Abitheya

    • In den hier geposteten Texten kann es teils zur expliziter Darstellung von Gewalt kommen. Inspiriert ist die Geschichte teilweise durch die Serie "Spartacus".

      Blut & Sand, Teil 1


      In einem fernen Land im Jahr 93

      Hart schlug der junge Körper mit dem rechten Schulterblatt auf den sandigen Boden auf. Ihre rechte Hand öffnete sich und ließ die Klinge aus, die neben ihr in den Sand fiel. Schwarze Punkte flimmerten vor den Augen und die Luft wurde aus den Lungen gepresst. Mit dem linken Unterarm wischte sie sich Blut und Spucke vom Mund. Sie hatte sich in die Zunge gebissen. Ungeachtet des Schicksals glühte die Sonne am tiefblauen Himmel, als würde sie alles zu Asche verbrennen wollen. Ein Schatten näherte sich, legte sich über ihren Körper und das Gesicht: ihr Gegner, das Schwert hoch erhoben, um den finalen Schlag auszuführen.
      Mit einer beherzten Rolle drehte sich Abitheya zur Seite. Die Spitze des Schwertes grub sich links neben ihr in den Sand. Sie rollte zurück, auf die Waffe des überraschten Gegners, sodass sie ihm aus der Hand gerissen wurde. Kurzentschlossen winkelte sie ihr rechtes Bein an und trat fest zu. Die weiche Sandale traf ihn genau zwischen die Beine, sodass er aufheulte. Sie nutzte den Moment aus, packte ihre Waffe mit einer Hand und die des Gegners mit der zweiten und sprang auf. Wild wollte sie mit beiden Klingen zuschlagen, doch der wesentlich größere Mann machte einen Ausfallschritt nach vorne und verpasste ihr mit dem Ellbogen einen Kinnhaken, sodass sie erneut rücklings in den Sand stürzte.
      Der Mann reagierte schnell und fiel über sie her, drückte ihr ein Knie auf die Brust und das andere auf den Hals, sodass sie kaum Luft bekam. Ihr Gesicht wurde hochrot und sie keuchte, ihr Widerstand war gebrochen. Sie schmeckte süßliches Blut im Mund. Vermengt mit dem bitteren Geschmack der Niederlage.

      Plötzlich war der Druck von ihrem Hals und ihrer Brust verschwunden. Der Mann, der sie eben noch in der Zange hatte, stand über ihr und reichte ihr eine Hand. Sie ergriff seinen Arm und ließ sich von ihm aufhelfen. Er grinste, aber das Gesicht noch immer schmerzlich verzerrt.
      „Du lässt deine Deckung fallen, wenn du angreifst. Ein dummer, vermeidbarer Fehler!“ Dormas bückte sich, schnappte die beiden Waffen und warf ihr eines der Schwerter zu. „Nochmals!“
      Mit beiden Händen umpackte sie fest den Griff der Holzklinge. Sie stellte den linken Fuß vor und richtete die Spitze auf das Gesicht ihres Gegners, wie sie es gelernt hatte. Abitheya hustete und spukte Blut in den Sand, dann straffte sie die Schultern. „Bereit.“

      Am Ende des Tages lag das Mädchen noch mehrmals im Sand. Dormas hatte sie weitere Male zu Boden geschickt. Jedes Mal, wenn sie nur einen winzigen Fehler machte. Er war größer, schwerer, kräftiger und hatte eine höhere Reichweite. Doch sie spuckte Blut und Sand aus, sammelte sich aufs Neue und machte weiter. Jeder Fehlschlag war eine Erfahrung mehr, aus der sie lernen konnte. Es war ein Tag wie der zuvor und der zuvor und der zuvor. Sie wusste gar nicht mehr, seit wie vielen Wochen sie täglich trainierte. In der Früh musste sie laufen, am Nachmittag gegen ihre Lehrer oder andere Schüler kämpfen und am Abend am Palus, einen aufgestellten Holzpfosten, die gelernten Sequenzen einstudieren.

