Calpheons Schatten

    • Calpheons Schatten

      Allein

      Orientierungslos irrte sie durch die Gassen der großen, lauten Stadt. Fröstelnd zog sie ihrem Umhang enger um sich, der Wind blies Rana eisige Luft ins Gesicht. Selbst der Wind schien sich gegen sie verschworen zu haben. Mittlerweile hatte sich die Sonne schon fast unter den Horizont gesenkt, die Menschen wirkten, als befänden sie sich auf dem Weg in ihre warmen Heime. Erste Laternen wurden vor den Gebäuden und an prominenten Plätzen entzündet, mancherorts sogar kleine Feuerschalen.

      In den letzten Stunden hatte sie alle Gassen und Straßen, die sie mit Xellesa benutzt hatten, abgesucht, selbst an den Ort mit dem Haus des Todes hatte sie sich heran gewagt, wenn auch nicht in die Nähe und nicht für lange. An diesem Ort stimmte etwas ganz und gar nicht und sie fragte sich, ob das mit der Aussage des verstümmelten Mannes zu tun haben mochte. Er hatte sie vor Xellesa gewarnt, schlimme Dinge erwähnt und selbst Nhouria hatte Rana gebeten, nicht alleine bei Xellesa zu bleiben. Was hatte sie gespürt oder gesehen? Rana hatte das Gefühl, dass ihr zum großen Ganzen viel zu viele Puzzleteile fehlten. In der Nähe des Gebäudes fühlte sie sich unwohl, als würde sie irgend etwas beobachten, gar bedrohen.

      Mittlerweile hatte das Mädchen einen größeren Platz erreicht. Die Gebäude wirkten gepflegt und sauber, an manchen Stellen standen sogar Wachen, auch wenn diese entweder gelangweilt oder frierend wirkten. Wieder hatte sie das Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmte, so als würde etwas in den Schatten verschwinden, wenn sie sich umsah. Unschlüssig blieb sie stehen. Es war schon ziemlich dunkel, ihre Suche bisher erfolglos. Niemand hatte Xellesa gesehen, viele der Stadtmenschen schienen das Mädchen nicht einmal zu beachten. Sie fühlte sich verloren und einsam. Sie hatte Xellesa versprochen, sie nicht alleine zu lassen und doch waren sie schon am ersten Tag in Calpheon getrennt worden. Alierana fragte sich, ob Xellesa entkommen konnte, oder ob man sie irgendwo hin verschleppt hatte. Sie erinnerte sich an das Kopfgeld, eins der weiteren Rätsel das zumindest für Rana noch nicht vollständig gelöst war.

      Langsam lenkte sie ihre Schritte in Richtung der Herberge. Zwei Mal musste sie umdrehen, da sie in eine falsche Straße abgebogen war. Vielleicht war Xellesa dort, denn sie hatten gemeinsam nach einer Herberge gesucht. Vielleicht hatte sie sich dort hin durchgeschlagen, auch wenn sie nicht das Gefühl hatte, dort auf sie zu treffen. Aber was konnte sie im Moment schon tun? Am Haus des Todes hatte sie Xellesa nicht entdeckt und um diese Uhrzeit noch jemanden zu finden, der ihr Fragen zu Haus Ceos beantworten konnte. Rana würde auf den nächsten Tag warten müssen. Hawkeye senkte sich über die Dächer in einem Gleitflug zu Alierana hin hinab und landete auf ihrer Schulter. Das Mädchen strich dem Adler sanft über das Gefieder. Kurz darauf erreichte sie endlich die Herberge und nahm sich ein Zimmer. Sie hatte sich an der Rezeption nach Xellesa erkundigt, doch auch hier hatte niemand die Frau gesehen. Niedergeschlagen hatte sie sich auf das Bett gesetzt und durch das von Frost beschlagene Fenster nach draußen geblickt.

      "Morgen werde ich mich auf die Suche nach Ceos machen," murmelte sie entschlossen und legte sich hin. Sie rollte sich in die Decke ein, und blickte weiterhin zum Fenster. Der Schlaf wollte sie nicht finden, bis die Erschöpfung die Oberhand gewann. Sie bemerkte den Schatten, der kurz vor dem Fenster erschien, nicht mehr, denn sie war in einen unruhigen Schlaf gefallen.
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      Mendred: "... aber mit dem Schwert geht's schneller."

