Erinnerungsfragmente

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    • Erinnerungsfragmente


      Langeweile

      Valencia, 259, gegen Mittag
      Im Hinterhof eines heruntergekommenen Lehmhauses

      Es ist heiß.

      Die Luft steht still und ist knochentrocken. Gleißend hell flackert die Sonne hoch am Himmel. Sie ist wie eine erbarmungslose Göttin, die in Gestalt einer weißen, konturlosen Kugel über uns thront und sich im kalten Blau des Himmels abkühlt. Die kein laues Lüftchen wehen lässt und keine Wolken um sich duldet. Wie ein Brandloch, das sich gefräßig durch ein makelloses, himmelblaues Stück Stoff frisst.

      Mutter würde bei dem Gedanken gewiss einen gehörigen Schreck kriegen.

      Gelangweilt beobachte ich sie. Wie sie mit kritischem Blick und schrumpeligen, blauen Fingern über das frisch gefärbte Seidentuch gleitet, das zum Trocknen auf der Wäscheleine hängt. Es ist windstill und unerträglich heiß, doch es scheint Mutter nichts auszumachen. Sie arbeitet unermüdlich. Fleißig. Sorgfältig. So, wie sie es immer tut. Sucht mit einer Engelsgeduld und absoluter Konzentration das edle Stofftuch nach Farbunregelmäßigkeiten, losen Fäden oder Löchern ab. Ohne sich dabei ein einziges Mal zu beklagen.

      Ich dagegen sitze im etwas kühleren Schatten einer Kokospalme mit hochrotem Kopf da und wische mir seufzend den Schweiß von der Stirn. Furchtbar wehleidig und mit zerknautschtem Gesicht, als wäre ich kurz davor zu sterben. Meine kleinen Füße baumeln von der bröckeligen Mauer herunter, die unseren staubigen, sandigen Hinterhof umgibt. Ein weißes Huhn gackert unter mir. Trottet mit gemächlichem Tempo im Kreis und pickt hier und da irgendetwas auf, das ich nicht erkennen kann. Krabbeltiere oder Samen oder so. An seinem linken Fuß fehlt eine Kralle, doch das scheint den kauzigen Vogel nicht zu stören. Genauso wenig wie die grausige Hitze. Was ist bloß mit allen los hier? Wie können alle so aktiv und unbeeindruckt sein? Demonstrativ fächere ich mir etwas Luft zu. Es bringt natürlich überhaupt nichts. Nicht in dieser Bullenhitze, die um uns wabert wie heiße, feurige Glut. Ich kann die Schlieren, die in der kochenden Luft flimmern, wortwörtlich vor meinen Augen sehen.

      Dann ist meine Aufmerksamkeit schlagartig woanders. Irgendwas gräbt sich unangenehm in meine Fußsohle und tut weh. Ich zerknittere miesepetrig die Augenbrauen und ziehe mir den knöchelhohen Stoffschuh aus. Drehe ihn um und schüttele die lästigen Sandkörner und Steinchen aus, die wohl irgendwie durch eines der vielen Löcher dort hineingekommen sind. Verziehe dabei angewidert das Gesicht, als auch ein vertrockneter, toter Käfer herausfällt. „Igitt.“ Wie lange der wohl schon mit meinem Fuß da drin war? Ich will es lieber gar nicht wissen. Das Huhn wackelt neugierig mit dem Kopf und watschelt dann zielgerichtet auf das tote Insekt zu. Ich sehe weg, als der Schnabel darauf zuschießt.

      „Mama, mir ist langweilig“, quengele ich dann und stülpe mir den Schuh wieder über. Mache ein entsprechend motziges Gesicht, doch Mutter dreht sich nicht zu mir um.

      „Dann komm und hilf mir, statt dort faul herumzusitzen und zu jammern.“ Sie klingt dabei nicht genervt oder gar tadelnd, sondern vielmehr amüsiert. Macht sich offensichtlich lustig über mein ach so schweres Leid und nimmt mich nicht ernst. Ich scheine das aber gar nicht zu registrieren. Wahrscheinlich bin ich dafür noch zu jung mit meinen zehn Sommern.

      „Aber es ist so heiß… Ich kriege bestimmt einen Sonnenstich. Davon kann man sterben, hat Rezi gesagt. Und ich will noch nicht sterben. Dann kann man nichts mehr machen.“

      Mutter lacht leise und schüttelt bloß den Kopf. „Dann solltest du dir schleunigst Beschäftigung suchen, ehe du stattdessen vor Langeweile stirbst.“

      Ich plustere beleidigt die Wangen auf und verschränke die dürren Arme vor der Brust.

      „Haha, sehr witzig. Ich such mir schon was. Etwas, das Spaß macht. Und wo man nicht die ganze Zeit auf langweilige Tücher starrt“, sage ich trotzig und schnaube laut durch die Nase.

      Ich weiß genau, was als nächstes passiert. Was ich tue. Wohin ich gehe. Wem ich begegne. Fühle mich, als sei ich wieder zehn Sommer alt. Als stünde ich zur selben Zeit mit vierunddreißig Wintern daneben. Wie ein fremder Beobachter außerhalb meines Körpers. Ein Geist aus der fernen Zukunft. Beobachtend. Reflektierend. Schwimmend in einem Gefäß, das mit einer trüben, schmutzigen Flüssigkeit gefüllt ist, die nach Erinnerung und Sehnsucht schmeckt. Ich blicke durch die Augen einer Erwachsenen und fühle mit dem Herzen eines Kindes. Es ist, als sei ich ich und gleichzeitig auch nicht. Kimaya hier und Rhaida dort. Zwei Seiten derselben Medaille aus unterschiedlichen Zeitaltern.

