „Könntet ihr bitte die Kerzen löschen?“, erklingt es aus ihrer Ecke. Eine erneute fließende Handbewegung lässt alle Kerzen im Raum erlöschen und hüllt das Zimmer wieder in Dunkelheit.
      „Danke, Rawhiti. Gute Nacht.“
      „Gute Nacht“, wiederholt die Hexe.


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    • Erkenntnis

      Auf einer bewaldeten Anhöhe über Epheriaport

      Die ältere Frau blickt hinunter auf die nach toten und verwesenden Fisch stinkende Hafenstadt Epheriaport.
      Rawhiti streicht sich langsam mit den Fingerspitzen an den Krähenfüßen ihrer Augenwinkel entlang.
      Nachdenklich, forschend, fragend…
      In ihrem Gesicht zeichnen sich langsam tiefe Furchen ab, welche durch die Erkenntnis der letzten Stunden im Freudenhaus der Stadt deutliche Spuren hinterlassen hat. Einsam auf der Anhöhe stehend, kann man der Hexe deutlich ansehen, dass ihr eisiges berechnendes Wesen durch einen innerlichen Sturm von vergessen geglaubten Gefühlen aufgerissen wird. Auf der Oberfläche bleibt eine rissige Maske aus Eis zurück, die in Scherben zu zerspringen droht. Scherben, die zu Staub zerfallen würden.

      Plötzlich zerbricht die jahrelang aufrechterhaltene Kontrolle und die den Umständen auferlegte gewissenlose Maske zerfällt von innen heraus und rieselt wie eine zu Staub gewordene Tonvase auseinander. Ihre kalte, emotionslose Präsenz, welche sie seit vielen Jahren mit sich herumführt, weicht stattdessen in der Erinnerung an Rhaida, nein Kimaya... warmen, sorgenden und trauernden Gefühlen.

      Und dann…Zweifel…
      Selbstzweifel...

      Das vertrocknete Herz, welches durch den Strom ihres dunklen Blutes genährt wird, beginnt zu schlagen. Es zieht und reißt in ihr, als würde es sich gegen die neue Art der Gefühle wehren.
      Rawhitis Augen umhüllt ein nebelartiger Dunst. Sie schließt ihre grünen Augen und mit einem Mal dringen all die verborgenen Erinnerungen, wie kleine einzelne Fragmente in ihr Bewusstsein zurück.
      Langsam sinkt sie wie ein auf Grund laufendes Schiff auf den mit Moos gepolsterten Boden.
      Rawhitis Klauen sprießen ihr schwarz und furchteinflößend aus den Fingern. Unter einem frustrierten Aufschrei greift sie sich mit einem schmerzverzerrten Gesicht in den Nacken. Hoffnungslos gräbt sie die Klauen in ihr eigenes Fleisch, als wolle sie etwas aus sich selbst herausreißen.

      ...

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    • Auf einer bewaldeten Anhöhe über Epheriaport, zur gleichen Zeit

      Das ist es also…dieses Gefühl, was die Menschen “Schmerz” nennen!
      Sie warnten mich davor. Emotionen…Gefühle. Die niederen Geistesregungen würden es unberechenbar machen. Es ist letztendlich doch nur ein Splitter.
      Unvollkommen…Verfälscht…
      Meine Augen sehen durch ein dichtes, gräuliches Pulsieren auf den moosigen, sattgrünen Boden. Ich spüre, wie mir etwas Warmes über den Nacken hinunter läuft, langsam vom Hals auf den Boden tropft und das Moos allmählich in einen schmierigen, dunklen Ton färbt.
      Innerlich ermahne ich mich zur Ruhe. Atme tief ein. Ziehe die abgestandene, fischige Luft durch die Nasenflügel und flute meine Lungen mit dem fauligen Geruch. Ich reiße mich zusammen. Meine Umgebung und der Duft darin hat mir jetzt für diesen Moment egal zu sein.
      Ich atme ein und aus…

      Langsam, ruhiger werdend…

      Das Rauschen in meinen Ohren ebbt nach und nach ab.

      Nur noch ein bisschen…

      Ruhe…

      Ruhe…

      Mein bebendes Inneres erlischt mit jedem einzelnen, ruhiger werdenden Pulsieren des dunklen Blutstromes in meinem Körper. Mein Rückenmark und was in seinem knöchernen Konstrukt verborgen liegt, hört auf zu brennen. Lang atme ich aus. Es ist fort. Nur noch ein Echo.
      Meine Augen öffnen sich und ich blicke hinab auf die Stadt, lasse den Blick schweifen, hinüber zu dem Freudenhaus. Der Ort der bitteren Erkenntnis.
      Mein Plan, eine weitere finanzielle Quelle aufzubauen, schlug fehl. Stattdessen entwickelte sich ein Chaos in meinem geordneten, durchdachten Plan. Dieses Chaos war Rhaida…Kimaya.
      Ich versuche, das Geschehene zu verarbeiten. Immer und immer wieder. Die Kutsche, welche meinen stillen Begleiter Istaqa und mich kurz vor Epheriaport passierte. Niemals hätte ich gedacht, dass dieses kleine Mädchen, was neben dem alten Mann auf dem Bock hinter den Pferden saß, solche Konsequenzen mit sich führen könnte. Farah…ihre Tochter. Sie hat ein Kind.
      Nein… DIESE Frau hat ein Kind.
      Diese Frau, die…meine Gedanken brechen ab. Wieder formt mein inneres Auge aus Rhaidas typischem anzüglichen, wölfischen Grinsen das unschuldige Gesicht eines Mädchens aus vergangenen Tagen.

      Ich bin gedanklich erneut im Freudenhaus. Der abgestandene Duft vergangener nächtlicher körperlicher Ausschweifungen, lag schwer in den Fluren und Räumlichkeiten des Hauses. Ich wies Istaqa an den Besitzer des Etablissements zu finden, während ich mir einen Eindruck des Hauses verschaffte. Wie ich es von meinem stillen und doch zuverlässigen Begleiter gewohnt war, verzeichnete er einen schnellen Erfolg, fand den Besitzer namens Claudio und brachte ihn zu mir. Nicht ganz ohne Blessuren. Doch Claudio erfüllte immer noch seinen Zweck.
      Ich konnte doch nicht ahnen das diese Frau auch dort war. Ihr Blick, als Rhaida aus den Schlafgemächern der Huren trat. So versteinert als hätte sie das Schlimmste befürchtet. Es passte mir nicht, dass sie dort war. Meine Pläne störte. Sie, die Hure an der langen Leine der Schwarzen Zunft.
      Meine Worte, ob sie ihresgleichen besuchte oder selbst Kundin der vergangenen Nacht sei, schien sie zumindest aus ihrer Starre zu lösen. Die üblichen provokanten Worte. Doch Dareks Erwähnung und was vor wenigen Tagen, in der dunklen Gasse in Calpheon, vorfiel, ließ mein Zorn auf dieses Weib wieder auflodern. Natürlich kamen die gegenseitigen Befragungen auf, was die andere hier täte. Ich gab mich zu einer abnehmbaren Aussage hin, doch sie verheimlichte mir offenkundig etwas. Jedoch interessierte mich dies nun wenig, da ich mir äußert sicher war, dass Rhaida mir keine Probleme bereiten könnte.
      Wie ich mich doch täuschte.

      Doch ich wollte das “Geschäft” mit diesem Jammerlappen Claudio abschließen. Alles lief wie geplant, doch sie musste sich einmischen.

      “Wo ist das Mädchen. Farah?”

      ”Er wird euch diese Information nicht vorenthalten haben, als er sie zu euch brachte.”

      Ihre Worte hallen nach und ein neuer Name tauchte auf.