    • Alierana war erst spät erwacht, der schlechte Schlaf und das ungewohnte Umfeld hatten es ihr nicht leicht gemacht. Sie tapste durch das Zimmer und kleidete sich in aller Eile an, ehe sie die Herberge verließ. Für ein Frühstück hatte sie keine Zeit, sie würde sich unterwegs eine Kleinigkeit besorgen. Die Stadt war lebendig wie eh und je, das Mädchen musste sich immer wieder zwischen den Leuten hindurch zwängen. Sie passierte den Platz, an dem damals der Teppichhändler seinen Stand aufgebaut hatte und seufzte. Hier hatte alles begonnen. Doch nicht nur schlechtes war daraus entstanden, sie hatte neue Leute kennen gelernt und das Leben in einer Gruppe erlebt, auch wenn es nicht immer einfach gewesen war. Nun war sie wieder allein und obwohl es sie zuvor nicht gestört hatte, fühlte sie sich jetzt einsam. Davon abgesehen hatte sie etwas versprochen; sich um Xellesa zu kümmern. 'Ich werde sie schon finden,' murmelte Rana bei sich und lenkte ihre Schritte über eine große, breite Brücke. Sie blieb kurz stehen und ließ ihre Blicke über den Demi schweifen. Selbst hier befanden sich Menschen. An der Seite war ein kleines Ruderboot, das gerade beladen wurde, festgemacht und in der Ferne konnte sie ein niedriges Handelsschiff sich nähern sehen.

      Rana setzte ihren Weg fort, vor ihr lag ein gehobeneres Stadtviertel. Die Gebäude wirkten sauberer, an den Wänden hingen schöne, dicht gewebte Banner herab. Die Menschen bewegten sich ruhiger und gesetzter voran. Viele der gut gekleideten Personen waren nicht allein, oft wurden sie von einem Bediensteten oder Wächter begleitet. Eine elegante Kutsche, gezogen von edlen Pferden passierte Rana, das Mädchen hatte sich instinktiv an die Wand eines Hauses gedrückt. Sie atmete ein paar Mal konzentrierter und schalt sich. Sie war nicht zum ersten Mal in einer größeren Stadt, allerdings zum ersten Mal alleine. Der Wanderer hatte ihr viel gezeigt und erklärt, dennoch war es anders. So bog durch ein durch zwei Wachen beschütztes Tor auf einen großen Platz ein. Die Männer musterten das Mädchen kurz, nickten dann aber. Die Seiten des Platzes bestanden aus den Fronten großer Häuser, die Läden und Schreibstuben beherbergten. Alierana blickte sich um und entdeckte unter anderem auch eine Weberei, einen Schneider und sogar eine Tierhandlung. Auch hier waren einige Menschen unterwegs, doch der Platz war nicht überfüllt. Zwei Frauen verließen die Weberei, der Besitzer hatte ihnen verbeugend die Tür aufgehalten. Eine andere betrachtete die Auslage eines Straßenhändlers, der Obst und andere Köstlichkeiten in seiner Auslage feil bot. Rana blieb kurz stehen, ließ die Umgebung auf sich wirken. Sie überlegte, wer ihr auf der Suche nach Haus Ceos helfen konnte und entschied sich letztlich für den Schneider. Edle Herrschaften kleideten sich gut, dazu benötigte es Schneider und Stoffe. Vielleicht konnte man ihr dort helfen. Ranas Adler zog indes seine Kreise über den Platz, hier und da scheuchte er einige Tauben auf. Als das Mädchen auf die Schneiderei zu ging, ließ er sich auf einer Regenrinne nieder und blickte über den Horizont, ein anderer Raubvogel in den Lüften hatte ihn wohl abgelenkt.

      Rana lenkte ihre Schritte zur Schneiderei betrat den Laden. Unsicher blickte sie sich um, als sich eine der Schneiderinnen dem Mädchen in der Hoffnung von guter Kundschaft schon zu wandte.
      "Seid gegrüßt, ich in auf der Suche nach einer Familie, ein Adelshaus. Vielleicht könnt Ihr mir helfen, denn ich bin Gast in dieser Stadt und mit vielen nicht vertraut," sprach Rana freundlich und hoffte, dass sie nicht unhöflich wirkte.
      Sie wollte niemandem auf die Füße treten, schon gar nicht, wenn sie Informationen brauchte. Die Schneiderin, eine Frau in mittleren Jahren mit bräunlichem Haar musterte Ranas schlichte, aber elegante aus einfachen Materialien bestehende Kleidung aus dunklen Augen abschätzig. Letztlich nickte sie aber, in der Hoffnung vielleicht doch noch eine Kundin, die sich ihre Dienste leisten konnte, gewinnen zu können, wenn sie diese durch Freundlichkeit an sich erinnern ließ.
      "Nach welchem Adelshaus sucht Ihr denn, junge Dame?"
      Rana erinnerte sich an ihre Kapuze und schlug sie zurück, blickte die Schneiderin erleichtert an.
      "Danke, dass Ihr mir helft... Ich suche die Familie Ceos, wisst Ihr, wo ich sie finden kann?"
      Die Schneiderin überlegte einen Moment, dann nickte sie.
      "Ah, diese Familie ist mir bekannt, soweit ich weiß, residiert die Familie im Kapellenviertel von Calpheon. Ich kann Euch allerdings nicht sagen, welches Anwesen genau, aber Ihr findet es bestimmt," antwortete die Schneiderin.
      Sie drehte sich kurz zur Seite und nahm ein kleines Stück festes Papier, auf dem die Adresse der Schneiderei vermerkt war und drückte es Alierana in die Hand.
      "Ich danke Euch von ganzem Herzen," lächelte Rana und bedankte sich noch einmal für die Visitenkarte.
      "Ich hoffe, ich kann Euch in Bälde als treue Kundin wieder sehen," entgegnete die Schneiderin.
      Rana neigte den Kopf dankend und verabschiedete sich. Obwohl nicht sicher war, dass sie Xellesa bei Ceos finden würde, so hatte sie zumindest irgend etwas, mit dem sie arbeiten konnte.

