Wüstenfeuer

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    • Die Sonne brannte heiß und unbarmherzig vom wolkenlosen Himmel herab. Der Sand der unendlichen Dünen ringsherum war brennend heiß, die Hitze brachte die trockene Luft zum Flimmern. Kein Windhauch, kein Lüftchen bewegte sich und alles um mich herum war still. Alles wirkte lebensfeindlich und tot. Dennoch fühlte ich mich zu Hause. In mir loderte ein Feuer, heiß wie die Sonne, trocken wie der Sand unter meinen Füßen. Ich war ein Sohn des Wüstenfeuers. Es loderte heiß in mir und ist im Gegensatz zur Wüste war es sehr lebendig. Das Wüstenfeuer war mein Schild, meine Energie. Schon als kleines Kind hatte ich seine Präsenz gespürt, es hat mich in den kalten Wüstennächten gewärmt und beschützt. Schon damals hatte mein Vater mit Freude mein Talent unterstützt und mich darin bekräftigt, es mit offenen Armen zu aufzunehmen, als Teil meiner Selbst zu akzeptieren. Wo es für andere ein Werkzeug war, so war es für mich ein Verbündeter und so hat mich das Wüstenfeuer nie im Stich gelassen.

      Ich rückte mein Gewand, welches in dunklen Rotbraun- und Schwarztönen gehalten war, zurecht. Strähnen meines langen Haars, dass teilweise im Nacken zusammen gebunden war, fielen mir dabei ins Gesicht, doch ich beachtete es nicht. Ich hob meinen Blick und konzentrierte diesen noch einmal auf den Horizont, der sich verschwommen vor mir auftat. Nichts war zu sehen, dennoch fühlte ich einen seltsamen Knoten in meiner Magengegend. Auch wenn es keine Anzeichen für einen Sturm gab, so war ich mir sicher, dass er sich unscheinbar und schleichend aufbaute. Mit den Jahren hatte sich mein Gefahrensinn immer weiter verfeinert, auch wenn ich der Wüste nun schon seit vielen Jahren fern geblieben war, um die Tochter des Windes zu beschützen. Ich versteifte mich, als ich an das Mädchen dachte und hoffte, dass ich nicht zu früh aufgebrochen war. Aber auch mein Volk, meine Familie brauchte mich. Fünfzehn Jahre waren eine lange Zeit und wenngleich wir von Zeit zu Zeit Nachrichten ausgetauscht hatten, war es mir nicht möglich gewesen, sie zu besuchen. Das Mädchen des Windes war für die Wüste nicht bereit gewesen. Nachdenklich schüttelte ich meinen Kopf, denn ich war mir sicher, dass sie noch immer nicht bereit für die Wüste und das Wüstenfeuer war.

      Ich machte kehrt und wanderte etwas schräg die Düne hinab. Intuitiv wählte ich den sichersten Weg, der mich am sichersten nach unten bringen würde. Als Kind war ich die Dünen mehr als einmal auf meinem Hinterteil hinab gesegelt, gewollt und nicht gewollt. Dafür hatte ich nun aber keine Zeit, ich musste unbedingt die Oase Lawaliwat Alssahra' erreichen. Der Boden unter meinen Füßen fühlte sich seltsam an. Nicht die Konsistenz oder wie sich der Sand verhielt, nein, es war, als würde sich die Hitze der Wüste tief in die Erde verkriechen. Langsam, aber spürbar. Ich griff nach der Wüstenhitze, sammelte sie in meinem Geist. Nun war ich sicher, dass ein Sturm aufzog. Ein Sturm, wie er schon lange nicht mehr über diese Wüstengegend gewütet hatte. Ich beschleunigte meine Schritte und verfiel in einen trabenden Gang, den ich minütlich beschleunigte. Ich erreichte Adham, einen schwarzen Hengst, den ich vor kurzem erstanden hatte. Wild und stolz hatte es sich zu Beginn gegen mich, gesträubt. Doch als Adham erkannt hatte, dass ich ihn als Freund und Gefährten, nicht als geistloses Nutztier ansah, hatte ich sein Vertrauen erhalten und er war mir ein treuer Begleiter geworden. Ich hatte mich noch nie an Kamele gewöhnen können.