      “Jaheem…”

      ... ... ...

      Ihr Angriff kam unüberlegt. Aus Angst und dem Trugschluss, ich wäre ihretwegen in diesem Freudenhaus. Mit dem Befehl, sie aus dem Weg zur räumen. Oh, bei allen Seelen, wie ich es begrüßt hätte. Ich wollte diese arrogante Hure erschrecken, sie gefügig für das Gefühl der Angst machen. Doch mein eigener Angriff offenbarte die grausame Wahrheit.

      Diese Narbe an ihrem Hals, sie war unverwechselbar. Leicht gezackt, von einem Messer, was vor 24 Jahren in ihr junges Fleisch schnitt.
      Dennoch forderte ich sie auf mir zu sagen, woher sie diese Narbe hatte.

      “Ihr kennt die Antwort. Ich sehe es in eurem Gesicht.”

      Ich fühle es wieder. Das Knirschen und Brechen meiner inneren Kälte. Meiner Maske.

      “Dieses Mädchen ist schon lange tot.”

      Ihre Worte, einst die eines jungen unschuldigen Kindes. Einer Freundin. Sie klangen schwer, schmerzhaft und enttäuscht.

      “Und was glaubtest du, was passiert ist? Dass ich mich in Luft aufgelöst habe?! War ich dir so egal, dass du nicht einmal nach mir gesucht hast?!”

      Die Vorwürfe prasselten wie ein Steinregen auf mich ein. Stein für Stein auf meine Maske. Verursachten Sprünge, die zu Rissen wurden.
      Doch die Warheit war, ich suchte sie damals tagelang. An unserem Platz auf der Lehmhütte. In den Seitenstraßen, wo wir immer umherwanderten, unserem geheimen Versteck... ich fand sie nirgends und gab mich irgendwann der Annahme hin, sie sei zurück zu ihren Eltern. Weg von mir. Hätten wir uns doch damals nicht gestritten, vielleicht wäre ihr all dies nicht passiert. Wäre nicht diese Frau aus ihr geworden. Und sie könnte ein Kind unter normalen Umständen großziehen und müsste es nicht vor ihrem einstigen Geliebten retten, der es als Druckmittel gegen sie nutzt.
      Meine Fassungslosigkeit muss mir deutlich im Gesicht gestanden haben, als ich begriff, was ihr damals widerfuhr, warum sie wurde, was sie nun ist.

      Warum habe ich sie damals unter ihrer Maske als Rhaida nicht erkannt? Als sie mich vor 5 Jahren für die Zunft rekrutiert hatte. Sie wusste, wer ich bin, doch sie behielt ihre Maske auf.

      Um ihren Zweifel vollends zu beseitigen, verriet ich ihr die Wahrheit über mein persönliches, kleines, geplantes Geschäft. Sie warnte mich ehrlich und mit Furcht. Wir sitzen nun im gleichen Boot. Haben uns mit Mächten angelegt, die unser Todesurteil unterschreiben würden, käme die Angelegenheit heraus.

      Mein Blick gleitet hinaus auf das Meer.
      Zumindest dieses Problem ließ sich für das erste lösen. Claudio schläft nun bei den Fischen. Im Freudenhaus deponierte ich eine eindeutige Nachricht in Form eines abgetrennten Thunfischkopfes auf Claudios alter Schlafstätte. Es wird aussehen wie das Verbrechen einer lokalen Bande. Ein bedauerliches Geschehen.

      Langsam wandern meine Augen über den Horizont. Ich drehe mich in die Richtung Calpheons. Frage mich, ob Rhaida den Planwagen mit ihrer Tochter erreicht haben könnte. Oder ob sie auf dem Weg nach Calpheon von Jaheems Männern aufgegriffen wurde. Zumindest Letzteres dürfte ihr kein Problem bereiten. Nachdem Rhaida ging, sendete ich ihr Istaqa hinterher. Er sollte sie schützen. Um jeden Preis… Istaqa… Da war noch was.

      “Shanasa.”

      Dieses Wort sprach er oft. Ich wusste nicht um seine Bedeutung. Vielleicht werde ich ihn darauf ansprechen.

      Mein Pferd, welches grasend zwischen den Bäumen steht, schnaubt. Ich klopfe dem schwarzen Hengst auf den muskulösen Hals und schwinge mich in den Sattel. Meine Wunden sind versiegt und ich ziehe den Kragen des Mantels höher, damit man das dunkle, getrocknete Blut nicht sehen kann. Es wird heilen, dessen bin ich mir gewiss. So wie all meine Wunden verheilten. Kurz streiche ich mir über den Nacken, fühle über die Erhebung der einzelnen Wirbelkörper.

      “Du warst mir immer ein guter Lehrer, Rawhiti.”

      “Gib auf dich Acht.”[i](Rhaida)

      Rhaidas Worte hallen noch lange in meinem Kopf nach. Für einen kurzen Moment lächel ich, ehe ich die Augen schließe und innerlich verharre.
      “Ich bin es, die nun auf dich Acht gibt”, flüster ich in den Wind.

      Ich öffne langsam die Augen und fühle sie wieder, die Klarheit, die Kälte, die Professionalität…
      Meine Maske.

      Nur ein winziges Detail ist anders.
      Es schlägt.
      Mein Herz...ich glaubte niemals wieder, dass ich das Schlagen meines Herzens spüren würde.

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    • Die Einladung

      Calpheon, Unterkunft von Maze und Rawhiti

      Argwöhnisch betrachtet die Hexe das neuste Schreiben zwischen ihren Händen. Auf dem Nachtisch liegt bereits der gelesene Brief der Gräfin, welcher eine neue Aufgabe der Schwarzen Zunft darstellt. Ein bedenklicher Blick huscht kurz über das aufgefaltete Papier und dessen Inhalt.

      „Für den Teppichhändler muss ein Ersatz gefunden werden, nachdem er seine Dienste eingestellt hat.
      Aufgabe: Handel in Calpheon
      Bezahlung: ein halbes Prozent des Erlöses
      Anforderungen: Familie: Eltern und/oder Lebenspartner/Kind(er), keine Auffälligkeiten gegenüber dem Gesetz
      Findet geeignete Kandidaten.“

      Mit leicht verzogenen Lippen wandert ihr Blick durch den Raum. Maze wird sich wohl ebenso wenig begeistert zeigen, wenn sie denselben Brief liest. Erst sollte die Frauengruppe das fehlerhafte Verhalten mit dem Teppichhändler Darek regeln und nun sollen sie auch noch Ersatz für diesen lüsternen, inkompetenten Handlanger finden. Ihre Laune verbessert sich mit dem neuesten Brief nicht merklich. Doch statt der typischen Insignie der Schwarzen Zunft befindet sich groß und breit das Siegel der calpheonischen Bergbaugilde, für die sie seit einigen Jahrzehnten als Buchführerin tätig ist, auf dem Brief. In diesem Schreiben wird Rawhiti dazu eingeladen, nein sie wird eher beordert, auf den kommenden Winterball zusammen mit einigen wenigen der höher gestellten Arbeiter und dem obersten Meister der Gilde zu erscheinen. Sie kann sich auch denken warum. Neulich erst erschloss die Zunft einige Schürfrechte für ein Gebiet in Mediah. Jetzt sucht man geeignete Silberspender. Und was würde sich dazu besser eignen als ein Ball mit zahlreichen, adeligen Gästen und gut betuchten Kaufleuten.
      Rawhiti war oft genug auf solchen Anlässen und kennt die kaufmännischen Spielchen der Gilde. Vermutlich wird sie dort auch der Gräfin und auch möglicherweise anderen aus der Zunft über den Weg laufen. Wie jedes Mal zuvor wird sie sich aber schnell in den Hintergrund zurückziehen und bei einem guten Glas Wein die Leute beobachten. Vielleicht findet sich auf diesem Anlass ein geeigneter Kandidat für die angeforderte Tätigkeit der Zunft. Im Nachgang könnte sie dann jemand Geeignetes zur Rekrutierung des „Opfers“ ansetzen. Wozu sich selbst die Hände schmutzig machen, wo sie doch einen gänzlich anderen Aufgabenbereich in der Zunft abdeckt.
      Die Ereignisse in Epheriaport bedürfen immer noch ihrer obersten Aufmerksamkeit. Und wäre dies nicht genug, muss sie nun auch ein wachsames Auge auf Maze halten, nachdem diese "verändert" aus der letzten Begegnung mit einer anderen Hexe, der eigenen Mutter, hervortrat.