      Und ich weiß, dass du hier irgendwo bist. Meine Zuflucht. Meine Geborgenheit. Mein Zuhause.

      Auf einmal dreht sich mein kleines Ich auf dem brüchigen Mauergestein um und hüpft auf der Seite des Trampelpfads herunter. Der Staub des sandigen Weges wirbelt dabei auf und hüllt meine kaputten Schuhe in eine Wolke aus Dreck und trockenen Grashalmen. Ich klopfe mir mehr schlecht als recht das schmutzige Hinterteil ab und laufe los.

      Zu dem Ort, an dem du bist. Dem Ort, an dem alles begann.

      „Pass auf dich auf und bring dich nicht wieder in Schwierigkeiten!“, höre ich Mutter noch rufen und ich brülle bloß ein freches „Ich versuch’s!“ über meine magere Schulter zurück. Sause am Ende des unbefestigten Trampelpfads um die Ecke an unserem schäbigen Lehmhaus vorbei und anschließend die Straße hinauf, die hier und da mit Kopfstein gepflastert ist. Um mich herum stehen ähnlich hässliche Lehmhütten mit zerfledderten Holztüren und bröckeligem Mauerwerk. Palmengewächse und trockene Dornengestrüppe wuchern am Wegesrand und eine knochige, alte Ziege grast auf einer verdorrten Wiese. Sie hebt kauend den Kopf und starrt mich böse an, als fühlte sie sich von meiner Präsenz gestört, aber ich bleibe sowieso nicht lange und laufe weiter.

      Immer weiter und weiter. Bis zum Marktplatz im Händlerviertel der Stadt.

      Bis zu dir, Rawhiti.
      Noot noot!
    • Mein vertrocknetes Herz, welches durch den Strom meines dunklen Blutes genährt wird, beginnt zu schlagen. Es zieht und reißt in mir, als würde es sich gegen die fremden Gefühle wehren.
      Meine Augen umhüllt ein nebelartiger Dunst. Ich schließe meine Augen und fühle, wie mein Selbst in einen Schlund von Erinnerungen fortgerissen wird. Sie tanzen wie kleine Fragmente vor mir herum. Ich greife danach und plötzlich ist alles fort.
      Ein gleißendes Licht... es blendet. Alt und vertraut. Die Sonne Valencias.
      Nun sehe ich deutlich die parallel laufenden Linien zweier Leben, welche sich langsam wie Dornensträucher ineinander verknoten.
      Der Auftakt, wie alles wurde. Wie es geschah.

      Das bin ich. 23 Sommer jung.


      Bote


      Valencia, 259, gegen Mittag
      Ein Laden abseits der Hauptstraßen

      Ich hasse es.
      Schießen mir die Gedanken frei und unverblümt durch den Kopf. Jeden Tag in diesen verlausten, staubigen Laden des Alten zu gehen. Kein Vorankommen, keine Ergebnisse. Es ist einfach nur unbefriedigend.
      Ich halte meine Hand abdunkelnd über die Augen, um nicht von der stechenden Sonne über Valencia geblendet zu werden, als ich die Tür quietschend zum Laden des alten Alchimisten öffne.
      Wirklich ein sonderbarer Kauz. Verbohrt und sturköpfig wie ein Wüstensteinbock.
      Ich schließe die knarrende Holztür hinter mir und gewöhne mich nur langsam an das diffuse Lichtverhältnis in dem vollgestopften Raum. Wohin man nur sieht: Zutaten, Gewürze, Behältnisse und viele, viele Bücher.
      Bei allen Seelen, SEHR VIELE Bücher. Meine Augen wandern über die unsortierten, verstaubten Regale und immer wieder frage ich mich, wie es Abu Dabir schafft zu wissen, welcher Gegenstand wo steht. Langsam gehe ich an den Regalen vorbei und suche den alten Mann. Für einen Moment bleibt mein Blick auf einer hölzernen, recht schmucklosen Schatulle hängen, ehe ich durch ein Geräusch auf Abu Dabir aufmerksam werde. Er hängt gebückt über ein paar Schriftrollen, die er zu dutzenden auf einen großzügigen Tisch valencianischer Holzkunst ausgebreitet hatte. Etwas verärgert winkt er mich zu sich heran.

      „Ahhhhh“, ertönt es knarzend aus seinem Kehlkopf… wie ich diesen Laut doch hasse. [i]„Da bist du ja, Rawhiti.“ [/i]

      „Ich suche unseren Laufburschen Akmehl. Er kommt zu spät, falls du ihn nicht schon irgendwo auf deinem Weg gesehen hast.“

      Wortlos sehe ich in die trüben, braunen Augen des Alten, als er sich zu mir umdreht und mich forschend ansieht. Abu Dabir wirkt für sein Alter noch recht rüstig, auch wenn seine dunkle Haut stellenweise wie vertrocknetes Leder eines in der Wüste verendeten Kamels aussieht und seine Stimme sich anhört wie seine eigene quietschende Ladentür.

      Dieser Busche, vermutlich streunert er irgendwo wie eine wilde Ratte herum oder aber liegt erschlagen wie eine ebensolche in einem Keller. Sowas Unzuverlässiges.“

      Bei seinen Worten huscht ein sachtes Lächeln über meinen rechten Mundwinkel. Vielleicht war es auch damals seine direkte, unverfälschte, realistische Ansicht des Lebens oder der gute Zugang an nötigen alchemistischen Zutaten, die mich hier vor einigen Monaten „vorerst“ stranden ließen.
      Seine trüben Augen mustern mich und offensichtlich blieb meine kleine Reaktion nicht vor ihm verborgen.