      Doch die Oase Lawaliwat Alssahra' war nicht so tief in der Wüste, mit einem Pferd noch gut zu erreichen. Dennoch würde mein treuer Begleiter eine längere Rast und viel Wasser brauchen. Hoffentlich würde er vor dem Sturm noch die Gelegenheit dazu haben. Ich trat zu dem Hengst, der im Schutze einiger Felsen im Schatten ruhte und klopfte ihm sanft auf die Flanke. Er begrüßte mich mit einem Wiehern, während ich mich eilig auf seinen Rücken schwang. Adham der mit Zaumzeug ohne Trense oder Kandare aber ohne Sattel ausgerüstet war, schien meine Eile zu spüren und beschleunigte soweit es der sandige Boden zuließ.

      Nach einer halben Stunde konnte ich die Silhouette der Oase erkennen. Ich fühlte mich sofort an meine Kindheit erinnert, doch ich hatte keine Zeit, in Erinnerungen zu schwelgen. Mittlerweile war die Luft sehr viel dunstiger geworden, der Boden kälter. Das Wüstenfeuer hatte sich in die Tiefe verkrochen, hinter mir hatten sich erste Winde erhoben. Bei diesem Gedanken dachte ich an Rana, die Tochter des Windes und musste trotz der ernsten Situation lächeln. Tiefblaue Augen und ein gutes Herz. Eines Tages würde der Wüstenwind vielleicht auf sie hören, doch noch war sie zu jung, zu unerfahren, zu vorsichtig und zurückhaltend. Sie musste und würde ihren Weg finden, noch stand sie am Anfang diesen Pfades. Ich lenkte meine Gedanken ins Jetzt zurück. Vor mir konnte ich zwischen den schützenden Palmen die ersten Zelte erkennen. Ihr Stil hatte sich ein wenig gewandelt, doch die aufgezeichneten Muster waren die selben wie Damals. Familie. Der Gedanke gesellte sich zum wärmenden Wüstenfeuers und ich konnte nicht anders, als ein wenig zu lächeln. Mit wehender Kleidung erreichte ich die Oase, die gar nicht so klein war. Die Quelle in ihrem Zentrum war scheinbar noch immer ergiebig und klar. Ich steuerte direkt auf diese zu und glitt vom Rücken meines Pferdes. Ein kleiner, dunkelhäutiger Junge in einem einfachem Kaftan kam direkt angerannt und ich reichte ihm die Zügel. Ich klopfte dem jungen auf die Schulter und musterte die dunklen Augen, das krause Haar. Er schien in Ranas Alter zu sein und sein Grinsen erinnerte mich an das von meinem Bruder Adil.
      "Du musst Anwar sein, richtig?" Ich blickte ihn fragend an, doch seine ganz Erscheinung erinnerte an meinen älteren Bruder Adil, der mir den Jungen in seinen Nachrichten sehr gut beschrieben hatte.
      Der Junge nickte und schien einen Augenblick zu überlegen. Natürlich hatte er mich noch nie gesehen und ich wusste nicht, was Adil ihm über mich erzählt hatte.
      "Ich bin dein Onkel, der viele Jahre auf Reisen war. Danke, dass du mich um mein Pferd kümmerst. Ich muss mich mit deinem Vater und Akeem al Ameer unterhalten. Sei vorsichtig, das Wüstenfeuer hat sich zurückgezogen und der Wut der Lüfte platz gemacht," erklärte ich ihm schnell.
      Der Junge nickte verstehend und beeilte sich, mein Pferd zu versorgen, während ich direkt zum größten Zelt am Rande des Wassers zusteuerte. Die Plane war in Beige- und Brauntönen gehalten, im Gegensatz zu den anderen Zelten aber trug es aber besonders viele Verzierungen. Manche davon waren mir unbekannt, andere sehr vertraut. Ich trat an den Zelteingang, wo ein junger Mann in der Robe eines Wächters stand. An seiner Seite trug er stolz seine Klinge, sein Blick war konzentriert und ernst. Ich war mir nicht sicher, ob wir uns kannten, zu viel Zeit war vergangen. Ich hob meine Hand und zeigte ihm die Innenfläche, auf welcher die Zeichen unseres Stammes, meiner Familie in dunkler, bräunlicher Farbe ähnlich von Henna tätowiert waren. Der Wächter nickte und hob die Zeltplane an, damit ich eintreten konnte. Ich nickte ihm dankbar zu und trat mit gemischten Gefühlen ein.
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      Mendred: "... aber mit dem Schwert geht's schneller."