      Ohne jegliche weitere Regung faltet sie den Brief zusammen und legt diesen neben dem anderen Schreiben auf dem Nachttisch ab.


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    • Kontakte

      Zu später Stunde auf einer Straße im Adelsviertel

      Die Buchführerin der calpheonischen Bergbaugilde verließ den Winterball noch vor der großen Preisverleihung. Der Abend hatte letztendlich doch etwas Nutzbares mit sich gebracht. Doch sind ihr nach gewisser Zeit die anwesenden Gäste zu anstrengend geworden und nachdem sich vermehrt Mitglieder der Stadtwache sehen ließen, zog sie es vor sich zurück zu ziehen. Es war ein Wunder, dass dieses Mädchen mit den unterschiedlichen Augenfarben, welches ihr vor mehreren Tagen einst auf der großen Brücke über dem Demi begegnete, keine Notiz von ihr nahm. Oder wurde die Hexe bewusst von diesem jungen Ding ignoriert?
      Jedenfalls gehört sie zum Haus Ceos. Zu der Gräfin. Die Gräfin, die bald Mendred heiraten wird. Welch seltsame Fügung des Schicksals.

      Rawhiti Musou lässt den Blick zum Halbmond wandern, als sie einsam durch die spärlich beleuchteten Gassen des Adelsviertels spaziert. Es war eine kalte Nacht und sie zieht das Fell ihres Kragens enger an sich heran. Innerlich lässt sie den Abend nochmal Revue passieren.

      Kurz nach ihrem Eintreffen wurde sie auch schon von der Gräfin erspäht. Mit einem Glas Wein gesellte sich Raw zu ihr. Natürlich sprach sie die Gräfin direkt auf ein Ergebnis bezüglich eines Nachfolgers des dahingeschiedenen Darek an. Dass die Suche derzeitig noch andauert, schien die Gräfin nicht sonderlich zu stören. Auch die Problematik um die minderwertige Schwarzsteinqualität aus Keplan und die Ursachenforschung, welche sich bislang immer noch verzögert, rührten von keiner Gegenreaktion. Es war, als wäre Gräfin Tsatsuka ganz mit ihren eigenen Problemen des Hauses Ceos beschäftigt. Diese Unaufmerksamkeit könnte sich zu einem Vorteil entwickeln.
      Des Weiteren erfuhr die Hexe, dass der Bruder des verstorbenen Geoghram Ceos, welchen Rawhiti noch als eigentliches Verbindungsglied vor der Gräfin zur Zunft kannte, in Calpheon anwesend war. Es war bekannt, dass dieser Mann, Khaled Ceos, ein hervorragender Geschäftsmann mit viel Einfluss und weitreichenden Verbindungen ist. Vielleicht lässt sich somit das Problem um Dareks Nachfolger lösen.

      Etwas verächtlich schnaubt Rawhiti in die kalte Nachtluft hinein.

      Da war doch noch diese unbeholfene Hure. Ausgerechnet aus Valencia. Während sie die Schritte der Frau beobachtete, kam ihr Rhaida wieder in den Sinn. Sie hat seit Epheriaport nichts mehr von ihr gehört. Doch bevor sich die Hexe irgendwelchen Sorgen hingab, verscheuchte sie das unbeholfene Weib von ihrem neuen Gesprächspartner. Wollte sie sich doch einen eigenen Blick von diesem Khaled machen. Zumindest schien sich in dem Gespräch heraus zu kristallisieren, dass dem Mann geschäftliche Beziehungen zusagen würden. Er wusste also auch von dem Geschäft mit der Zunft. Wie passend.

      Langsam bog die Hexe in die Marktstraße ein, in der sie und ihre rothaarige Leibwächterin ihre derzeitige Unterkunft haben.

      Maezikeen… Beinahe hatte sie es vergessen. Die Gräfin fragte nach der jungen Frau und ihren Leistungen. Die rothaarige Leibwächterin leistete in der Tat gute Arbeit. Zu gute Arbeit. Rawhiti hat noch keinen Plan, was die Kleine angeht. Sie hat sich verändert. Ob zum Nutzbaren oder nicht, dessen ist sich die Hexe noch nicht gewiss. Könnte die Frau ihre Pläne durchkreuzen? Oder einfach nur ein gefährliches Potenzial entwickeln, was sie beide in dieser Stadt in den Abgrund reißen könnte?
      Die ältere Frau bediente sich eines taktischen Weges. Sie versicherte der Gräfin, dass Maze für hochgradigere Arbeiten und nicht als Leibwächterin dienlicher sei.
      Nun musste sie lediglich auf eine Antwort warten.

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    • Zurück

      Valencia am Nachmittag,
      Haus Nr. 78, oberhalb des Wassergartens

      Mein Kopf liegt ruhend nach hinten geneigt und ich beobachte die langsam zur Decke aufsteigenden Hitzeschwaden des dampfenden Badewassers.
      Nun bin ich wieder hier. Hauptstadt des Ostens. Feste der Wüste. Oase der Durstigen. Valencia.
      Ich habe die einst so verfluchte Stadt nicht mehr gesehen, seit ich damals mit dem Schiff Richtung Westen aufbrach. Doch dieser Ort hat sich in all der Zeit verändert. Zum Guten oder zum Schlechten? Davon konnte ich mir noch keinen Eindruck verschaffen.
      Ob es noch die alte Lehmhütte von damals gibt?

      Als ich mit der Kutsche der Bergbaugilde hierher kam, mietete ich mir direkt Räumlichkeiten in Valencia an. Weitab der Hauptstraßen, im verzweigten Wirrwarr der Gassen des „Scharlatanviertels“. Wahrsager nennen sie sich...pah, die meisten von ihnen sind Betrüger und die wenigen, die jene Kunst verstehen, meiden mich, als könnten sie hinter diese fleischliche Hülle sehen.

      Ich schließe meine Augen und genieße, bis auf das sanfte Geräusch des Wassers, die vollkommene Stille. Ein seltener Genuss ganz für sich alleine zu sein, seit ich in Calpheon verweilte. Diese uneingeschränkte Ruhe, keine weitere Person...ich lasse meine Gedanken schweifen. Viel Zeit ist seit meinem Fortgehen aus Valencia vergangen. So Vieles ist in all dieser Zeit passiert. Es verging Schmerz und Angst. Ich besudelte meine Hände mit Blut, um meinen Zielen näher zu kommen. Doch nur selten mit meinem eigenen.