      Rana verließ die Schneiderei und blickte in den Himmel. Einzelne Flocken fielen aus dem weißgrau, dazwischen versetzte sich Hawkeye wieder in die Lüfte und schien etwas zu Jagen, unklar ob er etwas verfolgte oder nur sein Spieltrieb geweckt worden war. Rana zog ihre Kapuze zurück auf das Schwarzblaue Haar und verließ den Platz. Sie bemerkte nicht, wie eine Frau, die sie kurz zuvor passiert hatte, mit Abstand folgte. Rana blieb außerhalb des Platzes kurz stehen und erkundigte sich nach dem Weg zum Kapelleviertel. Dieser wurde ihr prompt gewiesen. Ein Pfad mit vielen Stufen lag vor ihr, doch der einfachere Weg wäre ein zu großer Umweg genommen. Rana störte sich nicht daran und erklomm die vielen Stufen. Ein paar Boten kamen ihr entgegen, eine Frau passierte sie, um sich kurz darauf auf das Geländer an der Seite zu lehnen. Vermutlich rastete diese nur. Alierana selbst gönnte sich keine Rast, sie erklomm auch die letzten Stufen und erreichte einen größeren Platz des Kapellenviertels. Dort blickte sie sich genauer um. Direkt auf dem Platz befand sich ein Haus Elions, auf der anderen Seite war die Brüstung hinter der viele Meter tiefer das Stadtviertel mit dem Platz, auf dem sie zuvor gewesen war, lag. Das Mädchen setzte sich in Bewegung, sie würde die ersten Anwesen wohl erst nach dem Elionshaus finden. Rana war schon zu weit entfernt, um die Frau zu bemerken, die verdeckt an einer Grünanlage stehen geblieben war und unbemerkt einige Worte mit einem 'Busch' wechselte.

      Rana erreichte die ersten Anwesen, doch gaben diese ihr keinen Anhalt auf das gesuchte Haus Ceos. Allerdings wurden die meisten Anwesen bewacht, so trat sie auf die Wachen zu und sprach diese zögerlich an.
      "Verzeiht, könnt Ihr mir bitte den Weg zu Haus Ceos zeigen?"
      Die beiden Wachen musterten sie argwöhnisch, einer murmelte dem anderem kurz etwas von 'vermutlich neue Botin' zu, dann wandten sie sich dem Mädchen wieder zu.
      "Ihr seid nicht mehr weit, folgt der Straße, das erste Anwesen auf der Seite," erklärte ihr die Wache und Rana nickte dankbar.
      Klopfenden Herzens neigte sie wieder den Kopf und folgte der Straße, ihre Schritte waren nun schneller. Vor sich erhob sich das Anwesen von Haus Ceos und Ranas Hoffnung wuchs.
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      Mendred: "... aber mit dem Schwert geht's schneller."