      [i]„Deine emotionalen Entgleisungen, so klein sie auch sein mögen, verraten dich immerzu, Kleines. Du musst lernen, dich beherrschen zu können. Lege dir eine Maske zu.“[/i]

      Bei diesen Worten gleitet er mit seiner Handfläche über sein eigenes Gesicht. Seine bereits eh ausdruckslose Miene gleicht nun einer kalten Maske ohne ein Anzeichen von jeglicher Emotion. Verstehend nicke ich, auch wenn sich mir der Sinn dieser Maskerade bisher nie ergab.
      Abu Dabir nickt und sieht an mir vorbei, sein Blick bleibt auf einem Gegenstand in einem der Regale haften.

      „Da Akmehl wohl nicht rechtzeitig auftauchen wird, wirst du seinen Auftrag ausführen.“

      Er hebt einen seiner knochigen, dünnen Finger und deutet auf die hölzerne Schatulle, an der ich vorher noch vorbei ging.

      „Nimm ein paar Tücher und wickel sie darin ein. Dann wirst du dich dort im Handelsviertel einfinden.“ Er deutet mit dem gleichen Finger auf einen Punkt auf einer Karte, über die er scheinbar vorher die ganze Zeit hing,“dort wirst du dich mit Vahid und seinen Leuten treffen. Er wird dir die Schatulle abnehmen und etwas dafür geben. Stell keine Fragen, verziehe keine Miene und tu, was ich dir gesagt habe. Verstanden?“

      Ich nicke wortlos und versuche meinem Gesicht keine äußerliche Regung zu gestatten, was mir offensichtlich in diesem Moment auch glückt. Abu Dabir nickt mir zu.

      „Sie werden auf dich zugehen. Finde dich nur an dem Ort ein“, sein Finger ist immer noch auf dem Punkt der Karte, “tu nichts anderes als das, was ich dir gesagt habe. Und nun geh.“

      Mit einem prüfenden Blick präge ich mir den angezeigten Ort im Händlerviertel ein und wende mich ab, um die Schatulle einzuwickeln. Vorsichtig nehme ich das Bündel unter meinen Arm und gehe an den Regalreihen vorbei zur Eingangstür. Als ich diese öffne, blendet mich die gleißende Mittagssonne und ich kneife meine Augen schützend zusammen.

      „Diese verdammte Sonne“, fluche ich leise.

      Hinter mir schließt sich die Tür quietschend zu Abu Dabirs Laden. Wenigstens wieder etwas frischere Luft. Ich mache mich langsam auf den Weg. Das Händlerviertel ist wenigstens nicht allzu weit entfernt und ich muss für unseren Boten Akmehl nicht einen allzu großen Weg quer durch die Stadt zurücklegen.

      Die Mittagssonne fordert ihren Tribut. In der ganzen Stadt läuft das Leben gerade etwas langsamer, also schiebe ich mich mit dem Ziel, schnell diesen nutzlosen Botenauftrag hinter mich zu bringen, durch die Menschenmassen. Nach kurzer Zeit bin ich fast am gewünschten Ort angelangt. In einer kleineren Entfernung kann ich schon erahnen, wer der Abnehmer für das Päckchen ist. Der Mann, dessen Namen Vahid sein muss, wirkt etwas unruhig und scheint offensichtlich auf jemanden zu warten. Immer wieder reckt er den Hals über die Köpfe der Leute, die im Händlerviertel Geschäften nachgehen oder einfach nur durch die Straßen laufen. Was mich eher stutzig macht, ist die Tatsache, dass im Schatten des Mannes noch weitere Personen sind, die allem Anschein nach zu ihm gehören. Missmutig fallen meine Mundwinkel nach unten, ehe ich mich wieder auf Abu Dabis Worte besinne. „Maske!“
      Meine Gesichtszüge entspannen sich und langsam setze ich mir die Maske auf, stetig auf mein Ziel zugehend.

      Was nun folgen sollte, war nicht geplant. Nicht wahr, Rhaida?

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    • Hunger

      Valencia, 259, gegen Mittag
      Auf dem Marktplatz

      Auf dem Marktplatz ist es überfüllt. Stickig. Die knochentrockene, mit Staub aufgewirbelte Luft ist irgendwie anders hier. Mehlig. Aufgebraucht. Leer. Als atmete mir jeder der hektisch umher wuselnden Menschen die frische Luft weg.

      Ich fühle, wie mir der salzige Schweiß in klebrigen Tropfen über die Stirn fließt. Wische ihn mir mit dem Handrücken flüchtig ab. Es ist umsonst. Sofort sprießen mir wieder frische Tropfen aus den Poren. Es ist so heiß. So unerträglich heiß heute, dass mir schwindelig wird. Ich wage es kaum, auf die gleißend helle Sonne zu starren, die am wolkenlosen Himmel wabert. Aus Angst, zu stark geblendet zu werden.

      Meine Füße stolpern etwas unbeholfen durch die Menschenmenge. Wohin ich auch blicke, fächert sich eine bunte, flatternde Stoffmasse aus luftiger Kleidung auf. Ein Schwarm glitschiger Fische, der zwischen üppig befüllten Marktständen und alten Holzkarren schwimmt.