      Anfangs wurde sie von den anderen Schülern ausgelacht, obwohl auch diese neu hier in der Sekolah waren. Sie war das einzige Mädchen und schwächer und jünger als die meisten gewesen. Soweit sie wusste, war sie überhaupt das erste Mädchen dieser Schule. Eigentlich hätte sie im Haus der Besitzer dienen sollen. Kleidungen waschen, Essen servieren, den Staub wegwischen und für alle weiteren Aufgaben, die von ihr verlangt wurden, bereitstehen. Doch als sie sich beim Spalten eines Obsts in den Finger schnitt und am nächsten Tag kaum noch etwas von der Verletzung zu sehen war, erregte das Aufmerksamkeit.
      Sie wurde in den Arm geschnitten und auch diese Wunde heilte schnell. Nach wenigen Tagen war nicht einmal mehr eine Narbe zurückgeblieben. Sie wurde befragt und ihr wurde ein Finger gebrochen. Die Verletzungen schmerzten sie wie jeden anderen, doch die Heilung war um ein Vielfaches schneller. Zu ihrem Glück stellte der Medicus fest, dass ihr Körper genauso sterben würde, wie jeder andere, wenn sie schwer genug verletzt wird und so sah man davon ab, weitere Tests durchzuführen. Doch ihre Zeit als Dienstmädchen war vorbei. Eine Kämpferin, deren Wunden alle von selbst heilten und keine Spuren hinterließen, war etwas von Wert und so kam sie in Sekolah. Eine Schule, in der Gladiatoren ausgebildet wurden.

      Sie wurde genauso behandelt, wie alle anderen Schüler. Sie musste in der Schule schlafen, den geschmacklosen Brei essen, der zumindest sättigte und Kraft gab. Sie trainierte mit den männlichen Neuzugängen, musste sich im gleichen Bad waschen und die gleichen Übungen bestreiten. Anfangs war ihr das mehr als nur unangenehm und sie zog sich zurück, wann immer sie nur konnte. Das stachelte die anderen allerdings nur mehr an. Über sie wurde gelästert und es wurden Wetten abgeschlossen, ob sie überhaupt ein paar Tage lang das Training überleben würde. Einzig der Respekt vor den Ausbildern, die stets darauf achteten, dass es zu keinen Gewalttaten kam, schützte sie.
      Nur einer der Neuzugänge der Sekolah, Jannick, wollte sich darüber hinwegsetzen, als er dachte, sie wären unbeobachtet. Das Schwert Dormas‘ sorgte jedoch dafür, dass er nie wieder die Vergnügungen einer Frau erleben würde und selbst beim Urinieren ärgste Qualen über sich ergehen lassen musste. Die Strafen in der Schule waren hart, denn nachdem der Medicus die Wunde versorgt hatte, musste er sein eigenes Blut aufwischen, indem noch das nun fehlende Körperteil lag.
      Doch die Wirkung blieb nicht aus. Abitheya fühlte sich ein klein wenig sicherer und keiner der Neuzugänge verschwendete mehr einen Gedanken daran, sich über Anweisungen hinwegzusetzen. Trotzdem musste sie sich beweisen. Die ersten Abende fiel sie todmüde auf die Matratze. Ihr Körper war übersäht mit Prellungen und Blutergüssen. Obgleich ihrer schnellen Heilung gab es keinen Tag, an dem ihr nicht mindestens ein Arm oder Bein schmerzte und die Haut grünblau gefärbt war. Aber ebenso wurde sie von Tag zu Tag kräftiger. Und ihre Zähigkeit wurde mit dem Respekt der anderen Schüler belohnt. Sie war eine von ihnen geworden.