    • Staunend stand Rana vor dem Anwesen, das aus mehreren Gebäuden bestand und von einer Hohen Mauer umringt war. Eine der beiden Wachen, die Rana um Einlass gebeten hatte, hatte sich ins Anwesen begeben, um sich mit jemanden zu Besprechen, ob man Rana Zutritt gewähren würde. Nach etwa fünf Minuten kehrte er mit einer weiteren Wache zurück. Die neue Wache nickte Aliera freundlich zu.
      "Gräfin Tsatsuka Ceos wird euch empfangen, junge Dame," sprach er, während er mit kritischem Blick Alierana nach Waffen musterte.
      Sie hatte ihr Schwert bei Xellesas Sachen bei deren Pferd gelassen, so hatte sie nichts bei sich, dass irgendeine Gefahr darstellen konnte. Der Mann nickte der verbliebenen Wache zu und gemeinsam mit der anderen Wache geleiteten sie Rana über einen sorgsam angelegten Pfad zur Wohnungstür des Gebäudes, in dem Tsatsuka residierte. Einer der beiden Wachen klopfte an die Tür, welche direkt von der Gräfin geöffnet wurde. Rana wurde hineingebeten, die Wachen folgten nicht mit ins Gebäude, nach kurzem Augenkontakt mit der Gräfin schlossen sie die Türe wieder.

      Aliera blickte sich kurz um, überwältigt von der Einrichtung und der Kleidung der Personen, selten hatte sie sich in so einer Umgebung befunden. Mit heller, aber nicht zu lauter Stimme richtete sie das Wort an die Gräfin, nachdem sie sich höflich verneigt hatte.
      "Danke, dass Ihr mich empfangt."
      "Guten Abend. Nun, es ist immer erfreulich, wenn Personen, die man sucht, zu einem kommen," erklärte die Frau scheinbar freundlich.
      Rana blinzelte irritiert.
      "Ihr habt mich gesucht?" wollte sie wissen. Rana wunderte sich, was diese Aussage bedeuten mochte, doch vielleicht würde sich das später aufklären. War Xellesa vielleicht wirklich hier und hatte der Gräfin schon von Rana erzählt? Oder war es doch etwas anderes und hatte mit dem Kopfgeld zu tun. Rana wischte die Gedanken beiseite, vielleicht machte sie sich doch nur zu viele Gedanken. Es gab sicher eine einfache Erklärung.
      Die Gräfin machte eine abwinkende Bewegung und bedeutete Rana, ihr weiter in den Raum zu folgen. Dort saß ein weiterer Mann an einem Schreibtsich. Er klappte das Buch, indem er wohl bis eben gelesen hatte, zu und legte es auf dem Tisch ab. Rana folgte Tsatsuka mit leisen Schritten, während diese auf den Mann deutet.
      "Mendred aus dem Haus Ceos und ich selbst bin Gräfin Tsatsuka Ceos." stellte sie sich nun vor.
      Rana verneigte sich auch vor Mendred, dann blickte sie beide an.
      "Ich bin erfreut, Euch kennen zu lernen. Ich bin Alierana."
      Mendred lächelte Rana zu, dann blickte er zu Tsatsuka.
      "Willst du dich setzen? Ich kann mich auch auf dem Sofa ausbreiten."
      Die Gräfin schüttelte den Kopf und blickte wieder zu Rana.
      "Was führt dich zu uns?" wollte sie wissen.
      Rana sammelte ihren Mut zusammen und sprach: "Ich bin gemeinsam mit einer Freundin nach Calpheon gekommen, sie war unterwegs zu Euch. Wir sind aber kurz nach unserem Eintreffen überfallen und getrennt worden. Ich wollte sie dabei unterstützen, damit sie nicht alleine ist, da sie sich nicht erinnern kann. Ich habe Xellesa seitdem wir getrennt worden sind gesucht und dachte, dass sie vielleicht auch flüchten konnte und hier her gekommen ist."
      "Sie hat nach Hause gefunden, ja," erklärte die Gräfin, was Rana erleichtert aufatmen ließ.
      "Puh, da bin ich erleichtert. Die Stadt ist mir nicht sehr vertraut und ich wusste nicht, was ich tun soll."
      "Wo nächtigt Ihr?" fragte die Gräfin, ohne näher auf Alieranas Erleichterung einzugehen.
      "Ich habe ein Zimmer in einer Herberge," antworte Rana, was die Gräfin abfällig schnauben ließ.
      "Wir lassen Euch ein Zimmer herrichten. Hier im Anwesen ist es sicher. Xellesa freut sich sicher, ihre Freundin wieder zu sehen."
      "Das ist ein sehr freundliches Angebot und ich würde mich sehr freuen, sie wieder zu sehen," antwortete Alierana und entspannte sich weiter.
      Alles schien sich zum Gutem zu wenden. Die Gräfin wendete sich Mendred zu, als wolle sie ihm etwas sagen, doch dann schenkte sie Rana wieder ihrer Aufmerksamkeit.
      "Ich kümmere mich gleich darum. Macht es Euch doch bequem." Tsatsuka deutete auf die einladende Couch, Mendred schien den gleichen Gedanken wie die Gräfin gehabt zu haben, denn auch er bat das Mädchen, sich doch zu setzten.
      "Danke, dass ist sehr freundlich," entgegnete das Mädchen und begab sich leichtfüßig zur Couch und setzte sich in einer fließenden Bewegung.
      Tsatsuka begab sich zur Tür und öffnete diese. Mit leisen, für Rana nicht hörbaren Worten gab sie diesem die Anweisung, ein Zimmer vorbereiten zu lassen, zusätzlich erhielt er die Order, dass das Mädchen das Anwesen vorerst nicht verlassen durfte.