    • Das Zentrum des Zeltes wurde von einem kleinem, gut gesichertem Lagerfeuer beherrscht. Friedlich tanzten die Flammen unter einem Kessel, vermutlich mit Wasser für Tee befüllt. Funken und Rauch stoben nach oben, einer Öffnung an der Zeltmitte entgegen. Mit etwas Abstand zum Feuer waren schwere Teppiche auf dem Boden ausgelegt. Mein Blick wanderte über die vielen Kissen auf der linken Seite zu einem mit Stoffen abgeteilten Bereich weiter hinten, rechts davon waren die Besitztümer in großen Kisten gelagert. Abgesehen von Akeem al Ameer, meinem Vater, war niemand im Zelt zu sehen. Ich trat an meinen Vater, der gerade in Gedanken versunken an seiner Wasserpfeife sog, heran und verneigte mich respektvoll, eine Hand vor der Brust, die andere an den Griff meines Schwertes, welches ich dann in einer fließenden Bewegung löste und quer zwischen uns auf den Boden legte. Auf Akeems faltigem und vom Wetter gegerbtem Gesicht erkannte ich zuerst Überraschung, dann eine Mischung aus Traurigkeit und Freude.

      Ohne zu sprechen blickten wir uns einige Momente an, doch dann legte er das Mundstück der Wasserpfeife, deren Rauch die nähere Umgebung in eine sanfte Apfelnote tauchte, zur Seite und hob die Arme während ich mich schon auf die Knie begab und meinerseits die Arme zu einer herzigen lang anhaltenden Umarmung ausgestreckt hatte. Viel zu lange war es her und obwohl ich die letzten Jahre mit meinem Schützling Rana nicht bereute, so spürte ich, wie auch meine Familie, mein Volk mir abgegangen war. Ich setzte mich zu einem Schneidersitz direkt gegenüber meinen Vater, welcher noch immer nach Worten rang, obwohl er sonst ein großer Redner und Anführer für unser Volk war. Sein einst rabenschwarzes Haar war nun von Grau in verschiedenster Nuancen durchzogen, die Krähenfüße und Runzeln um die Augen und Mundwinkel tiefer geworden. Doch er wirkte noch immer stark und stattlich, selbst im Sitzen wirkte er noch groß, er war hochgewachsen, größer als fast alle, die in der Oase lebten. Seine braunen Augen musterten mich, noch immer hatte ich dabei das Gefühl, als würde er tief in meine Seele blicken. Es gab niemandem, der ich mehr Respekt zollte, als meinem Vater.

      "Karim," begann er zu sprechen.
      Seine Stimme klang etwas rauher, als ich es in Erinnerung hatte, dennoch war der Klang noch immer melodisch und warm.
      "Du warst eine lange Zeit fort. Hast du gefunden, was du gesucht hattest?"
      Ich nickte langsam, aber überzeugt. Ja, ich hatte gefunden, was ich gesucht hatte. Das Ziel, welches mir die Wüste vor so langer Zeit offenbart hatte. Vielleicht konnte ich meinem Vater die kleine Windläuferin eines Tages vorstellen. Wie früher erbat mein Vater keine weitere Erklärung. Sein Vertrauen wärmte mein Herz, bekräftigte mein Vertrauen in ihn. Später würde ich ihm von ihr erzählen, doch die Kälte, die näher kroch, erinnerte mich an den drohenden Sturm.
      "Vater, wir haben uns lange nicht gesehen und es gibt so viel zu bereden, doch ein starker Sandsturm droht, obwohl die Zeichen dafür noch nicht zu erkennen sind. Das Wüstenfeuer, die Hitze des Sandes, sie hat sich schon in die Tiefen verkrochen... es ist, als wäre tiefste Nacht, obwohl die Sonne noch nicht unter gegangen ist. "
      Ich verdrängte den innigen Wunsch, die nächsten Stunden in Erzählungen mit meinem Vater zu schwelgen und richtete mich wieder auf, mein Vater, der stumm genickt hatte, hatte sich ebenfalls erhoben. Seine wallenden Gewänder schmiegten sich um seine stattliche Gestalt, das leicht gewellte Haar fiel wie ein Wasserfall über seine Schultern.
      "Wir werden dem Sturm trotzen, wie wir allem trotzen... und die Kälte wird uns nicht erreichen, denn nun ist dein Wüstenfeuer bei uns, mein Sohn."