      Neben den Ausbildern gab es unter den in der Sekolah lebenden Personen zwei Gruppen: die Gladiatoren, die bereits Kämpfe bestritten und die Schüler, die noch auf ihren ersten Einsatz warteten. Die harte Ausbildung schweißte die Schüler zusammen, aber zwischen ihnen und den Gladiatoren gab es manchmal Reiberein und Streiche. Meistens auf Kosten der Schüler. Es würde noch ein Jahr der Ausbildung vergehen, bis die Schüler sich beweisen durften. Erst dann durften sie sich Gladiatoren ebenfalls nennen. Abitheya verschwendete noch keine Zeit drauf, über diese Zukunft nachzudenken. Sie wollte nur einmal von den Älteren wissen, ob es andere Frauen gab, die Gladiatoren waren. Es gab sie, aber sie waren seltener.

      Die Stimmung an jenem Abend in der Schule war gut, bald standen die nächsten Kämpfe an und die Schüler würden mitgehen, um sie in der Arena zu sehen. Abitheya setzte sich mit Markas zusammen, der an diesem ebenfalls gegen Dormas gekämpft hatte. Obwohl die Sonne bereits untergegangen war, strahlte der Sand, in dem sie saßen, Wärme aus. Sein linkes Auge war Blutunterlaufen und angeschwollen von einem Schlag den er einstecken hat müssen. Im Gegensatz zu ihr zählte er zu den besseren Schülern, denn er lernte schnell, war ausdauernd und hatte Talent. Außerdem war er ein guter Beobachter.
      „Warum hast du mit zwei Schwertern angegriffen, Theya? Du hattest Dormas entwaffnet und hättest ihn mit Bedacht angreifen können, vielleicht sogar einen Schlag verpassen.“
      Sie zuckte leicht mit den Schultern und kratzte vertrocknete Haut von ihrer Wade, wo sie tags zuvor von einem Übungsschwert aufgerissen war. Ohne aufzublicken antworte sie: „Ich dachte, ich bin schnell genug und dass er es vielleicht nicht kommen sieht.“
      Markas lachte. „Das ist Leichtsinn. Du weißt sehr wohl, dass du Dormas auf die Weise nicht besiegen kannst.“
      „Ich kann ihn überhaupt nicht besiegen, Markas.“ Nun blickte sie auf, lächelte sanft. Es entsprach der Wahrheit. Dormas hatte mehr als zehn Jahre Erfahrung in der Arena und diente nun schon seit vielen Jahren als Ausbildner. Das war ein Vorsprung, den man nicht in Wochen aufholen konnte.
      „Eines Tages werden wir soweit sein und er wird am Boden liegen und Sand fressen. Pass nur auf, dass du nicht vorher durch solche Dummheiten deinen Kopf verlierst. Oder wächst der bei dir nach?“ Er grinste sie an. Als Antwort griff sie in den Boden und schleuderte Markas eine Faust voll Sand entgegen. Er lachte lediglich und putze sich den Sand vom Oberkörper. „Ich werte das als ein Nein.“

      „Glaubst du, wir werden so lange leben wie er?“, fragte Abitheya wieder ernsthafter. Auch seine Miene zeigte sich nachdenklich. Als Gladiatoren würden sie regelmäßig in gefährlichen Kämpfen antreten, die mitunter auch tödlich endeten.
      „Wenn wir alles von ihm lernen“, entgegnete er schließlich, „werden wir das.“
      "Japan ist ein wenig so wie Österreich: da hast du erstens das Meer..." 8o