      Nach einigen Augenblicken kehrte Tsatsuka zurück und blickte zu Alierana.
      "In einigen Minuten ist das Zimmer hergerichtet. Wollt Ihr etwas zu trinken?" wollte sie wissen.
      Rana, sichtlich nicht gewohnt, so umsorgt zu werden, lächelte unsicher und überlegte kurz. Sie wollte sich auf keinen Fall daneben benehmen und den Herrschaften auf die Füße treten. Verlegen nickte sie unsicher.
      "Danke, gerne."
      Tsatsuka nickte und schritt zu einem Schrank und holte Wein, Wasser und ein Glas heraus und stellte diese bei dem Tisch, der in Sofanähe stand. Sie setzte sich zu Rana auf das Sofa.
      "Ihr habt Euch hier in Calpheon kennen gelernt?"
      Rana nickte sachte.
      "Ja, wir haben uns eigentlich hier in der Nähe von Calpheon getroffen. Ich habe zu dem Zeitpunkt auch weitere Freunde kennen gelernt und dann passierten seltsame Dinge, weshalb wir ohne zu wissen warum erst einmal in Richtung Glish geflohen sind."
      Mendred, der sich die meiste Zeit eher still verhalten hatte, wiederholte 'geflohen' als Frage. Aliera blickte unsicher drein und nickte.
      "Ja, weil jemand glaubte, wir hätten etwas gesehen. Man wollte wohl nicht, dass jemand etwas davon weiß. Allerdings hatten wir nichts gesehen, aber wie soll man das zwielichtigen Gestalten erklären? Also haben wir die Stadt eben verlassen und ich bin Reisen ohnehin gewohnt."
      Rana war sich nicht sicher, weshalb sie so genau davon erzählte. Vielleicht lag es ihr so am Herzen, all die Rätsel zu lösen, aber sie kannte die beiden vor sich nicht und fragte sich einen Augenblick, ob sie nicht gar unklug handelte.
      "Immerhin habt Ihr es geschafft, zu entkommen," warf Mendred ein, " Hatten Eure Freunde denn auch so viel Glück?"
      Rana nickte. "Ja, glücklicherweise. Sie sind aber nicht mit mir und Xellesa zurück nach Calpheon gekommen." erklärte sie.
      "Oh, dann habt Ihr nur noch Xellesa," meinte Mendred nickend, "vielleicht seht ihr Sie ja bald wieder. Ihr könnt ihnen gerne auch einen Brief schreiben, wenn Ihr wollt."
      "Was habt Ihr jetzt weiter vor?" wollte die Gräfin wissen, abgelenkt von der Frage blieb Rana Mendred eine Antwort auf sein Angebot schuldig.
      "Ich... muss zugeben, dass ich noch nicht darüber nachgedacht habe, Gräfin. Ich hatte nur entschieden, dass ich Xellesa unterstützen wollte," antwortete das Mädchen Tsatsuka.
      "Dann seid Ihr hier richtig," antwortete Tsatsuka knapp.
      "Nun, wenn Ihr Eure freunde kontaktieren oder besuchen wollt, dann können wir Euch natürlich helfen. Xellesas Freunde sind uns stets willkommen," führte Mendred sein vorangegangenes Angebot noch einmal genauer aus. Rana lächelte dem Mann freundlich zu.
      "Das ist sehr freundlich. Irgendwann werde ich sie wieder sehen, da bin ich nicht besorgt."
      Mendred nickte daraufhin, Tsatsuka stimmte lächelnd zu. Rana lächelte, die beiden schienen wirklich sehr nett zu sein. Fast etwas zu nett, wenn man bedachte, dass sie eine Fremde war. Aber für den Augenblick war sie nur froh, dass es Xellesa gut zu gehen schien.