      Akeems Stimme war nun kräftiger, entschlossen, das, was uns beiden wichtig war, zu beschützen. Ich hob mein Schwert auf und befestigte es wieder an meine Seite, dann traten wir gemeinsam vor das Zelt.

      Akeem al Ameer, Anführer der Bewohner der Oase Lawaliwat Alssahra, hob seine Arme empor und klatschte drei Mal laut in die Hände. Die Zeltwache, und zwei weitere Männer in direkter Umgebung hielten kurz inne und eilten davon, denn sie wussten, was diese Geste bedeutete. Die Eingangsplane des benachbarten Zeltes wurde angehoben, der Kopf mitsamt eines langen Zopfes einer jungen Frau schob sich heraus. Sie nickte zu Akeem und mir dann verschwand ihr Kopf. Kurz darauf konnte ich ihre klare, helle Stimme hören, wie sie wohl ein paar Kinder im Zelt aufscheuchte. Es dauerte nicht lange, bis eine Gruppe von Familienvätern und weiteren Wächtern, darunter auch einige Frauen, zu Akeem al Ameer traten.
      "Ein Sturm, wie wir ihn schon seit vielen Jahren nicht zu spüren bekommen haben, wird uns bald ereilen. Befestigt alles, was ihr könnt, bringt die alten, kranken und kleinen Kinder in die Ahatmi-Höhle. Die Jugendlichen kümmern sich um unsere Tiere, der Rest von euch weiß, was zu tun ist." Die Stimme meines Vaters war entschlossen, ohne Furcht und mit Vertrauen an sein Volk. Er durfte weder Sorge oder gar Furcht zeigen, denn alles, was er sagte, tat und zeigte nahm Einfluss auf die Bewohner der Oase. War er aber stark und mutig, so waren sie zuversichtlich und ebenso stark und mutig. Obwohl die Situation ernst war, konnte ich nicht vermeiden, zu lächeln. Ich war zu Hause. Das Wüstenfeuer tobte und gab mir Kraft. Dieser Sturm würde uns nicht in die Knie zwingen. Kurz dachte ich an Rana, die Windläuferin. Obwohl ich vom Wind nicht so viel verstand, wusste ich, dass seine Kräfte vielschichtig waren. Ranas Windmagie würde niemandem so schaden, wie es dieser Sturm tat, denn er war ein Abbild der Schwärze, die tief in der Schwarzwüste verborgen lag und jeden, der sich nicht in Acht nahm, verschlingen würde. Ich spürte den Blick meines Vaters auf mir und nickte. Später.

      Ich lenkte meine Schritte an den Rand der Oase, dort wo sich eine Düne in den Himmel erhob. Mit weiten Schritten erklomm ich den immer schneller auskühlenden Sand, der nun schon stärker vom Wind durch die Luft gewirbelt wurde. In der Ferne konnte ich den Sturm nun erkennen. Noch war er klein, wie eine dünne, schwarze Linie, die sich dicht über den Boden voran schob, noch weit entfernt. Mein innerstes rumorte, es war, als würde ein Damm kurz vor dem Zerbersten stehen. In den wenigen Augenblicken, in denen ich den Horizont fokussiert hatte, hatte sich die dünne Linie schon verdoppelt. War der Sturm erst einmal hier, würde der Sand wohl hunderte Meter in die Luft geschleudert werden. Tief in meinen Eingeweiden spürte ich das Grollen und Tosen, dass in nur wenigen Stunden über uns hinweg branden würde. Meine Hände ballten sich ungewollt zu Fäusten. Dann wandte ich mich um und eilte zurück in die Oase, um meinen Leuten zu helfen.
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      Mendred: "... aber mit dem Schwert geht's schneller."
    • Ich rannte zwischen den Palmen, deren Stämme sich mittlerweile stärker im Wind bewegten, durch. Das Rascheln ihrer Blätter wurde immer lauter, als würden sie in Panik aufschreien. Hier und da klapperte eine Laterne, deren Lichter längst gelöscht worden waren. Die Gefahr eines Feuers war zu groß geworden. Ich hörte meinen Bruder, wie er einigen Männern Aufgaben zu rief, doch ich lenkte meine Schritte in eine andere Richtung. Ich kontrollierte die abgelegenen Zelte und Verstecke, die die Oase bot. Manchmal gab es jemanden, der die Warnsignale nicht bemerkt hatte. Ich kannte da so einen Kandidaten und wunderte mich, ob er seine Umgebung noch immer nicht beachtete. Ich erschauderte, als eine weitere, starke Böe meine Kleidung ergriff und ein kleines Fass in der Nähe umwarf und davon rollen ließ. Ich zog das Tuch um meinen Hals über meinen Mund, denn ich hatte keine Lust, die halbe Wüste zu schmecken. Was früher oder später ohnehin der Fall sein würde, doch ich zögerte den Moment so lang es ging heraus.