    • Blut & Sand, Teil 2


      In einem fernen Land im Jahr 93, wenige Wochen später

      „Aufstehen!“, brüllte Dormas. Jannick schlug stolz mit seinem Holzschwert gegen das Schild und umkreiste den am Boden liegenden Markas. Er pustete dabei seine schulterlangen, blonden Haare zur Seite. Markas hingegen war die Überraschung ins Gesicht geschrieben. Die Peitsche des Ausbildners knallte durch die Luft, um seinen Befehl zu unterstreichen und er rappelte sich auf. An seiner Haltung war zu erkennen, dass ihm das linke Bein schmerzte, wo er einen Schlag einstecken musste.
      Abitheya stand mit den anderen Schülern am Rand des Übungsplatzes und beobachtete das Duell. Der dunkelhaarige Markas hatte sich in letzter Zeit als der Beste von ihnen erwiesen. Dass er nun gegen Jannick unterlag, kam für alle unerwartet. Markas griff an, das Schwert auf Kopfhöhe über sein Schild geführt, stürmte er vor. Er war kräftiger als Jannick und wollte ihn so zu Boden stoßen. Doch im letzten Augenblick drehte sich Jannick weg, nutzte sogar den Schwung aus, als die Schilder aufeinanderprallten und schwang sein Schwert rückhändig in der Drehung. Dieses Mal konnte er Markas nicht überrumpeln. Der Dunkelhaarige duckte sich unter den Schlag hinweg und nun standen sie sich wieder gegenüber. Brüllend griff Jannick an und die beiden tauschten Schläge aus, die der jeweils andere abwehrte. Doch Markas wurde von Sekunde zu Sekunde schwächer. Mit einem entschlossenen Tritt gegen den Schild warf Jannick ihn erneut in den Sand. Die Spannung wich aus seinem Körper und außer Atem gab er das Zeichen der Niederlage. Jannick riss Schild und Schwert triumphierend in die Luft.

      „Wer ist hier der Beste, hm?“, fragte er lautstark die zusehenden Schüler. Denn niemand hätte auf ihn gesetzt. Die stille Bestürzung war für den Sieger die größte Belohnung. Plötzlich streckte Raskus die rechte Faust in die Luft.
      „Jannick! Jannick! Jannick!“, rief er und die anderen stimmten ein. Manche bereitwillig, manche mit etwas zögerlicher. Abitheya blieb still. Sollten sich die anderen wie Fähnchen im Wind drehen und immer dem aktuell Besten zujubeln, so wie es noch am Tag zuvor für Markas taten. Sie konnte Jannick nicht ausstehen und wenn sie den Gesprächen Glauben schenken konnte, traf das auch auf einige andere zu. Jannick bemerkte ihre ausbleibende Reaktion und machte einen verächtlichen Kussmund in ihre Richtung. Anfangs waren alle zwölf Schüler eine Gruppe, die zusammenstand. Natürlich war der eine oder andere beliebter und manche verstanden sich besser und andere schlechter. Doch als die Duelle ernsthafter wurden, bröckelte auch die Freundschaft unter ihnen.

      „Das kann geschehen, wenn der Wille stark genug ist“, sprach Dormas laut über den Jubel hinweg und die Schüler wurden leiser. „Markas ist stärker, er ist schneller und er ist besser. Aber ihm fehlte der Wille zu gewinnen. Er hatte seinen Gegner unterschätzt. In der Arena kann es den Tod bedeuten! Vergesst das nicht. Und jetzt zurück in die Reihe mit euch!“
      Markas stand auf und stellte sich wieder neben Abitheya und auch Jannick gliederte sich ein. Beide legten Schild und Schwert vor sich in den Sand. Abitheya warf einen Blick auf Markas‘ Profil. Sein Gesicht war starr, ausdruckslos. Die Niederlage nagte an ihm.
      „Esst und ruht euch etwas aus“, befahl Dormas und ließ nochmals die Peitsche knallen. Die zwölf Schüler wandten sich ab und gingen aus der Mittagssonne in den Unterstand, in dem von einem Dienstburschen der übliche Brei ausgeteilt wurde. Jannick ging als erstes zu ihm und ließ sich seine Schale bis an den Rand vollfüllen. Er tratschte und lachte mit den anderen und genoss sichtlich seinen Sieg.