      "Wie hat Xellesa eigentlich zu Euch nach Hause gefunden? Als ich sie das letzte Mal sah, waren ja diese Häscher hinter uns her und hatten uns getrennt."
      "Sie wurde von unseren Wachen gefunden und dann hergebracht."
      Rana nickte und blickte die Gräfin weiter an.
      "Ein wirklich glücklicher Zufall. Dann ruht sie sich sicher gerade aus," vermutete Rana, was die Gräfin nicken ließ.
      "Ich gehe davon aus. Es war überwältigend, ihre Kinder wieder zu sehen, vor allem, da sie sich nicht so recht erinnern kann. Sie braucht sicherlich Zeit," erklärte die Gräfin, was Rana überrascht aufblicken ließ.
      "Sie hat Kinder? Das ist... verständlich... Ich wusste nichts davon..." Ranas Gedanken überschlugen sich. Xellesa hatte nie Kinder erwähnt, sich also mit ihnen konfrontiert zu sehen, war sicher keine leichte Sache. Aber andererseits konnten die Kinder auch eine große Hilfe sein.
      "Ja, darum gebt Ihr ruhig ein wenig Zeit. Ihr könnt solange hier wohnen, das ist kein Problem. Vielleicht hilf es ihr ja, eine vertraute Person um sich zu haben."
      Rana legte ihre Hände in den Schoß und faltete diese, während sie dazu nickte. Ja, sie wollte eine Hilfe sein. Da sie sich noch immer nicht klar war, was das große Ziel war, von dem der Wanderer immer gesprochen hatte, war es sicher nicht falsch, sich diesem Abschnitt zu widmen. 'Alles hat seinen Grund, alles ist wichtig und ein Teil des großen Ganzen. In Calpheon liegen Hinweise und Fäden, die für dich wichtig sein könnten, Alierana,' hatte der Wächter ihr einmal erklärt. Das war auch der Grund gewesen, weshalb Rana nach Calpheon gereist war. Fragmente eines Rätsels, dessen Frage sie nicht einmal kannte.
      "Ich würde ihr gerne helfen, darum habe ich sie ja begleitet. Kann ich etwas für Euch tun? Immerhin habt Ihr mir Unterkunft angeboten und ich möchte nicht unhöflich oder gar eine Last sein."
      Rana neigte den Kopf etwas, doch die Windmagie schwieg, sie musste ihre eigenen Entscheidungen treffen.
      "Das seid Ihr nicht. Eine Person mehr oder weniger hier fällt bestimmt nicht ins Gewicht. Und wenn Ihr Xellesa helft, helft Ihr auch uns, ihrer Familie," entgegnete die Gräfin.
      "Ich, ich habe einen Adler, im Augenblick ist er irgendwo draußen. Kann ich ihn dann auch irgendwo unterbringen?"
      Die Gräfin nickte.
      "Aber natürlich, wir haben Botenvögel, er könnte bei ihnen unter kommen."
      "Danke, er ist ein treuer Freund, der auch mal ein Auge offen hält."
      Erleichtert lächelte sie, während die Gräfin noch einmal nickte.
      "Wenn Ihr wollt, bringt eine Wache Euch jetzt zu Eurem Zimmer. Ihr seid nach so einer Reise sicherlich auch müde," bot die Gräfin an und Rana nickte dankbar.
      Tatsächlich fühlte sie sich etwas ausgelaugt, auch wenn sie der Reise nur bedingt die Schuld dafür gab. Sie Suche in der Stadt, die Angreifer und auch die Ereignisse davor waren im einiges anstrengender als ihre Erlebnisse vor der Gruppe gewesen.
      "Ich bin lange Reisen eigentlich gewohnt, doch ich muss zugeben, dass die jüngste Zeit nicht einfach war. Die Suche durch die Stadt hat mich doch recht erschöpft."