      Ich fühle mich eingepfercht. Erdrückt. Wie ein kleines Ferkel, das von fetten, übel stinkenden Schweinen fast zerquetscht wird. Und ich will hier schleunigst weg. Fort zu Rezi, wo es frisches Wasser für meine durstige Kehle gibt. Und kandierte Süßigkeiten. Die steckt er mir immer zu, wenn Djamila nicht hinsieht. Wobei das keine große Kunst ist, so blind, wie die alte Vogelscheuche ist.

      Meine löchrigen Stoffschuhe knirschen über das sandige Kopfsteinpflaster des Marktplatzes. Grimmige, übel gelaunte Gesichter thronen über meinen Schultern. Keiner sieht mich. Das magere, ausgehungerte Mädchen mit der löchrigen Kleidung, die Mutter gefühlte tausend Mal geflickt hat. Sie fokussieren bloß die Marktstände.

      Die Händler hier bieten allerlei Waren feil. Saftiges Obst, heimisches Gemüse, fangfrischer Fisch und gepökeltes Fleisch. Exotische Gewürze, als Pulver in kleine Glasbehälter gefüllt oder als getrocknete Bündel in Zehnerpakete gewickelt, sättigen die Luft mit scharfen oder süßlichen Gerüchen. Üppig gefüllte Silberbeutel klimpern dort, wo exquisite Stoffe, teurer Schmuck und Silberware zum Kauf dargeboten wird. Auch findet man hier handwerkliche Meisterarbeit in Form von kunstvoll verzierten Möbelstücken oder qualitativ hochwertigen Waffen. Es ist alles da, was das Herz begehrt oder der Silberbeutel hergibt. Darunter auch Djamilas beliebter Marktstand mit zuckerigen, salzigen oder würzigen Süßigkeiten weiter hinten.

      Ich komme bloß schlecht voran. Mühsam quetsche ich mich durch die vielen Leute. Knautsche miesepetrig die Augenbrauen zusammen und ziehe die Mundwinkel hinunter. Keiner macht mir Platz. Dabei brauche ich nicht einmal viel davon. Mit meinen zehn Sommern bin ich nicht besonders groß und ziemlich dürr. Anders als die dicke, süßlich parfümierte Frau, die sich mir auf einmal in den Weg stellt. Sie muss wohlhabend sein, vielleicht das Weib eines gut betuchten Kaufmanns oder eines niederen Adeligen. Zumindest lassen die edle Kleidung aus exotisch bestickter Seide und der mit kostbaren Edelsteinen besetzte Schmuck um ihre wurstigen Finger und ihren schwabbeligen Hals darauf schließen.

      Sofort schießt mir der Gedanke in den Sinn, die Frau zu bestehlen. Mir knurrt elendig der Magen und ich habe nicht einmal eine einfache Kupfermünze in meiner Hosentasche. Als aber ein drahtiger, mit Sichelmondklingen bewaffneter Söldner der Frau etwas ins Ohr flüstert, überlege ich es mir anders. Er muss ihr Leibwächter sein. Und ich will nicht riskieren, dass er mir die diebische Hand abschlägt, falls er mich erwischt.

      Der nagende Hunger aber bleibt. Frisst mir wie ein gefräßiger Wurm ein Loch in die Magengrube. Ich frage mich, ob es heute vielleicht etwas Gutes zum Abendbrot geben wird. Ein herzhafter Schinken oder etwas Käse. Aber das ist bloße Träumerei. Wahrscheinlich tischt Mutter bloß wieder Reis mit schrumpeligen Bohnen auf. Igitt.

      Ich seufze. Höre, wie zum hundertsten Male mein Magen knurrt. Nein, ich brauche ein leichteres Opfer als die dicke Adelige dort, wenn ich etwas Gutes essen will. Jemand Ahnungsloses. Abgelenktes. Leichtsinniges. Jemand, der sich im Schutze der Menge in Sicherheit wiegt. Der glaubt, so unsichtbar zu sein.

      Jemand wie... du dort drüben.

      Ein blutroter Haarschopf, der zu einem lockeren Zopf gebunden ist, wippt auffällig in der Menge auf und ab. Du bist groß gewachsen. Aufrecht. Stolz. Schlank, aber mit sehnigen Muskeln. Simple, sandfarbige Leinenstoffe umhüllen dich, aber ich kann trotzdem sehen, dass du etwas angespannt bist. Nervös vielleicht, so oft, wie du dich umsiehst. Zwar ist dein junges, sonnengebräuntes Gesicht starr wie eine Maske, aber deine Muskeln sind stramm wie die gespannte Sehne einer Steinschleuder. Zu stramm.

      Warum dem wohl so ist?

      Du umklammerst ein unscheinbares Stoffbündel aus ockerfarbigen Leinentüchern, als ginge es um dein Leben. Als sei es dein wertvollster Besitz. Ist das vielleicht der Grund deiner Unruhe? Seltsam. Was darin wohl eingewickelt sein mag?

      Neugierde überfällt mich. Ich muss es wissen. Vielleicht ist es wirklich etwas Kostbares. Vielleicht kann ich es für einen großen Haufen Silberlinge tauschen und mir etwas Leckeres dafür kaufen. Vielleicht ist es auch bloß ein altes, wertloses Erbstück, das dir einfach sehr viel bedeutet. Aber darauf kann ich keine Rücksicht nehmen. Ich bin so hungrig... und alleine beim Gedanken an Reis mit Bohnen wird mir speiübel. Ich kann das Zeug nicht mehr sehen. Oder riechen. Oder schmecken.