      Allmählich öffne ich die Augen und lasse den Blick über meine entblößte Hülle gleiten. Das Wasser wirft schwammige Schatten auf die fast schon makellose Haut. Es sind nun schon 48 Sommer, die ich in diesem Leben verweile und dennoch zeichnen sich die Makel des Alters nur langsam auf meiner Hülle ab. Hülle, ja das trifft es.
      Das Fragment, welches mir mit Magie vor so langer Zeit in den Körper gestanzt wurde, hat meinen Körper verändert. Es gibt Tage, da fühle ich mich wie eine lebendige Leiche. Doch die Macht, welche mir dieses Fragment gab, ist für mich unverzichtbar geworden.
      Ich hebe meine Hand aus dem Wasser beobachte, wie die Spitzen meiner Fingernägel zuerst schwarz anlaufen und sich dann langsam zu Krallen formen. Der Rest meiner Hand wird von der Dunkelheit bis zur Schulter eingenommen.
      So düster wie mein Blut, welches mein verdorbenes Herz antreibt...Blut...ich lege den Kopf schief und denke nach. Bislang machte ich mir die magische Alchemie zunutze. Aus etwas Gleichwertigem etwas Neues erschaffen. Doch dachte ich nie an die Möglichkeit, mein Blut als Waffe oder Schild einzusetzen, wenn das Fragment doch dafür sorgte, dass sich die Wunden bald darauf wieder schlossen. Ebenso, wie es die Zeichen des Alterns verzögerte.
      Brachten mich meine Waffen in der einen oder anderen Situation weiter, doch war ich immer schutzlos gegen jegliche Form des Angriffes. Etwas, das ich ändern sollte.

      Meine Gedanken wabern hinüber zu Haus Ceos, dem kleinen blauhaarigen Mädchen und seinem merkwürdigen Anhänger und Rhaida. Was du wohl in diesem Moment tust? Hast du Haus Ceos schon einen Besuch abgestattet, so wie du es mir vor wenigen Tagen im Badehaus erzähltest? Das Kopfgeld auf das Gör ließ ich einfrieren. Doch verfolgte ich das Mädchen nicht weiter, nachdem du und ich im Bad miteinander sprachen.

      Rhaida, ich hoffe inständig, dass es dir gut geht.
      All diese Missgunst, die ich einst dir gegenüber hatte, zerschlagen in Epheriaport. So dankbar ich dem Schicksal über unsere Zusammenführung bin, umso besorgter bin ich nun um dich. All das, was du durchgemacht hast. Nur, um jetzt ein Spielzeug der Zunft zu sein. Fortgerissen von deinem eigen Fleisch und Blut.

      Ein Seufzen dringt über meine Lippen. Fleischeslust. Ich widmete mich nur wenig diesem Vergnügen. Womöglich auch einer der Gründe, warum dieser Körper niemals Kinder gebar. Doch bei all dem, was meine Augen an Leid in dieser Welt erblickten...ich bin froh um diesen Umstand. Meine Aufgaben liegen weit fern von einer glücklichen Familie. Fern von...jeglichen Gefühlen dieser Art.
      Doch während ich gedankenverloren vor mich hinstarre, sehe ich die verblichenen Umrisse jener zweier Menschen, welche ich in die Verdammnis schickte. Wie töricht ich doch war, ein solches Ritual durchzuführen. Ohne die geringste Ahnung der Konsequenzen.
      Mein Leben fühlt sich an, als würden die sieben Teufel gackernd und schreiend um mich herumlaufen. Jeden Moment zuschlagend, um den letzten Rest der entzweiten Seele aus meiner Hülle zu reißen, um diesen mit dem längst verrotteten Teil in der Verdammnis zu einen.

      Ich blicke meinen Arm an und lasse die Krallen wieder verschwinden. Werde wieder zu einer menschlichen Hülle mit einer Maske.
      Eine Maske für die Gilde.
      Eine Maske für die Zunft.
      Eine Maske für die Wesen.
      Eine Maske für mich selbst.

      „Nun gut, Rawhiti. Es geht weiter.“
      Und so stemme ich mich langsam aus dem dampfenden Wasserbad. Ich habe hier eine Arbeit für die Bergbaugilde zu erledigen.
      Während ich mich langsam einkleide, lasse ich meinen Blick über die noch recht leeren Räumlichkeiten gleiten. Ich hörte bei meiner Ankunft von einem umfangreichen Buchhändler und einem passablen Kunsthandwerker. Bei Gelegenheit sollte ich mich um etwas mehr Leben in meinen Räumen bemühen.

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    • Geschäft ist Geschäft

      In der Tanzenden Möwe zur Mittagsstund

      Es verging ein Jahr mit vielen Ereignissen, vielen Reisen und neuen Entscheidungen. Rawhiti Musou war ihrem Ziel nun ein Stück näher gekommen, vielleicht sogar noch näher als gedacht. Ihre neue finanzielle Einnahmequelle läuft hervorragend. Das Bordell "Zur Tanzenden Möwe", welches sie als Madame Musou leitet, spült der Hexe nun jeden Abend Silber in die Truhen.

      Der Weg dahin hat Zeit in Anspruch genommen, kostbare Zeit die sie vielmehr in ihre anderweitigen Bemühungen gesteckt hätte.

      Calpheon und die Schwarze Zunft waren ein Teil dieser Verzögerung.
      Wie gut es doch war, dass sich diese unglückliche Geschichte mit den Kopfgeldern, ausgestellt auf irgendwelche Bauernopfer, in wohlgefallen aufgelöst hat. Der Hintergrund der Kopfgelder und die einzelnen Verbindungen der Personen untereinander, sowie zum Hause Ceos erschienen ihr noch immer recht chaotisch.
      Doch sie mühte sich nicht damit ab Sinn und Zweck dieser Jagd zu ergründen. Es lag nicht in ihrem Interesse.
      Auch die Situation der fehlerhaften Qualität der geschmuggelten Schwarzsteine, welche unter anderem auch nach wie vor ihrer Aufmerksamkeit unterliegen, lies sich lösen. Statt Schwarzstein von der Bergbaugilde Calpheons, für die sie seit Jahrzehnten arbeitet, von den trostlosen Minen Keplans abzuzweigen, zapfte sie lediglich andere Minen an. Somit war der Schmuggel vorerst gerettet.
      Um wieder ungestört alleine ihren Zielen nachgehen zu können, entledigte sie sich ihrer, von der Schwarzen Zunft zur Seite gestellten Leibwächterin, Maze. Dies tat sie noch vor ihrer Reise nach Valencia. Mit den Worten die Gräfin Ceos habe bedeutungsvollere Aufgaben für die Leibwächterin, übersendete sie die ahnungslose junge Frau in die Hände der Gräfin. Rawhiti war sich sicher, dass die Gräfin Maze irgendeine Aufgabe zukommen lies. Und sei es, dass die Leibwächterin nun das Kindermädchen für das Kind von Tsatsuka Ceos mimen würde.
      Was letztenendes zutraf, erfuhr Rawhiti jedoch nie.

      In Valencia hatte Rawhiti genug Zeit ihren Gedanken nachzugehen. Trotz des Auftrages der Bergbaugilde, welche sie in ihre alten Heimatgefilde entsendete. Doch das Prüfen der Bücher und Bilanzen war kein Unterfangen, welches ihre Zeit lange in Anspruch nahm und so widmete sie sich zugleich ihren eigenen Interessen. Sie stellte Nachforschungen an und ging jeglichen Hinweisen und Legenden zu alchemistischen, magischen Zaubern und Verfahren nach, die sich in ihrer Form um die Erschaffung eines gewissen Stein der Weisen rankten.

