Diebesgut
Mit Herzklopfen stand Siriaka vor der Tür zur Taverne. Gestern Nacht hatte sie dort gegessen und die Leute in der Taverne beobachtet. Ein Mann hatte Bier im Akkord bestellt und getrunken und so war er in den dreißig Minuten, die Siri benötigt hatte, um ihr Stück Geflügel zu verschlingen, zunehmend besoffener geworden. Sie hatte die Gelegenheit genutzt und nachdem er gezahlt hatte, war es für sie ein leichtes gewesen, ihn um seinen Geldbeutel zu erleichtern. Zu ihrer Enttäuschung war er nicht mehr prall gefüllt, sondern er hatte nur noch drei Silbermünzen bei sich. Das Mädchen entnahm die Münzen und steckte sie in die Tasche ihres Kleidchens. Den Beutel warf sie draußen in das Gebüsch, damit ihr niemand auf die Schliche kommen konnte.
Der Plan war gut, der Lohn bescheiden, doch am Ende ging alles schief. Heute waren sie endlich losgegangen, um Nhouria zu suchen. Es war Siri schwergefallen, nicht zu sehr darum zu betteln, denn sie wollte nicht den Eindruck machen, dass sie die Pferdehändlerin mochte. Denn eigentlich tat sie das gar nicht, denn sie war gemein und garstig zu ihr gewesen. Aber irgendetwas war an der Frau dran, aus irgendeinen Grund war es ihr lieber, dass Nhouria bei ihnen war und nicht alleine irgendwo herumlungerte. Vielleicht mochte sie die Frau ja doch. Aber nur ein Bisschen! Jedenfalls konnte sie Davaab, Alierana und Zedith, Xellesa, Zedithesa oder wer auch immer sie nun war, überzeugen, heute loszugehen.
Im Regen rutschte Siri aus und saute sich ihr Kleidchen mal wieder mit Matsch ein. Aber sie konnten Nhouria in einer Höhle finden und zurück nach Glisch bringen. Die Frau war verletzt, aber Xellesa und Alierana kümmerten sich um sie. Siri war von Haaransatz bis zum kleinen Zeh vollkommen durchnässt und ihr war fürchterlich kalt gewesen, auch wenn sie das niemals zugeben durfte. Also zog sie ihr Kleidchen aus, um es, genauso wie sich selbst, vor dem Kamin zu trocknen. Und da geschah das Missgeschick. Die drei enteigneten Silbermünzen fielen heraus und gemeinerweise klimperten sie auffällig am Boden. Wäre alles nicht so schlimm, wenn Davaab das nicht gesehen und ausnahmsweise auch mal eins plus eins richtig zusammengezählt hätte. Aber er hatte und wollte wissen, woher die Münzen kamen. Und wie der gute Riese nun mal so war, überzeugte er Siri dazu, die Münzen zurückzugeben. Und darum war sie jetzt vor der Taverne mit rasendem Herzen, denn weder wollte sie die Münzen wirklich zurückgeben, noch freute sie sich auf die Reaktion der Wirtin.
Siriaka seufzte lautstark, um ihrer Nervosität Ausdruck zu verleihen. Ein Bauer, der gerade herauskam, blickte sie verwundert an, aber bevor er etwas sagen konnte, huschte sie an ihm vorbei in das warme Innere der Taverne. Denn draußen war das Wetter noch immer arglistig und schüttete immer wieder kübelweise Wasser zu Boden. Als erstes griff das Mädchen in die Tasche, um den Stift, den sie gestohlen, nein, ausgeborgt hatte, wieder zum Gästebuch zurückzulegen und dann, um die drei Münzen hervorzuholen. Sie spurtete zur Wirtin und hielt ihr die Münzen hin.
Die ältere und beneidenswert wohlgenährte Frau sah das Mädchen verwundert an und meinte: „Was willst du haben?“
„Nichts“, entgegnete Siriaka.
„Wofür dann das Silber?“
„Das gehört dem Mann, der gestern so viel Bier getrunken hat, er hat es verloren und ich will es zurückgeben.“
„Oh“, die Wirtin lächelte freundlich und nahm die Münzen an. „Da wird er sich sicherlich darüber freuen. Ich gebe es ihm heute Abend. Er kommt ja fast jeden Tag hierher.“
Siri nickte und machte eine schwungvolle Kehrtwendung, um aus der Taverne zu flüchten. Davaab wollte sicherlich, dass sie die Wahrheit sagte, aber der Mann war ja nicht da und die Wirtin musste es ja nicht wissen. Beinahe hatte sie die Tür erreicht, als sie nochmals die Wirtin vernahm.
„Siriaka?“, rief die der Kleinen nach. Siri überlegte, ob sie einfach nach draußen stürmen sollte oder sich doch lieber der Wirtin stellen. Angriff oder Flucht, Angriff oder Flucht? Sie drehte sich erneut schwungvoll um, sodass ihr Zopf regelrecht durch die Luft peitschte.
„Ja?“, fragte sie mit dem besten Unschuldsblick, den sie aufbringen konnte.
„Warum hast du ihm die Münzen nicht selbst gegeben, du bist ja vor ihm gegangen?“
Verfluchtes, schlaues Wirtsweib! Das hatte Siri bei ihrer Geschichte nicht bedacht. Wer denkt denn schon daran, dass eine einfache Wirtin so aufmerksam ist?
„Ehm…“
„Er hat sie gar nicht verloren, stimmt’s?“
„Ehm…“
„Du hast sie ihm gestohlen.“
Siri blinzelte und sah die Wirtin mitleidserregend mit ihren grünen Augen an, brachte aber kein Wort heraus. Verdammt und zugenäht, war denn die ganze Welt gegen sie? Konnte sie denn nicht einmal Glück in diesem gottverdammten, stinklangweiligen Dorf haben?
„Siriaka!“ Die Augenbrauen der Wirtin zogen sich zusammen, wie die düsterste Gewitterwolken. Für einen Moment war dem Mädchen klar, warum es hier so oft regnete.
„Ja“, meinte sie dann kleinlaut und zog den Kopf zwischen den Schultern ein. „Aber das ist einfach so passiert, darum gebe ich die Münzen ja wieder zurück.“
Die Wirtin lachte. Bei allem, damit hatte sie nicht gerechnet. „Ich gebe die Münzen zurück und sage ihm, dass er gestern zu viel bezahlt hatte, ja? Aber du lässt in Zukunft deine diebischen Finger von meinen Gästen! Was du außerhalb der Taverne anstellst, ist mir egal, aber hier sollen sich die Leute von ihrem ermüdenden Arbeitsalltag entspannen.“
„In Ordnung“, erwiderte das Mädchen und erste Erleichterung machte sich breit.
„Und jetzt husch dich raus, außer du willst was essen oder trinken.“
Das musste sie Siriaka nicht zweimal sagen. Sie nickte nochmals und eilte sie nach draußen. Sie brauchte einen neuen Plan. Davaab meinte zwar, dass er für beide sorgen würde, aber das war etwas Anderes, als eigenes Silber zu haben. Sie brauchte eine Möglichkeit, ihr eigenes Silber vor dem Riesen zu verstecken. Und auch vor den anderen. Während sie zurück zur Unterkunft lief, dachte sie weiter darüber nach. Nhouria! Genau, die Miss Pferdehändlerin würde ihr vielleicht für einen kleinen Anteil am Silber helfen. Sie musste sie fragen, wenn es ihr wieder besser ging.
"Japan ist ein wenig so wie Österreich: da hast du erstens das Meer..."