      Also gehe ich auf dich zu.

      Du beachtest mich nicht, wie jeder andere hier. Und bemerkst gar nicht, wie leicht du es mir machst. Deine smaragdgrünen Augen konzentrieren sich auf etwas oder jemanden in der Ferne. Was es ist, weiß ich nicht, aber es spielt keine Rolle. Du bist so fokussiert, so abgelenkt, dass du gar nicht merken wirst, was gleich passiert. Oder zumindest wird es dir erst auffallen, wenn ich bereits weit, weit weg bin.

      Gleich ist es soweit. Gleich bin ich bei dir und warte, bis dich jemand hier stark genug anrempelt. Das passiert dir die ganze Zeit und wird dir nichts ausmachen. Und dann...

      Dann geht alles blitzschnell. Ein Rempler. Ein beherzter, aber geschickter Griff. Und schon gleitet mir dein Stoffbündel in die knochigen Finger. Einfach so. Und dann bin ich weg. Verschwunden in der Menge. Ohne, dass du mich siehst.

      Oder zumindest dachte ich das.
      Noot noot!

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    • Diebstahl

      Valencia, 259, gegen Mittag
      Auf dem Marktplatz

      Mit versteinerter Miene gehe ich ruhig auf mein Ziel zu. Die Männer im Schatten schauen nach und nach mürrisch auf, als ich mich ihnen allmählich nähere. Ich schlucke, doch verziehe ich keine Miene. Auch der Zusammenstoß mit dem kleinen Gör bringt mich nicht aus der Ruhe.
      Bestimmt gehe ich weiter auf die Männer zu und fasse die umwickelte Schatulle in meinen Armen enger…

      Doch da ist nichts.

      Nun entgleiten mir doch die Gesichtszüge. Ich sehe verwundert auf meine leeren Arme hinab, die dem noch vorhandenen Gewicht der fehlenden Schatulle zum Opfer wurden. Mein Blick fährt schlagartig hinauf und sieht in die dichte Menschenmenge hinein. Es wird doch nicht etwa dieses Gör…..?
      Ich befinde mich wenige Schritte vor Vahid und seinen Männern. Ihre Blicke haben sich erhoben. Die dunklen, gierigen Augen beobachten mich, doch ich schenke den Männern keine Beachtung. So stehe ich da, den Kopf zur rechten Seite geneigt und suche inmitten der Menschenmassen nach einem kleinen Mädchen. Nach dir.
      Ich muss dich finden. Finden bevor diese Männer auf mich aufmerksam werden. Doch es ist zu spät. Ich spüre ihre Blicke, wie sie mich mustern. Jede einzelne Bewegung regungslos beobachten. Als ich für einen Moment in die Gesichter der Männer blicke, sind ihre schmutzigen Gedanken beinahe schon greifbar.
      Ein Mann löst sich aus der Gruppe. Groß. Breitschultrig. Und in völlig verstaubte, weite Leinenstoffe gekleidet.

      „Du da. Frau. Was stehst angewurzelt wie ein Dornenstrauch herum. Leiste doch lieber mir und meinen Freunden Gesellschaft.“

      Es folgt eine einladende Geste in den Schatten zu seinen Leuten, doch meine Ohren ignorieren die Worte des Mannes. Meine Aufmerksamkeit ist voll und ganz bei dir. Das seine Worte keine Regung in mir auslösen, scheint Vahid jedoch nicht zu gefallen. Und so tritt der Mann aus dem schützenden Schatten heraus und packt mich am Arm. Fordernd.

      „Hörst du nicht? Ich habe mit dir gesprochen.“

      Ich richte meine Augen direkt in das Gesicht des Mannes. Seine Mundwinkel sind verzogen. An den Schläfen des Dunkelhäutigen laufen dicke Schweißtropfen hinab. Während er spricht, kann ich den Duft von Kardamon aus seinem Mund riechen. Ich wünschte, er hätte zuvor mehr davon zu sich genommen. Denn der andere faulige, aufsteigende Mundgeruch überdeckte das wohlriechende Gewürz. Ich entschließe mich zu der Feststellung, dass dies definitiv Vahid sein muss. Mein Gesicht verzieht sich mürrisch.

      „Lasst mich auf der Stelle los. Ich bringe Euch Ware von Abu Dabir. Und wenn ihr nicht sofort eure dreckigen Pfoten von mir lasst, wird Euch diese durch die Finger gehen.“

      Die Augen des Mannes weiten sich für einen Moment und ziehen sich darauf zusammen.

      „Du bist der Bote von diesem alten Kauz Abu Dabir? Wir haben jemand anderes erwartet und wo ist nun die Ware?“

      Vahid blickt hinab auf die leere Stelle zwischen meinem rechten Arm.

      „Hast dich bestehlen lassen? Dummes Weib. Abu Dabir tut gut daran, keinem Weib die Aufgabe eines Mannes zu geben.“

      Seine vom Staub und Sand verdreckten Finger lassen meinen Arm los, um mein Kinn zu packen. Seine Worte sind drohend. Es ist doch nur eine Schatulle? Warum diese Aufregung?
      Deutlich macht er mir klar, dass ich seine Ware zurück bringen soll. Egal, wie. Zur Not wird er nachhelfen.
      Seine Aussage unterstreicht er mit einer eindeutigen Gestik an meinem Hals. Meine Augen ziehen sich ernsthaft zusammen. Mit diesem Mann ist nicht zu spaßen und was auch immer in der Schatulle ist, es scheint ihm sehr wichtig zu sein.
      Er lässt mein Kinn los und scheucht mich mit einer ausschweifenden Armbewegung in die stickige Menschenmenge. Alles, woran ich in diesem Moment nur denken kann, bist du kleines Gör. Ich muss dich finden.
      Abgelenkt durch dich bekomme ich nicht mehr mit, wie Vahid zurück zu seinen Männern in den Schatten geht und drei von ihnen anweist mir zu folgen.