      Und irgendwann war es soweit. Nach Monaten, als schon der Herbst in den westlichen Ländereien Einzug hielt, begab sie sich nach Velia. Ihr Ziel ein abgehalftertes Bordell in der ruhigen aber vom Handel erblühenden Hafenstadt. Nach ihrem Fehlschlag in Epheriaport erwies sich dieser Ort als wahre günstige Gelegenheit. Der wohl nennenswerte Vorteil dieser Stadt war, dass sie nicht so erbärmlich nach Fisch stank wie Epheriaport und sie sich nicht in Gefahr begab mit diesem Bordell in das Revier der Schwarzen Zunft einzudringen. Denn die Zunft mochte es durchaus nicht, wenn in ihren eigenen Reihen Unfrieden herrschte.
      Das Desaster in Epheriaport um den toten Bordellbesitzer Claudio, welcher für ein hohes Mitglied der Schwarzen Zunft arbeitete, wurde einer örtlichen organisierten, kriminellen Bande angehaftet, nachdem man einen abgetrennten Thunfischkopf auf dem Nachtlager des Verstorbenen fand. Die Botschaft war damals eindeutig. Claudio lag bei den Fischen und so war es auch.
      Missmutig verzieht Rawhiti einen Mundwinkel, als sich in diesem Moment der Gestank des Fisches in ihre Erinnerung schiebt. Sie war es damals, die den Kopf vom Fischkörper abtrennnte und diesen am vorgesehenen Ort plazierte. Doch die Mühe lohnte sich. Keiner würde die Schlüsse zu jemand anderen, als zu dieser Bande ziehen.

      Und nun war sie hier in Velia. Der alte Besitzer war dankbar um die von ihr angebotene Summe Silber und verschwand bald daraufhin, um sich irgendwo auf einer fernen Insel zur Ruhe zu setzen. Sie nahm die Frauen und noch eine Person, die scheinbar mit zum lebenden Inventar gehörte, doch sich immer wieder als nützlich erwies. Dieser Mann namens Onizuca gehörte zu jener Sorte verlorener Seelen, welche irgendwann an Land gespült wurden und sich mit dem Ort verwurzelten, an dem sie sich wohlfühlten.
      Den Frauen wurde die freie Entscheidung gelassen. Sie konnten für die neue Besitzerin unter besseren Umständen arbeiten oder sie hatten die Freiheit zu gehen. Menschen sind ersetzbar und Huren sowieso... doch vielleicht war es den Umständen zu verdanken, dass Rawhiti durch ihre alte Freundin Rhaida diesen noblen Zug zeigte und sich um das Wohlergehen der Damen bemühte. Vielleicht liegt es aber auch nur daran, dass eine glückliche und gesunde Hure für ein besseres Geschäft und dem reichlichen Klimpern von Silber sorgen würde.
      Zwar hätte Rawhiti gerne ein allzu bekanntes Gesicht an ihrer Seite gewusst, doch mit Varesh fand sie eine würdige Stellvertretung als Geschäftsführung der Tanzenden Möwe, wenn sie Velia immer mal wieder verlässt. Eine befremdliche Schicksalsfügung führte die beiden Frauen zueinander, doch dies ist eine andere Geschichte.

      Das Schicksal musste sich wohl auch damals eigenartig gefügt haben, als die Hexe auf ihrer Reise nach Velia, des Nachts durch einen vernebelten Wald ritt und auf diese eigenwillige Kreatur traf. Eine Frau, so wirkte es auf dem ersten Blick. Und aus den Augen eines Menschen betrachtet würde der Schein auch gewahrt bleiben, doch diese Frau war nicht das was sie erschien.
      Rawhiti sah es.
      Diese Frau musste, so konnte es aus ihrer Sicht nicht anders begründet werden, das alchemistische Werk einer Person gewesen sein. Wer so etwas erschaffen kann, benötigt nach dem unumgänglichen Gesetz der Alchmie etwas von besonderer Kraft.
      Einen Stein der Weisen.
      So musste es sein, es könnte nicht anders funktionieren oder etwa doch?
      Die Kreatur jedenfalls schien schwach und krank. Sie hatte Angst vor Rawhiti. Nicht unbegründet. Denn das finstere Verlangen war voller Begierde, das wie die Schlangen einer gefrässigen Göttin, aus der Hexe empor gekroch.
      Das Wesen war von großem Nutzen und so hinterlies Rawhiti ihr einen kleinen dunkelroten Stein, welchen es immerzu bei sich tragen sollte und verlangte von der Kreatur namens Lele alles Wissen über das Werk ihres Erschaffers in Erfahrung zu bringen. Irgendwann würde die Hexe zu ihr kommen und dieses Wissen einfordern.
      Sie würde die Kreatur finden. Dafür hatte sie gesorgt.


      Mit ineinander verschränkten Fingern und entspannt zurückgelehnt am gemütlichen Polster ihres Sessels, sitzt die Frau im Büro ihres Geschäftes. Rawhiti geht ihren Gedanken nach und schaut dabei auf das Glas Rotwein, welches noch unangetastet vor ihr auf dem Tisch steht. Sie lässt die Erinnerungen und das Geschehene nocheinmal Revue passieren. Auch den gestrigen Abend, als Varesh zu ihr kam und diese Frau in ihr Büro brachte.

      Susi Sommerwind, wie sie sich selbst nennt. Vermutlich wählte diese Art der langlebigen Kreaturen jenen simplen Namen, um die um sich gescharrten menschlichen Wesen vor dem geistigen Zusammenbruch beim Hören und Aussprechen ihres eigentlichen Namens zu bewahren.
      Das diese Frau anders war, als der Rest der Bewohner in dieser Stadt, deutete ihr der Splitter bereits an, als er tief im Knochen ihres eigenen Wirbelkörpers wie ein immerwährender Blitz pulsierte.

      Welche Motivation findet ein Wesen wie dieses hier in solch einer Stadt? Vergeudetes Potenzial, wenn es nach Rawhitis Ansichten geht. Vielleicht erfreut sich diese Frau auch lediglich an ihrem menschlichen Spielzeug, welche sie scheinbar um jeden Preis, vor welchen Unglücken auch immer, schützen möchte. Auch ohne ihre Fähigkeiten konnte Rawhiti erkennen, welche der Gestalten wie unbeholfene, tapsige Welpen an der Leine dieser Frau hingen.

      Sie löst ihre Hände aus der Position um mit einer leichten Handbewegung das Glas heranzuziehen. Mit den Fingerkuppen hält sie den bauchigen Teil des Gefäßes locker in ihrer Hand und nimmt einen Schluck. Dieser Tropfen schmeckt tatsächlich. Varesh hat einen guten Wein eingekauft.

      Warum also suchte das Wesen sie auf? Der Sinn und Zweck der Unterredung war für Rawhiti vergeudete Zeit. Eine eigentlich von vornerein selbstverständliche "Geschäftseinigung" die keiner Aussprache bedurfte. Keiner schädigt dem Geschäft des anderen. Simpel, einfach und unmissverständlich. Warum also diese Zeitverschwendung?
      Hatte dieses Wesen etwa tatsächlich so etwas wie Sorge verspürt, dass die Hexe unsägliche Dinge in diesem Dorf und vielleicht auch mit den menschlichen Welpen der Frau anstellen würde und wollte vorab die Dinge versuchen zu klären?

      Lächerlich und unnötig, denn die unbeholfenen Welpen, wie auch diese Frau interessierten Rawhiti bei weitem nicht.

      Die Hexe legt die Stirn in Falten und wirft einen missbilligenden Blick auf das Glas, welches sie in der Hand hält. Ihre grünen Augen betrachten das Anwachsen ihrer spitzen Fingernägel und wie sich die Hand langsam zu einer schwarzen Kralle formt. Allmählich lässt sie den Rest ihres Armes von der gleichen schwarzen Substanz einnehmen. Kriechend als suche es seinen Weg. Wie eine düstere, glänzende Masse schiebt es sich wie eine zweite Haut vor. Dann verhärtet sich die Masse und liegt matt und dunkel auf Rawhitis Arm. Sie nimmt noch einen Schluck.
      Die investierte Zeit und Mühe im Umgang mit Blutmagie hat sich gelohnt. Nun hat sie bei Bedarf einen schützenden Panzer. Zwar heilen ihre Wunden dank des Splitters in ihrem Körper von selbst. Aber sie ist nicht unsterblich sollte sie eine Klinge oder eine Pfeilspitze jemals an der falschen Stelle treffen. Sie musste sich für alle Eventualitäten vorbereiten.
      Die Zeiten werden nicht einfacher, je näher sie an ihr Ziel zu kommen vermag.