      Ich erreichte eine kleine Senke, zu der ein kleiner Ausläufer der Quelle hin zog. Hier wuchs das Schilf hoch, von der anderen Seite von einigen Gesteinsbrocken geschützt. Das Schilf raschelte laut, gemeinsam mit dem dem starkem Wind zu einem chaotischem Lied vereint. Ich bog einige Gräser, die mir die Sicht verschleierten, zur Seite und erreichte das kleine, freie Plätzchen, das Kerem so liebte. Tatsächlich saß der alte Mann dort an einen Stein gelehnt. In seiner Hand hielt er eine Pfeife, längst vom Wind ausgeblasen. Er hatte die Augen geschlossen und es wirkte, als würde er die raue Umarmung genießen. Ich schnaubte fast amüsiert, als ich ihn so dösen sah. Seine faltiges, von der Sonne braun gebranntes Gesicht wirkte zufrieden, beinahe sorglos. Ich stemmte meine Arme in die Hüften und schüttelte den Kopf.
      "Kerem, aistayqaz!" rief ich laut, doch er reagierte nicht.
      Ich beugte mich vor und rüttelte etwas fester an seiner Schulter. Erst dann öffnete er seine Augen und blickte mich verwundert an. Es überraschte mich nicht, denn auch er hatte mich fünfzehn Jahre nicht gesehen. Für mich hatte er sich kaum verändert, doch ich musste auf ihn fast wie ein Fremder wirken. Es dauerte noch einen Moment, dann richtete er sich auf und umarmte mich.
      "Karim, ich wusste, dass du kommen würdest. Allerdings hatte ich gehofft, dass du die Wut der Wüste nicht mitbringen würdest... doch ich habe schon lange gespürt, dass es unvermeidlich sein wird. Nur wann... das wusste ich nicht. Natürlich hat mir niemand geglaubt...," erklärte er mit einer Ruhe, die in der Oase kaum einer aufbringen konnte, wenn ein Sturm dieser Natur heran nahte.
      Kerem war schon immer ein eher mystischer Charakter gewesen, andere hatten schon vor langem behauptet, er wäre nur ein verrückter Mann, der sein Wüstenfieber in jungen Jahren nie richtig auskuriert hätte. Ich war mir selbst nicht sicher, lange Zeit hatte ich den anderen in dieser Sache geglaubt, doch schon in den Monaten, bevor ich meine Heimat verlassen hatte, hatte er Dinge gesagt, die zwar seltsam aber irgendwie auch richtig erschienen waren. Er war eine Art verrückter Weiser, der sich seltsam benahm, aber in seinem Wahnsinn Wahrheiten aufdeckte, an die sonst niemand gedacht hätte.
      "Wenn du von dem Sturm wusstest, warum hast du niemanden gewarnt und sitzt noch immer hier? Das ist kein sicherer Ort, Kerem," erklärte ich, während ich ihn sanft aber bestimmt durch das Schilf schob.
      "Oh, das habe ich, aber vermutlich habe ich mich ungeschickt ausgedrückt," antwortete er entschuldigend. Seine Stimme war kratzig und rauh.
      Ich fragte mich, wie lange er mal wieder an diesem Eck gesessen war. Irgendwo entfernt erklang ein peitschenartiges, reißendes Geräusch. Ich blickte mich kurz um, doch ich konnte nichts erkennen. Womöglich hatte der Sturm eines der Zelte beschädigt. Wenn das jetzt schon der Fall war, was würde erst passieren, wenn der Sturm angekommen war?
      "Du solltest besser auf dich aufpassen, mein Freund. Dieser Sturm ist anders."