      Hektisch presse ich mich an den verschwitzten Leibern vorbei. Die Sonne steht immer noch unerbittlich am höchsten Punkt des Himmels. Langsam fordert die Hitze nun auch ihren Tribut von mir. Mir läuft salziger Schweiß von der Stirn hinab. Und auch meine helle leichte Stoffkleidung nützt mir nichts mehr, als die salzige Flüssigkeit aus den Poren meiner Haut über meinen Rücken und mein Dekolleté läuft.
      Doch meine Eile wird belohnt. Dort, nur wenige Meter vor mir, kann ich dich sehen. Du huschst wie ein Wüstenfuchs durch die Beine der Menschen hindurch und in deinen Armen, meine Schatulle. Gestohlen. Ich kann dich noch sehen wie du in eine Seitengasse huschst. Weg von der Hauptstraße.
      Das wird meine Gelegenheit sein dich zu kriegen. Schnell setzte ich nach und stehe am Eingang zur Gasse.

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    • Gejagt

      Valencia, 259, zur Mittagszeit
      Eine abgelegene Gasse

      Es ist schattig.

      Das ist das Erste, was mir auffällt, als ich in die schmale Gasse husche. Schattig und kühl. Abgelegen und still. Weit und breit keine Menschenseele zu sehen, als wohnte hier eigentlich keiner. Es ist der perfekte Ort, um in aller Ruhe das Diebesgut zu begutachten, das in schmutzbefleckte, ockerfarbige Tücher gewickelt ist und feste von meinen Fingern umklammert wird. Ich weiß zwar noch nicht, was darin so sorgsam eingepackt ist, aber als ich es flüchtig mit meinen Fingerkuppen abtaste und draufklopfe, fühlt es sich hart und hohl an, als sei es ein kleines Kästchen aus Holz oder sowas.

      Was für eine blöde Ziege! Ihr ist gar nicht aufgefallen, dass ich bei unserem 'versehentlichen' Zusammenstoß die Gelegenheit beim Schopfe gepackt und ihr das Stoffbündel mit spielerischer Leichtigkeit aus den Fingern gefischt habe. Einfach so!

      'Die wird noch dumm aus der Wäsche gucken, wenn sie das bemerkt!' Bei dem Gedanken kann ich mir ein schadenfreudiges Grinsen auf den Lippen nicht verkneifen.

      Ich laufe tiefer in die verwinkelte Gasse. Schief gebaute Hütten aus altem, bröckeligem Lehm quetschen sich an beiden Seiten Mauer an Mauer aneinander und ragen mit mehreren Stockwerken hinauf zum Himmel. Wie bizarre Felsformationen schirmen sie die Gasse vor den kochend heißen Strahlen der Sonne ab, die Valencia überrollt wie ein flammender Feuerball. Zwar ist es hier temperaturmäßig nicht wirklich erträglicher als draußen auf dem Marktplatz, aber es lässt sich eher aushalten. Das ist wenigstens etwas und ich bin dankbar darum.

      Meine kleinen Füße tragen mich hastigen Schrittes weiter. Hechelnd wie ein fortgescheuchter Straßenköter, immer weiter und weiter, obwohl ich eigentlich außer Puste bin und kaum noch Luft kriege. Aber ich will genug Abstand zum Marktplatz gewinnen und sicher gehen, dass mir niemand folgt. Mit dem dreckigen Handrücken wische ich mir die Schweißtropfen aus dem Gesicht, das zweifelsohne rot angelaufen sein muss wie eine reife, pralle Tomate. Und ignoriere den Staub, der mit jedem Schritt um meine löchrigen Stiefel wirbelt und als Schmutz an meinen schweißfeuchten Waden kleben bleibt.

      Der Weg hier ist zwar nicht mit Kopfstein gepflastert, aber fast stolpere ich über die Kante eines Steins, der irgendwo aus dem sandigen Erdboden ragt und mich beinahe zu Fall bringt. Ich rudere wild mit den dürren Armen, um das Gleichgewicht zu halten, und fange mich Aahl sei Dank noch gerade so.

      Nur blöderweise rutscht mir dabei das Stoffbündel aus den verschwitzten Fingern.

      'Verflixt noch mal!', schießt es mir panisch durch den Kopf und mit weit aufgerissenen Augen sehe ich noch, wie das flatternde Tuchbündel in der Luft umherwirbelt und sich auffächert, bis sich eine schmucklose, unscheinbare Holzschatulle herausschält wie eine gepellte Süßkartoffel. Reflexartig strecke ich die Finger nach dem Kästchen aus und versuche es zu fangen, aber ich mache alles nur noch schlimmer. In all der Hektik und Panik schlage ich unbeholfen dagegen und muss hilflos mitansehen, wie ich es damit punktgenau in das offen stehende Kellerfenster einer Lehmhütte katapultiere.

      In der Dunkelheit des Kellers scheppert und klimpert es laut. Mit jedem Geräusch zucke ich zusammen. Kneife die Augen dabei zusammen. Dann löst sich das Echo im Nirgendwo auf.

      Und es herrscht wieder Stille.