      Sie führt das Glas erneut an ihre Lippen. Dabei fällt der Blick auf ein Buch, welches Varesh bei ihr im Büro vergessen hatte.
      Nicht vergessen. Varesh empfand, dass die Augen ihrer Herrin zusehr in Büchern mit zuvielen Zahlen vertieft waren und sie wollte ihr etwas Gutes tun. Aufdringen wohl eher so empfand Rawhiti. Varesh wurde einfach nicht müde ihr immer wieder zu erzählen wie spannend dieses Buch doch sei. Die Handlung ist einfach. Es geht darin um eine Frau, welche in einer dunklen Epoche der Geschichte ihr Leben dem Kampf, als Gladiatorin in einer Arena, gewidmet hat und über faszinierende Kräfte verfügt. Angeblich basiere dieses Buch auf einer wahren Geschichte.
      Rawhiti neigt den Kopf leicht, um auf dem Buchrücken den Titel lesen zu können. "Ruhm und Ehre".
      Die Hexe schüttelt den Kopf und widmet sich wieder ihrem Wein. Bislang läuft das Geschäft zu ihrer Zufriedenheit. Auch das neue Mädchen Coco scheint sich eingelebt zu haben und verzeichnet bereits einen gut gefüllten Kalender. Sie war also eine lohnende Investition.
      Als nächstes wird sie sich Meister Tenzin ansehen, welchen sie auf Empfehlung eines der Mädchen nach Velia bestellte. Nach ihrer Ansicht könnte es nicht schaden einen guten Heiler im Hause zu haben, welcher regelmäßig ein Auge auf die Gesundheit der Frauen hat.

      Und so stellt sie das nun leere Glas auf ihrem Tisch ab und ruft nach Varesh.


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    • Erste Bilanz

      Calpheon zum Nachmittag

      Der Herbst hält Einzug in Calpheon.
      Wohin man inmitten der gewaltigen Hauptstadt nur blickt, man wird es sehen. Das bunte Blattwerk zahlreicher Bäume. Grün, rot, gelb und schließlich, wenn die Blätter ausgezerrt zu Boden fallen, braun.
      Das einst lebensreiche Geschmück der Bäume wird wie jedes Jahr tot und verrottend auf dem Pflaster der Straßen Calpheons liegen, bis der erste Schnee die Überreste verdecken wird oder die eine oder andere Magd vorher den Reisigbesen schwingt.


      Tiefe Krähenfüße zeichnen sich um die Augenwinkel der Buchführerin ab, als diese mit leicht verengten Augen am Fenster der Geschäftsräume der Calpheonischen Berbaugilde steht und mit verschränkten Armen hinab auf das Treiben der Stadt blickt.
      Die tiefstehende Nachmittagssonne blendet Rawhiti Musou, doch sie wendet sich nicht von dem störenden Licht ab.

      Die Hexe, Buchführerin, Bordellbesitzerin und Mitwirkerin der Schwarzen Zunft befindet sich gegenwärtig wieder in Calpheon, wo sie als längjährige Buchführerin der Calpheonischen Bergbaugilde einen Bericht über die Bilanzen der neueren Schürfgebiete und Minen, weit ab von Calpheon und Keplan, präsentiert. Ganz offiziell und ohne das die Gildenmeister nur den Hauch dessen erahnen können, was diese Frau vielfältig repräsentiert.
      Die Zahlen stimmen, die Bilanzen sind gut, ein kleiner Gewinn mit steigenden Chancen nach dem Desaster in Keplan. Nur langsam, aber stetig erholt sich die Bergbaugilde von den Misständen, welche in Keplan bis heute andauern.
      Versteinerte Minenarbeiter. Schlechte Qualität bei Schwarzsteinen und anderen geförderten Mineralien.
      Die dargelegten Zahlen erfreuen die Gildenmeister, welche sich soeben inmitten des großen Raumes zurückgezogen haben, um weiteres für die nähere Zukunft zu besprechen.
      Rawhiti soll in diesem Zuge im gleichen Raum verweilen, da sicherlich recht schnell der eine oder andere neue Auftrag für das nächste neu erschlossene Schürfgebiet kommen würde.
      Und so zieht sie sich ihrerseits etwas zurück. Tritt, mit den im Raum nachhallenden Absätzen ihrer Schuhe, an eines der großen, deckenhohen Fenster und lässt den Blick über die Stadt schweifen, während hin und wieder einer der Gildenmeister zu der Endvierzigerin aufblickt und den Blick über ihre Gestalt wandern lässt.
      So wie sie erhobenen Hauptes im Schein der Sonne steht, wirkt sie noch unnahbarer als sonst auch.


      Fernab derartiger, verschwenderischer Gedanken, lässt sich Rawhitit einige der vergangenen Ereignisse durch den Kopf gehen.


      Die Angelegenheit mit Haus Arrántir und der daraus entstandenen Entführung Cocos ging für gleich mehrere involvierte Personen glimpflich aus. Sogar, was man kaum vorausahnen konnte, für den einen und anderen mit einem einigermaßen guten Ausgang.
      Wäre dieser großkotzige Handelsmann aus Altinova nicht in der Tanzenden Möwe eingekehrt, hätte wohl Rhaida nie so schnell zu ihrer Tochter Farah gefunden, welche als Yara kurz nach ihrer Geburt, entrissen aus den Armen ihrer Mutter, einen nahezu qualvollen Lebensweg, wie auch ihre Mutter zuvor, bestritten hatte. Der einzige aber wohl entscheidende Unterschied war, dass Yara ihr Leben in Sklaverei verbrachte, als ihr Dasein, wie einst ihre Mutter, als blutjunge Hure zu fristen.

      Eine Hure die zu einer gefährlichen Agentin der Schwarzen Zunft wurde. Mit all ihren Klingen und Giften. Nur im entferntesten kann sich Rawhiti vorstellen, was Rhaida mit dem Vater des Kindes, Jaheem, angestellen wird. Der Mann, welcher Yara erst in diese grausame Lage brachte. Mit absoluter Gewissheit kann sich die Frau am Fenster jedoch ausmalen, wie Rhaida es genießen wird, den letzten Tropfen Lebensfunken aus Jaheem herausquellen zu sehen.
      Eines ist sicher. Dieser Mann wird jämmerlich zugrunde gehen und mit ihm, der verdorrte Zweig innerhalb der Schwarzen Zunft, welchen er sich über viele Jahre aufgebaut hat.
      Verräter.
      Sie strebten die Macht innerhalb der Organisation an, wie so viele vor ihnen zuvor. Letztendlich führte sie ihr Weg einige Etagen tiefer in das eigene kalte Grab. Jämmerliche Gestalten, die das Spiel nicht verstanden haben. Gebe was sie verlangen und nimm dir was du kannst. Doch strebe niemals die Kontrolle über eine derartige Organisation an, welche ihre ranghöchsten Mitglieder und Führer seit gefühlten Jahrhunderten immer sehr vorausschauend in die jeweilige Schlüsselposition setzte.
      Jaheem war der Schwarzen Zunft schon länger ein Dorn im Auge und sein Pakt mit Haus Arrántir führte letztendlich nur zum Untergang. So einen dilletantischen Schwarzsteinschmuggel hatte Rawhiti noch nicht gesehen.