      Kerem wollte zu einer Antwort ansetzten, doch vermutlich hatte er mir Sand als ihm lieb war eingeatmet und so hörte ich nur ein ersticktes Husten. Ich führte ihn am Ufer entlang, hier gab es einige Stellen, an denen weniger Palmen standen. Mittlerweile war der Sturm angekommen, sein Tosen übertönte die Rufe der anderen Leute und schränkte die Sicht stark ein. Mittlerweile konnte ich außer Kerem kaum etwas erkennen, eine weitere Böe peitschte uns um die Ohren und ließ uns ins Wasser stolpern. Der Sturm hatte uns erreicht, wir würden den Unterschlupf kaum noch erreichen. Ich blieb am Ufer und ging in die Knie, zog Kerem mit mir zu Boden. Der alte Mann würde es nicht schaffen, sich sicher genug weiter zu bewegen. ich half ihm, sein Gesicht mit seinen Tüchern zu bedecken, danach zog ich meine Stoffe enger an mich. Mittlerweile hatte ich überall Sand, die Hüften abwärts waren wir beide nass und schlammig.
      "Karim, das Wüstenfeuer hat sich zurückgezogen, der Dämon aus der Tiefe hat die Luftgeister gebändigt und auf uns gehetzt...," Kerems Stimme war kaum zu verstehen, ich erahnte eher, was er sagte, als dass ich es verstand. Ich nickte und packte seinen Arm fester, während ich mit der anderen nach einer Wurzel ergriff.
      Ich fühlte die Abwesenheit des Wüstenfeuers genauso schmerzlich, mittlerweile war es kalt und dunkel. Der Sand hatte das sinkende Sonnenlicht schon vor der hereinbrechenden Nacht verschluckt. Es fühlte sich an, als wären wir verlorene Seelen im weitem Nichts, doch das erschreckte mich nicht. Ich war keine Person, die leicht aufgab. Ich krallte meinen Verstand an den letzten Funken Wüstenfeuer, zog es wärmend und schützend um Kerem und mich. Was auch immer der Dämon aus der Tiefe wollte, er würde uns nicht besiegen. Ich schloss meine Augen und konzentrierte mich auf den Schutz. Das Wüstenfeuer war nicht ganz verschwunden, daran konnte auch der Sturm nichts ändern. Niemals.
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    • Eisige Kälte. Dunkelheit, schwärzer als jede Mondlose Nacht. Meine Hände waren taub, ich könnte nichts hören, fühlen oder schmecken. Fühlte sich so der Tod an? Die Leere der Vergessenheit? Dennoch wirbelten meine Gedanken unklar und wirr umher. Weit entfernt, tief in meinem Innerem spürte ich das winzige Glimmen des Wüstenfeuers, kaum mehr als ein kleiner Fleck kurz vor dem Erlöschen. Nein! Das plötzliche Geräusch meiner Stimme war wie das explodierende Geräusch eines Donners, der sich schallend zwischen den Felswänden einer Schlucht verstärkte. Das Glimmen wärmte mich von Innen heraus, gab mir Kraft. Irgendwo um mich herum spürte ich Verärgerung, als wäre einer Wesenheit mein starker Wille zu wieder. Mühevoll öffnete ich meine Augen, doch noch immer herrschte Dunkelheit. Es war, als befände ich mich mitten im Nichts. Eindrücke wie Einsamkeit, Verlust und Angst versuchten sich durch meine Sinne in meine Seele zu brennen, doch ich stieß sie von mir. Ein wütender Strudel versuchte mich straucheln zu lassen, doch ich gab nicht nach. Plötzlich erschienen zwei glimmende Augen vor mir. Doch das Leuchten strahlte keine Wärme oder Freundlichkeit aus. Eisig und blau fiel der stechende Blick auf mich, ringsum bildete sich ein eisiger Nebel, der mich in die Tiefe zu drängen versuchte.
      "Gieb nach, Wüstensohn, du hast doch längst verloren," höhnte eine tiefe, hasserfüllte Stimme.
      "Dein Herz und deine Seele gehören doch längst mir, schon vor deiner Geburt wurde entschieden, wo dein Schicksal liegt."
      Für einen Augenblick fühlte sich die Stimme in ihrem Klang furchtbar vertraut an, doch dann fühlte sich alles wie eine Falle an, wie das Licht, dass ein Insekt anzulocken versuchte. Ich griff nach dem schwachen Licht des Wüstenfeuers, darum bemüht es anzufachen, es zu erhitzen. Die viele Jahre lang antrainierte Ruhe und Stärke wandelte sich zu unbändigen Zorn, ich konnte mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal solche Wut gespürt hatte. Tief im Herzen weggesperrt hatte sie noch immer wie das Wüstenfeuer aufgelodert. Kontrolle. Bedächtigkeit. Klugheit und Weisheit. Alles zusammen war das Netz, dass die Emotionen kontrollieren, damit sie den Verstand nicht trüben. Doch manchmal konnten Emotionen ein unglaublicher Katalysator für Kraft sein.