      Tsatsuka stand auf und machte eine einladende Geste, was Rana dazu veranlasste, aufzustehen. Sie strich sich ihre Kleidung glatt und blickte zu Mendred und Tsatsuka, verneigte sich noch einmal.
      "Folgt mir bitte, wenn ihr irgend etwas benötigt, es wird eine Wache zu eurem Schutz vor der Tür stehen und Euch um eure Anliegen kümmert," erklärte die Gräfin.
      Mendred nickte Rana zum Abschied zu und nahm sein Buch wieder zur Hand und widmete sich seiner Lektüre.
      "Gute Nacht, mein Kind," sagte die Gräfin und übergab Rana einer Wache, die das Mädchen zu ihrem Zimmer geleitete.

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      Mendred: "... aber mit dem Schwert geht's schneller."

    • Rana zog die beiden Flügel des Fenster nach innen auf, um die frische, aber kalte Luft ins Zimmer zu lassen. Rana vermisste die Wälder, doch sie hatte ihre eigenen Wünsche zurück gestellt, um für Xellesa da sein zu können. Sie lehnte sich auf das Fensterbrett und atmete tief ein. Irgendwo in der Ferne zog ein Schwarm Vögel vorüber, auf dem Hof unter ihr eilten Boten über die Wege. Rana seufzte und drückte sich wieder und schloss die Fenster. Sie blickte zum Bett, darauf lag ein geöffnetes Buch. Das Zimmer, in dem man das Mädchen einquartiert hatte, besaß ein erstaunlich großes Sortiment an verschiedenen Büchern. Jenes, dass sie ausgewählt hatte, erzählte von den Lehren des Elion. Der Wanderer hatte ihr über diesen Glauben erzählt und ihr die wichtigsten Eckpfeiler genannt, doch sie hatte mehr von Aahl erfahren, denn das war der Glaube, dem der Wanderer gefolgt war.

      Rana glaubte daran, das Richtige zu tun, aber sie hatte ein seltsames Gefühl. Als ob etwas nicht stimmte. Es war nicht greifbar, verschwommen und fern. Sie konnte sich nicht erklären, was es genau war. Instinktiv holte sie ihren Anhänger hervor, ein blauer Kristall, eingerahmt in einer silbernen, sehr fein gearbeiteten Fassung. Sie drehte den Anhänger, auf der Rückseite war ihr Name eingraviert. Das blau des Kristalls war mit den Jahren etwas ermattet, die innewohnende Magie schwach geworden. Rana hatte nie genau heraus gefunden, welchen Zweck der Anhänger hatte, doch er hatte eine schützende und behütende Aura. Vermutlich war er auch ihre einzige Verbindung zu ihrer Herkunft. Der Wanderer war ihre Familie, sie hatte immer jemanden, von dem sie wusste, dass er an sie dachte. Ob das auch auf ihre Eltern zu traf? Rana wusste es nicht, im Augenblick konnte sie wenig daran ändern. Sie ließ den Anhänger los, der Kristall baumelte lose über ihre Kleidung. Hoffentlich konnte sie bald Xellesa treffen. Sie wandte sich wieder dem Bett und dem darauf liegendem Buch zu. Sie nahm es auf und setzte ihre Lektüre fort.
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      Mendred: "... aber mit dem Schwert geht's schneller."

    • Aliera wurde von einem Klopfen geweckt. Sie war über dem Buch über Elion eingenickt und es dauerte einen Augenblick, bis sie sich in die Realität zurück versetzt hatte. Sie hatte einige seltsame Dinge geträumt. Eine wirre Mischung aus dem Anwesen, Xellesa, Elion und den Wäldern, selbst der Wanderer hatte seinen Auftritt gehabt. Sie schob das Buch zur Seite und fuhr sich über das Gesicht. Sie eilte zur Tür, um diese zu öffnen. Davor stand eine junge Frau, wohl nur wenige Jahre älter als sie selbst. Ihr dunkles Haar war zu einem Dutt hochgesteckt, die Kleidung ließ den Blick auf Tätowierungen frei.

      Sie stellten sich einander vor. Sie unterhielten sich zuerst über Xellesa, die Person, die sie gewissermaßen verband. Aegaria wollte wissen, wie lange Rana Xellesa schon kannte. Rana hatte tatsächlich einige Momente überlegen müssen, die letzten Wochen und Monate waren ereignisreich und nicht immer einfach gewesen. Letztlich schätze die Zeit auf etwa drei Monde ein. Aegaria sprach von den Veränderungen, die Xellesa wohl durchgemacht hatte und Rana brachte eigene Gedanken dazu ein. Erinnerungen und Erlebnisse machten einen großen Teil einer Persönlichkeit aus und Alierana beschrieb Xellesa, so wie sie sie kennen gelernt hatte. Inzwischen hatte sich Aegaria gesetzt, doch Alierana war stehen geblieben, denn sie hatte sich den ganzen Tag nur wenig bewegt und es verlangte ihr nicht danach, ebenfalls zu sitzen. Sie hoffte, dass Aegaria das nicht als unhöflich aufgefasst hatte.

      Aegaria hatte das Gespräch danach auf die Magie gelenkt, denn so wie Alierana sie bei Aegaria gespürt hatte, schien es auch anders herum zu sein. Rana war stets bemüht, ihr Talent zu verbergen. Nicht nur, weil es an manchen Orten nicht gern gesehen oder gar verhasst war, sondern sie wollte sich nicht auf die Magie alleine zu verlassen. So etwas konnte den Verstand vernebeln und andere Fähigkeiten verkümmern lassen, weil man es sich zu leicht machte. Rana hatte erklärt, dass sie die Magie eher intuitiv nutzte und noch viel zu lernen hatte. Sie sah sie als erweitere Wahrnehmung, etwas, das nicht einfach aus dem Nichts heraus entstand. Magie war teil der Natur, je mehr Rana auf sie hörte, auf sie einging und sie zu verstehen versuchte, desto mehr verband sich ihre Windmagie mit ihr. Sie war der Ansicht, dass jeder seinen Teil einbringen musste und Ehrlichkeit, Sanftheit und Vertrauen einen wichtigen Anteil daran trugen. Schaden und Böswilligkeit schädigten der Magie, ließ sie roh und zerstörerisch werden. Auch Aegaria sprach von ihrer Magie, wie sie sich in ihren Träumen manifestierte und die mögliche Zukunft zeigte, wenn die aufgebaute Bindung stark genug war.