      Die Frau neigt ihren Kopf, wie sie so am Fenster steht und auf Calpheons Dächer und Turmzinnen hinabblickt.

      Es ist gut, wenn Rhaida bald wieder einen klaren Kopf haben wird. Somit könnte die Hexe sie bald öfters für diverse Aufträge einsetzen die Rhaidas mitunter tödliche Fähigkeiten benötigen. Und solange Yara in Velia unter ihrer und Vareshs diskreter Aufsicht ein gutes Leben führt, steht dem nichts nennenswertes mehr im Wege.

      Nach diesen Ereignissen kann Rawhiti sich vorerst weiter auf ihre Ziele konzentrieren. Und mit dem Buch, welches ihr die kleine Kreatur vor einiger Zeit brachte, hatte sie eine nützliche Absicherung gefunden. Sicherlich waren in den Aufzeichnungen von Leles Erschaffer mehr selbstlöbliche Bekundungen und weiteres unnützes Geschwätz zu finden, als sinnvolle Niederschriften, doch das wenige was sie fand kombiniert mit ihrem eigenen Wissen brachte ihr einen gewissen lebensverlängernden Vorteil. Eine Opportunität welche ihre bisherigen Kräfte hervorragend komplementierte.
      Sie ist keine Elfe oder gar einer der letzten auf Erden wandelnden Vorzeitlichen, von denen man mehr hört als man je gesehen hat, doch es gibt andere Methoden. Eine davon hatte bereits Anwendung gefunden.
      Als Varesh unter bedauerlichen Umständen in Calpheon verschwand und von Rhaida nach Velia zurückgeführt wurde, bot sich diese Gelegenheit. Die Prozedur wäre nicht so einfach erträglich gewesen, doch Vareshs Körper war zu diesem Zeitpunkt mit Betäubungsmitteln förmlich durchflutet.
      Kurz nach Vareshs Rückkehr, begab sich die Madame zu ihrer Stellvertreterin auf das Zimmer. Der Anblick der sich Rawhiti bot, entsprach ganz dem Eindruck, welchen Rhaida in Calpheon von Varesh bekommen hatte. Die Frau wirkte verloren und desillusioniert. Noch dazu stand sie unter dem Einfluss von Rauschmitteln.

      Doch Varesh verstand sehr klar, was Rawhiti im folgenden Gespräch von ihr wollte. Die Hexe offerierte Varesh eine wichtige Aufgabe. Lebensfüllend. Ein neues Ziel. Etwas das diese Frau nun sichtlich brauchte. Und da Varesh, aus welchen Gründen auch immer, ein großes Interesse an ihrer Madame hatte, zögerte diese nicht, als Rawhiti ihr ein Fragment eines besonderen Steines in die Hand legte und Varesh offerierte, dass sie dieses Fragment von nun an ihn ihrem Körper tragen würde. Sollte jemals der Körper ihrer Herrin, sosehr Varesh das nie glauben wollen täte, vernichtet, so würde Rawhiti in ihrem Körper durch jenes Fragment weiterleben.
      Eine Sicherheit von vielen und eine weitere Notwendigkeit nachdem sie in direkte Kampfhandlungen, bei Cocos Befreiung aus den Händen von Arrántirs Söldnern, verstrickt wurde. Noch dazu hatte eine Walküre Elions einen Bruchteil der Fähigkeiten Rawhitis zu Gesicht bekommen. Die restlichen Anwesenden waren für die Hexe unerheblich.
      Unangenehmerweise erhielt sie bei dieser Auseinandersetzung auch noch die Pfeilspitze eines treffsicheren Bogenschützen zwischen ihre Rippen.
      In dieser Hinsicht war der verschwiegene, hauseigene Arzt der Möwe äußerst nützlich. Meister Tenzin erwieß sich als filigraner, als seine Erscheinung vermuten ließe. Er entfernte die, zwischen ihren Knochen, verkantete Pfeilspitze. So konnte der Körper der Hexe sein restliches Werk in Ruhe erledigen und die Wunde vollends verheilen lassen.

      Nachdem die Madame ihrer Stellvertreterin nun einige Hintergründe darlegte, unterzog sich Varesh ohne Umschweife des alchemistischen Rituales und führt seit diesem Zeitpunkt jenes Fragment, mit einem darin verankerten Teil von Rawhitis Seele, in dem knöchernen Konstrukt einer ihrer Wirbelkörper mit sich.


      Ein Seitenblick streift die Herrschaften der Bergbaugilde, welche nach wie vor ihre Köpfe diskutierend zusammengesteckt haben. Langsam und ruhig zieht Rawhiti die allmählich abgestandene Luft des Raumes in ihre Nase ein und lässt ihren Blick wieder aus dem Fenster gleiten.

      In einem Punkt wartet Rawhiti noch ab, wie sich dieser entwickeln wird. Die kleine Kreatur Lele scheint wohl ein Problem zu haben. Eine Komplikation, welche die derzeitig anwesenden Walküren Velias mitsamt der eigenwilligen Elfe angelockt haben. Anscheinend war ihre erste Einschätzung betreffend dieser Sommerwind korrekt.
      Die Elfe führt ihre Marionetten aus und hält die Fäden straff an sich. Anders könnte man sich diese stetige Anwesenheit in diversen Angelegenheiten nicht erklären. Zumindest wenn es zusätzlich nach den Berichten von Rawhitis Mitarbeitern geht.
      Doch man darf wohl gespannt sein, wie sich die Involvierten mit der Kreatur auseinandersetzen werden, welche sich an die Fersen von dem Wesen Lele geheftet haben und selbiges lauernd wie ein Rudel hungriger Wölfe beobachten. Sollte im Anschluss noch etwas von dieser Lele übrig bleiben, so wird Rawhiti jene vielleicht für mehr als nur für künstlerische Tätigkeiten heranziehen...


      "Madame Musou?",erklingt es aus dem Mund von einem der Gildenmeister. Die Angesprochene hebt den Kopf und wendet sich den Herrschaften zu. "Wir hätten hier etwas für Sie." ,folgt es aus dem Mund eines anderen. Rawhit nickt und tritt zu den Herrschaften heran. "Dann lassen sie mal sehen meine Herren.", erklingt ihre gewohnt distanziert, kühle Stimme.

    • Hinweis

      Zum Verständnis der folgenden Situation empfiehlt es sich ggf. die Geschichte "Der Mann mit der Maske", Iliaz Lexikoneintrag & den Unterpunkt Geheimnisse vorher zu Gemüte zu ziehen. Sollte dem einen oder anderen Rawhitis Geschichte noch nicht bekannt sein, empfehle ich auch hier einen Abstecher zu ihrem Lexikoneintrag.




      Rückkehr


      Velia in der Nacht

      Es war bereits zu vorgerückter Stunde, als die Madame Velia erreichte. So spät, dass die Straßen der Stadt leergefegt waren. Die Festlichkeiten des Erntedankfestes schienen also beendet.
      Wie angenehm die nächtliche Ruhe der Stadt für Rawhiti war. Ganz im Gegensatz zum lauten Calpheon.
      Die Hauptstadt des Westens hatte sich in den vergangenen Tagen zu einem laut schreienden Pfuhl entwickelt. Die Stadt war in Aufruhe, als der Klerus vor einigen Wochen zwei vermeintliche Hexen auf den Scheiterhaufen verbrannte. Ängste und Sorgen machten sich in den Gassen breit. Aber auch Missgunst und Verachtung. Verrat und Lügen ließen innerhalb der Bevölkerung nicht lange auf sich warten. Etwas was den kurzweiligen Aufenthalt der Madame in Calpheon nicht sonderlich angenehmer machte.