      Treffer. Versenkt.

      Großartig.

      „Super gemacht, Kimaya. Das hat mir gerade noch gefehlt…“, knurre ich mich selbst an und starre das schwarze, hungrige Loch, das meine frisch erlegte Beute gierig aufgefressen hat, wehleidig an, „und jetzt? Wie soll ich das Ding da wieder rausbekommen?“

      Gerade, als ich zum Kellerfenster schlurfen will, um mich dort auf den staubigen Sandboden zu legen und in die Finsternis des Kellers zu spähen, höre ich Fußschritte, die sich mir mit hohem Tempo nähern.

      Jemand läuft. Trampelt und stampft. Wütend und zornig.

      'Oh-oh…'

      Steif und furchterregt wirbele ich herum und blicke in deine grünen Augen.
      Noot noot!

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    • Beute

      Valencia, 259, zur Mittagszeit
      Eine abgelegene Gasse

      Der Griff, schnell und unbarmherzig. Meine schlanken Finger graben sich zielsicher in dein dünnes und schlaff herab hängendes Hemdchen. Ruckartig ziehe ich deinen ausgemergelten Körper hoch, sodass nur noch deine Zehenspitzen über den sandigen Boden scharren. Das Gesicht zu einer Maske des Zornes verzogen. Mit grantiger Stimme fauche ich dich an.

      „Habe ich dich du kleines Gör. Ich sollte dir die Hände abschlagen lassen. Gib mir mein Paket zurück, welches du mir gestohlen hast.“

      Die grünen Augen gleiten musternd und abwertend an dir herab. In deinen klaren, blauen Augen sehe ich wie sich meine Gestalt in dir spiegelt.

      „Ich habe nichts gestohlen,“ schreist du kleines zappelndes Gör trotzig und greifst mit deinen kleinen zarten doch dreckigen Händen um meine Handgelenke. Die Lügen sprudeln nur so aus dir heraus. „Lass mich runter!“

      Fester greifen meine Hände um den Kragen deines Leibchens. „Lüg mich nicht an du Rotzgöre! Ich habe dich durch die Menge rennen sehen. Du hattest mein Paket unter den Armen! Wo ist es?“, zische ich dir entgegen.

      „Ich habe dein blödes Paket nicht. Ich weiß nicht mal wovon du redest!“ Dein Gesicht wird puderrot vor lauter Anstrengung, deiner Zappelei.

      „Und wie du weißt wovon ich rede…“, ich lasse dich nicht los und blicke mich in der Gasse um. Bis auf wenige Kisten, Staub und Sand kann ich zwischen den Lehmhütten keine möglichen Verstecke ausmachen. „…sprich du diebisches Balg!“

      Ich schleife dich mit mir. Hinüber zu den Kisten und lasse meine Augen über die hölzernen Deckel der Behältnisse gleiten. Als du beginnst dich zu wehren und mit deinen lumpigen, löchrigen Schuhen nach mir trittst, drücke ich dich mit Schwung gegen eine lehmige Hauswand. Du stöhnst vor Schmerz auf, als ich vernehme, wie dir der klägliche Rest Luft aus den Lungen entweicht. Erstarrt und sprachlos blickst du mich an, während sich deine Augen mit Tränen füllen. Meine folgenden Worte sind ruhig und doch drohend an dich gerichtet.

      „Wo ist mein Paket?“

      „Bist du taub oder blind? Ich habe es nicht, oder siehst du es irgendwo an mir?“ Ich verstärke den Druck auf dein zartes knöchernes Gerippe und packe unwirsch dein Kinn.

      „Spiel keine Spielchen mit mir. Du nutzloses Balg. Ich kann dies endlos weiter machen…“

      Du windest dich in meinem Griff und beginnst zu quengeln. Als sich meine Hand jedoch zu einer Ohrfeige erhebt, kneifst du die Augen zusammen und drehst dich beängstigt und die Ohrfeige erwartend weg. Doch bevor es soweit kommt, legt sich von hinten eine schwere Hand auf meine Schulter. Ich werde grob nach hinten gezogen. Du kleines Gör nutzt natürlich die Gelegenheit zur Flucht und verpasst mir einen schmerzhaften Tritt gegen mein Bein, sodass ich dich fluchend und zähnefletschend los lasse. Und weg bist du. Verschwunden hinter der nächsten Hauswand.
      Ich fluche verbissen, wie kann es der Mann nur wagen? Als ich durch das grobe Eingreifen in sein Antlitz blicke, vermute ich schon um wenn es sich handelt. Drei Männer in staubiger Gewandung haben sich hinter mir zu voller Größe aufgebaut. Während der erste grimmig drein blickt, grinsen die anderen zwei vor sich hin. Und ich stehe da… ohne Paket.
      Meine Worte, Erklärungen und Beschimpfungen werden ignoriert. Sie greifen mich hart an den Oberarmen und ziehen mich mit zur ihrem Anführer Vahid.
      Innerlich befürchte ich nichts Gutes.

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    • Gewissensbisse

      Valencia, 259, zur Mittagszeit
      Eine abgelegene Gasse

      Salziger Schweiß fließt mir über das Gesicht.

      Luft. Ich brauche Luft zum Atmen. Fühle mich so, als würde ich gleich qualvoll ersticken, so feurig brennen mir die Lungenflügel. Ich weiß nicht, wie weit ich gelaufen bin. Bloß, dass es ein gutes Stück war und ich immer wieder über meine Schulter geschaut habe, um sicher zu gehen, dass du alte Hexe mir nicht folgst.