      Je länger sie miteinander sprachen, desto wohler fühlte sich Rana bei Aegaria. Es gab neben dem Wanderer nur sehr wenige Personen, mit denen sie sich über die Magie, wie sie diese empfand und sah, sprechen konnte. Rana erzählte Aegaria, dass ihre Herkunft unklar war, es aber im Augenblick wichtigeres gab, bevor sie dieser Spur weiter folgen würde. Alierana lernte, dass Aegaria ebenfalls auf dem Anwesen der Ceos lebte und für diese arbeitete. Aegaria riet der Windläuferin, dass sie sich bei Fragen eher an Mendred halten sollte, da er angenehmer wäre. Bisher hatten sie alle freundlich behandelt, aber Aegaria schien zu wissen, wovon sie sprach.

      Später, Rana hatte sich mittlerweile doch zu Aegaria gesetzt, hatte diese das Gespräch auf etwas ernsteres gelenkt. Die Zukunft. Das, was Rana tun wollte. Etwas, das für Rana gar nicht so einfach war, denn sie lebte im Jetzt und machte sich oft nur wenige genaue Gedanken zur Zukunft, eher Gedanken über den Weg, den sie gehen könnte. Rana hatte einen langen Augenblick inne gehalten. Wie weit würde sie gehen, um Xellesa zu helfen? Eine berechtigte, aber schwierige Frage. Rana entschied immer nach Gefühl und Intuition, wie der Wind. Aegaria schien sie wohl zu verstehen und merkte an, dass sie Rana wohl ohnehin nicht in etwas hinein ziehen wollte. Allerdings hatte das Ranas Interesse geweckt und so erklährte Aegaria ihr, dass Xellesa sich schon früher verändert hatte. Sie schien schlechte Dinge getan zu haben und es gab Orte, die dies bezeugen konnte. Sie wollte nicht, dass Xellesa diese Orte sah. Rana überlegte einen Augenblick und erwähnte das Haus, welches Xellesa seltsam angeblickt hatte. Rana berichtete von ihren Eindrücken, die Aegeria letztlich bestätigte. Aegaria wünschte sich, dass Xellesa diesen Teil ihrer Vergangenheit hinter sich lassen konnte, deshalb wollte sie das Gebäude verbrennen. Beide Mädchen wussten, dass es sicher nicht einfach werden würde, denn ein Brand erzeugte nicht nur Aufmerksamkeit, sondern bildete auch eine Gefahr für umstehende Gebäude. Sie lehnte allerdings Ranas Hilfe zu deren Sicherheit ab, doch den Vorschlag Bücher, die sich mit Feuer und der Wissenschaft darum beschäftigte, nahm sie dankend an.

      Nun hatte Xellesa ihre Kinder um sich, aber auch ihren Ex-Mann und Aegaria wirkte besorgt. Sie erklärte Alierana, dass er keine gute Person war und sie ihn im Auge behalten würde. Rana entschloss sich, das Selbe zu tun, wenn sie die Gelegenheit dazu hatte. Die Unterhaltung neigte sich dem Ende zu, Aegaria war aufgestanden und hatte Alierana ihre offenen Handflächen gereicht. Rana hatte ihre Hände darauf gelegt und Aegaria angeblickt. Aegaria war eine gute Seele, da war sie sich sicher. Aegaria hatte für einen Moment die Augen geschlossen, ihre Berührung war sanft gewesen. Sie bot Rana die Chance, vielleicht etwas über ihre Herkunft zu erfahren. Rana hielt es für eine freundliche Geste, selbst wenn nichts dabei heraus kam, so hatte sie doch eine sehr besondere Person kennen gelernt. Sie war sich sicher, dass sie dort war, wo es gerade richtig und wichtig war. Noch immer spürte sie diese seltsame, unbekannte Komponente, die irgendwo fern bedrohlich lauerte, dennoch bereute sie nicht, hier her gekommen zu sein. Der Wind hatte sie hier her geführt, so hätte es der Wanderer beschrieben und sie stimmte dem zu.
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      Mendred: "... aber mit dem Schwert geht's schneller."