      Umso zufriedener war Rawhiti, als sie die Möwe betrat und auch hier feststellte, dass sich der nächtliche Betrieb in Grenzen hielt. Mit nur wenigen Schritten betrat sie ihr Büro, in der Erwartung Varesh hinter einem Stapel Pergamenten vorzufinden, doch ihre Stellvertreterin befand sich, der Finsternis nach zu urteilen, nicht in diesen Räumlichkeiten.
      Eine dahingleitende Handbewegung entzündete die Kerzen des Raumes und tauchte die Umgebung in ein warmes Licht.
      Das Aufflackern der Kerzen offenbarte Rawhiti, dass sie sich bezüglich Varesh geirrt hatte. Die Frau war im Büro. Allerdings nicht am Schreibtisch sondern auf dem Sofa. Schlafend und noch dazu eigenartigerweise nackt. Kopfschüttelnd nahm die Madame den, vor dem Sofa liegenden, Mantel Vareshs auf und deckte damit die enthüllte Frau ab. Morgen würde sie sicherlich den Grund für diese Art von Vorstellung erfahren.

      Ehe sie sich weiter Gedanken über Vareshs Verhalten machen konnte, überkam die Hexe einen unangenehm stechenden Rückenschauer. Ein Blick über die Schulter verriet der Frau, dass sich noch jemand in diesem Raum befand. Das Pochen in ihrem Rückenmark, ausgelöst durch den Splitter, signalisierte Rawhiti Vorsicht walten zu lassen. Mit einer raschen Drehung stand die Frau einem dunkelhäutigem, bis auf eine hölzerne Maske, aber sonst ebenso unbekleidetem Mann gegenüber. Jedoch war seine ebenfalls anwesende Nacktheit nicht der Punkt, welchen Rawhiti befremdlich empfand. Es war die Tatsache, dass es zuvor keinerlei Anzeichen von ihm gab.
      War dies etwa das Werk von Magie?
      Ihr Blick schnellte zu dem Bannsiegel, welches das Gelände der Möwe vor fremden, magischen Zugriffen innerhalb des Gebäudes schützen sollte und offenbarte ihr ein zerrissenes Pergament, welches zwar noch an der Wand haftete, doch seine Wirkung war gebrochen.

      "Ich sehe es dir an, Rawhiti. Das "WIE" ist beinahe in deine lieblichen, halbtoten Augen geritzt." Die Stimme war krächzend, tief und völlig unpassend für den Körper, welcher ihr gegenüberstand, weiblich.
      Erst jetzt nahm die Hexe die eigentümliche dunkle Maske auf dem Gesicht des Mannes wahr. Glühende rote Punkte blickten der Frau aus den eingeschnitzten Vertiefungen der Augen entgegen.

      Bewegungslos verharrte Rawhiti in ihrer Position und beobachtete diese groteske Szene bis sich gnadenlose Erkenntnis auf ihre Gesichtszüge legte. Sie erkannte die Maske aus ihrem einstigen Elternhaus wieder.

      "Ahhh der Silbergroschen ist gefallen. Du erinnerst dich also daran...", mit einer Handbewegung deutete der Mann auf die Maske. "Mehr als 30 Jahre ist es nun her. 30 Jahre konntest du dich vor mir und ihr verstecken.", erklang wieder diese Stimme, welche eindeutig nicht zu dem Mann zu passen schien. "Sag hast du sie nie vermisst? Den Teil deiner Seele, welchen ich mir für dein missratenes Ritual geholt habe? Oder die vertrockneten, alten Seelen deiner Eltern, welche mir letztendlich nur ein schwacher Trost waren.", der Kopf des Mannes neigte sich seitlich. "Dein Teil deiner Seele hat dich sehr vermisst, Rawhiti. Bot mir gar einen Handel an.
      Gefangen in dieser Maske, aber verweilend in dieser Welt. Getragen von törrichten Gestalten, welche wir leiteten um die Wege zu dir zu finden.
      Und nun sind wir hier um zu holen was uns nach all der Zeit zusteht."

      Der Körper des Mannes machte einen Schritt auf Rawhiti zu. Mit einer fließenden Bewegung wich die Hexe im Raum zurück. Ihr dunkler, matter Panzer hatte sich bereits über große Teile des Körpers gelegt, die mörderischen schwarzen Krallen kraftvoll gespannt. Doch ehe die Madame einen Angriff oder gar eine Verteidigung eröffnen konnte, stand der Mann mit einer blitzschnellen Bewegung vor der Hexe, packte sie an ihrem noch ungepanzerten Hals und rammte die Frau gegen den massiven Schreibtisch des Büros. Ein ebenso schnell folgender Schlag mit offener Handfläche auf das Brustbein der Frau, ließ sie schockiert aufkeuchen. Während Rawhiti nach Luft rang, zersplitterte ihr schützender Panzer in tausende Teile und fiel wie unzählige Glasscherben von ihrem Körper hinab.
      "Törrichtes Weib. Deine Magie ist meine Magie. Glaubst du etwa du könntest etwas gegen mich ausrichten?" Die Maske war so nah an dem Gesicht der Frau, dass Rawhiti glaubte den Träger darunter atmen zu hören. War das etwa der Körper dieses Wanderarbeiters, welcher ein paar mal bei handwerklichen Tätigkeiten auf dem Gelände aushalf?
      Ein zorniges Funkeln breitete sich in den Augen der Madame aus. Doch da war noch etwas anderes. Eine unbekannte Note, die man nie wirklich in ihren Augen ausmachen konnte. Entsetzen.

      Mit bloßen Händen, für den Moment ihrer Macht beraubt, wollte sich die Frau von ihrem Angreifer wegdrücken, doch der Griff um ihre Kehle hielt unbarmherzig stand. Stattdessen löste sich die kräftige Hand von ihrem Brustbein und strich Rawhiti zögerlich und sanft über das Gesicht.
      "Sie hat dich sosehr vermisst. Dein Teil der Seele.", erklang die beinahe bedauernde Stimme der Maske. "Lange hat sie auf die Einigung mit dir gewartet." Der harte Griff um die Kehle der Frau lockerte sich, entfernte sich und glitt nun stattdessen über die Schulter der Madame.
      "Nein!", entfuhr es der Hexe, doch sie konnte nicht zurückweichen. Während der, von der zerissenen Seele, kontrollierte Körper des Mannes Rawhiti nun mit Zärtlichkeiten begegnete und den Leib der Frau allmählich fordernd zwischen sich und Tisch presste, gelang es der Madame wieder ihrer Kräfte Herr zu werden. Sie riss ihre tödlichen Klauen empor und stieß sie in den Leib des Mannes.

      Langsam sah die Maske auf den aufgespießten, zweckentfremdeten Körper hinab. "Du wirst es nicht aufhalten können, Rawhiti", erklang die krächzende Stimme Istars. "Du wirst eurer Einigung nichts entgegen setzten können!"
      Die kräftigen Hände des Mannes schlossen sich zielsicher um Rawhitis Hals und pressten den Körper der Frau auf den Tisch hinab. Dunkle, rauchige Nebelschwaden drangen nun zwischen den geschnitzten Mundhälften der Maske hindurch und suchten sich durch die Luft schlängelnd den Weg zu Rawhitis Lippen.
      "Du...wir... wir dürfen uns nicht einigen," presste die Hexe zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, im verzweifelten Kampf gegen die schier unmenschliche Kraft des Körpers, welcher sie erbamungslos niederrang.
      "Sie wird uns verschlingen. Sie hat dich hereingelegt. Einigen wir uns, wird Istar uns mit sich ins Nichts nehmen.
      Nicht... du kannst nicht..."