      Alte Hexe. Wie wahr ich damit liege, ohne es zu wissen. Welch Ironie des Schicksals.

      Ich dummes, hungriges, arrogantes Gör weiß noch gar nicht, auf was ich mich da eingelassen habe. In was ich hier hineingeraten bin. Wer mich jagt und wer meinem Jäger auflauert. Wie ein erbärmlicher, kleiner Wurm, der von einer Wüstenrennmaus gefressen wird, die anschließend im gierigen Maul einer Klappenschlange ihr jähes Ende findet. Bloß, weil ich hungrig war und dich unbedingt bestehlen musste.

      Nicht, dass es schlimm ist in Retrospektive. Mir ist schließlich nichts passiert - nun ja, zumindest nichts wirklich Lebensbedrohliches. Aber die geriffelte Narbe auf meinem Hals ist Zeuge dessen, was mir noch widerfahren wird.

      Erschöpft presst sich mein ausgemergelter, hungriger Leib mit dem Rücken gegen die Außenwand einer Lehmhütte. Ich fühle, wie bröckelige Lehmkrümel in meinem entblößten Nacken und meinen schweißgebadeten Handflächen kleben bleiben. Es ist unangenehm, aber das ist mir jetzt egal. Ich bin einfach nur froh, dass ich dir und deinen scharfen Klauen entkommen bin. Noch immer spüre ich die sichelförmigen Abdrücke deiner Fingernägel in meinem Kiefer. Die knitterigen Falten in meinem Hemd, das ohnehin schon dreckig und löchrig ist, fallen da vermutlich weniger auf.

      Durstig. Ich bin so durstig.

      Ein mehliger Klumpen liegt mir quer in der Kehle. Ich schlucke, aber da ist kein Speichel mehr übrig, um Abhilfe zu schaffen. Ich bin wie ausgetrocknet. Wie eine verdorrte, brüchige Pflanze und es fühlt sich so an, als hätte ich mir eine Phiole mit dem kargen Sand der Wüste Valencias in den Rachen geschüttet. Ich wünschte, ich könnte meinen Kopf jetzt in einen Trog mit kaltem, frischem Wasser tauchen und meine trockene Mundhöhle damit fluten. Aber nein. Stattdessen stehe ich hier, an irgendeiner Lehmhütte in irgendeiner abgelegenen Gasse und japse verzweifelt nach Luft.

      Erschöpft stemme ich mich in die knochigen Knie. Kopfüber starre ich den staubigen Sand unter meinen Stiefeln an, bis mir schwindelig wird.

      Was ist da gerade bloß passiert?

      Was waren das für Kerle, die dich von mir gezerrt haben? So, wie die aussahen, wollten die mir bestimmt nicht helfen. Ihre grimmigen, bärtigen Gesichter mit den buschigen Augenbrauen und den finster drein schauenden Augen aus rußigem Obsidian sahen nicht besonders freundlich aus. Eher wie Söldner oder anderweitig zwielichtige Schergen, mit denen du Ärger hast.

      Auf meiner Flucht habe ich noch gesehen, wie dir einer von denen feste in die Magengrube schlug und dich herumgeschubst hat als seist du ihr Spielball. Du hattest gar keine Chance gegen ihn, auch wenn du für ein Weib recht groß gewachsen und drahtig gebaut bist. Dass du stark bist, hast du zwar bewiesen, indem du mich spielend leicht vom Boden gepflückt hast, aber ich dürres Ding wiege auch fast nichts und zwei dieser Kerle sind wahrliche Muskelberge.

      Da fällt mir ein… nein, ich muss mich irren. Vermutlich verwechsele ich hier etwas. Oder etwa doch…? Erwähnte er wirklich die Schatulle, die in den schmutzbefleckten Tüchern eingewickelt und mir in dieses blöde Kellergewölbe gefallen war?

      Ich stöhne auf. Das darf doch nicht wahr sein. Habe ich dich etwa in diese Kamelkacke geritten? War diese unscheinbare, schäbige Holzschatulle etwa für diese Kerle? Wenn dem wirklich so ist, dann muss darin etwas unheimlich Wertvolles drin sein. Bei Aahl, kostbare Edelsteine vielleicht oder Silberstücke! Aber nein, das kann nicht sein. Als ich in die Gasse lief, schepperte und klimperte in dem Kästchen nichts. Ganz im Gegenteil, als ich darauf klopfte, hörte es sich hohl und leer an.

      Ich seufze leise auf und lasse mich kraftlos in den Sand plumpsen. Staub wirbelt auf und hüllt mich in eine kleine Wolke aus Dreck. Was soll ich jetzt machen? Soll ich dir nachlaufen und sehen, wo diese Schergen dich hinbringen? Oder soll ich die Schatulle aus dem Keller fischen und den Inhalt, wenn er denn wertvoll ist, für mich behalten? Vielleicht könnte ich dir ja helfen, wenn ich das blöde Ding zu dir zurückbringe, wo immer du jetzt auch sein magst. Hoffentlich tun dir diese Kerle nichts Schlimmes an… auch wenn du ein paar Ohrfeigen verdient hast. Du hast mir immerhin ganz schön wehgetan.

      Fragen über Fragen…

      Wortlos starre ich meine schmutzigen Handflächen an. Grübele. Hin und hergerissen. Mit Gewissensbissen.

      Und fasse einen Entschluss.
      Noot noot!

      Dieser Beitrag wurde bereits 2 mal editiert, zuletzt von Aquarius ()