      Ich spannte meine Arme an und streckte sie zu den Seiten weg, auf den Handinnenflächen bildeten sich Flammen, die sich zu heißen, brennenden Kugeln verfestigten. Ich grinste die kalten Augen vor mir herausfordernd an. Für einen Augenblick spürte ich Amüsement, doch dann baute das, was auch immer sich vor mir befand, einen Schutzwall aus Luft und Stein auf. Ich schickte mein Feuer los, wild und ungebändigt hüllte es mein Gegenüber aus der Tiefe ein.
      "Tut mir Leid, aber heute bekommst du mich nicht!"
      Mein Brüllen, kräftig und Laut fühlte sich fremd an, fast als käme es aus allen Richtungen. Die Fassade der Wesenheit bröckelte, doch ich hatte nicht den Eindruck, gewonnen zu haben. Vielmehr war es, als hätte ich etwas frei gelassen, das besser in der Tiefe belassen wäre. Mit einem wütendem Grollen gab es nach und verschwand in die Tiefe, nicht ohne mich noch einmal daran zu erinnern, dass nun was auch immer begonnen hatte. Mit seinem Verschwinden wurde es wieder wärmer, das Wüstenfeuer entflammte zu seiner ursprünglichen große und wärmte mich und meine Gedanken, riss mich aus der tiefen Dunkelheit zurück in die Realität.

      Ich spürte, wie ich auf die Knie sackte, meine Hände halb in den nassen Sand des Ufers gebohrt. Ich konnte mich nicht erinnern, gestanden zu haben, meine letzten Erinnerungen kreisten darum, Kerem beschützt zu haben. Ich spüre noch einen starken Wind, doch der Sturm hatte nachgelassen. Meine Kleidung war nass, voller Sand und Schlamm. Mühevoll öffnete ich meine Augen, völlig vom Dreck verklebt. Ich drehte mich unbeholfen um und spülte sie mit dem Wasser aus. Erst jetzt hörte ich Kerems Stimme. Ich drehte mich zu ihm um und erkannte ihn im schwachen Mondlicht am Rücken liegend, halb im Wasser, halb am Ufer. Erschöpft aber erleichtert blickte er mich an.
      "Du hast mich besorgt, Akeem. Du hast seltsame Dinge von dir gegeben und sogar gebrüllt. War es..?" krächzte der geschwächte Mann, doch ich schüttelte nur meinen Kopf und winkte ab.
      "Nicht jetzt. Ich bin in Ordnung. Komm, alter Mann. Gehen wir die anderen suchen und nach dem Rechten sehen."
      Ich reichte Kerem die Hand und zog ihn langsam auf die Beine. Sein Stand war wackelig. Fast musste ich lachen, wir beide sahen aus, wie zwei Gestalten aus den Sümpfen um Glisch herum. Ich erlaubte mir einen Blick ringsum. Die meisten Palmen hatten den Sturm überstanden, doch einige waren abgebrochen oder gar entwurzelt worden. Überall waren Blätter, Schilf und Gegenstände aus dem Lager verteilt. Das Licht des Mondes, welcher mittlerweile frei von Wolken war, reichte nicht aus, um bis zu den Zelten sehen zu können, doch ich konnte einige Fackeln erkennen. Also waren die ersten aus dem Schutz der Höhle gekrochen. Ich fragte mich, wie lange ich in diesem seltsamen Traum gefangen war, doch ich sprach es nicht aus. Wer weiß, was der gute, alte Kerem wieder daraus machte. Vorsichtig bahnten wir unseren Weg in Richtung der Zelte, von denen hoffentlich einige überlebt hatten. Mein Kopf fühlte sich schwer an, ich tat mich schwer, mich zu konzentrieren. Es würde einige Tage dauern, bis ich meine Gedanken wirklich geordnet hatte, doch in einem war ich mir sicher; was auch immer heute passiert war, war mehr als nur ein Sturm und ein seltsamer Traum gewesen.
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      Mendred: "... aber mit dem Schwert geht's schneller."