      „Diese Speichellecker“, murmelte Abitheya und blickte wieder zu Markas während sie sich hintenanstellte. „Da wird mir ganz übel.“
      Als die anderen ihre Schale gefüllt und sich auf die Bänke gesetzt hatten, rempelte sie ihn an. „Du bist an der Reihe“
      Er zuckte leicht, als er aus den Gedanken gerissen wurde und grinste sie kurz an. Wortlos ließ er sich seine Schale füllen und anschließend Abitheya ihre. Als sie ihm zu einer Bank folgte, lachte Jannick auf. „Na Theya, bleibst bei den Verlierern? Ist vielleicht besser so“, rief er ihr zu.
      „Oder hast du Angst, dass er dich sogar ohne seinen Schwanz fickt?“, fügte Raskus hinzu. Dafür erntete er zuerst einen kritischen Blick von Jannick, doch als die anderen auflachten, machte er mit. Sie stellte ihre Schale ab und ballte die Hände zu Fäusten, was Raskus zu weiteren Provokationen anstachelte.
      „Ist vielleicht eh besser so, Mädchen haben unter Männern nichts verloren. Sie sind schwach und zerbrechlich. Ganz besonders du.“

      „Nicht…“, meinte Markas, doch es war zu spät. Mit schnellen Schritten bewegte Abitheya sich auf Raskus zu und sprang ab, um ihn mit voller Wucht von der Bank zu reißen. Er wurde von dem Angriff überrascht und wollte ihr entweichen. Doch sie kniete über ihn, hielt ihn mit den Beinen fest und schlug zu. Sie traf ihn mit der Faust auf die Nase und hörte, wie Knochen brachen. Blut kam aus seiner Nase und der nächste Schlag traf ihn noch, bevor er seine Arme zum Schutz hochziehen konnte. Das Blut verteilte sich über sein Gesicht. Sie wollte erneut zuschlagen, doch ein Tritt in die Seite fegte sie von Raskus auf den Boden. Dormas stand zwischen den beiden. Mit einem zornigen Funkeln in den Augen.
      „Spart euch das für den richtigen Kampf!“, schimpfte er erzürnt. Abitheya rollte sich auf den Rücken und setzte sich auf. Ihr Blick richtete sich auf Raskus, der sich gerade die Nase hielt. Ein Lächeln huschte ihr dabei über die Lippen. Dormas musterte die beiden und schüttelte dann resignierend den Kopf.
      „Ab zum Medicus, Raskus“, befahl er und ging zurück in die hintere, kühlere Ecke. Abitheya rieb sich über die Stelle, wo sie sein Tritt getroffen hatte. Es schmerzte leicht, aber es war nichts gebrochen. Markas kam zu ihr und half ihr auf.

      „Komm schon, auf jetzt“, meinte er und führte sie zurück zur Bank, wo ihre Essensschale stand. Zumindest spottete jetzt niemand mehr von den anderen. Selbst Jannick aß still seinen Brei. Natürlich lag das nicht an ihr, sondern keiner wollte riskieren, dass der Ausbildner wirklich wütend wurde. Sie setzte sich und tauchte die Hand in die Schale, um ebenfalls den Brei zu essen.
      „Er hat es verdient“, brummte sie.
      „Hat er. Aber das nächste Mal zeigst du es ihm auf dem Sand und nicht beim Essen“, entgegnete Markas. Doch es war leichter gesagt als getan. Sie hatte in den Wochen, mittlerweile sogar Monaten seit sie in die Sekolah gekommen war, viel gelernt und wurde kräftiger, doch die anderen hatten ihr in dieser Hinsicht noch immer etwas voraus. Aber es würde nicht immer so bleiben. Sie würde sich mehr anstrengen.

      „Du musst mir helfen“, meinte Abitheya und schleckte sich die letzten Reste des Breis von den Fingern.
      „Muss ich das, nur, weil du dich nicht dem Günstling der Stunde zuwendest?“ Markas zog die Augenbrauen hoch. Seine Stimme zeigte jedoch mehr Neugierde als Ablehnung. Doch sie ging gar nicht auf die Frage ein.
      „Du musst mit mir abends trainieren“, verlangte sie.
      „Du meinst in der Zeit, die uns eigentlich zur Erholung zusteht? In der Zeit, wo wir uns waschen und zu Abend essen und uns den Würfelspielen zuwenden?“, wollte er wissen.
      „Ja.“
      „In Ordnung“, meinte Markas schlicht und stellte seine Schale ab. Sie war überrascht, dass er so einfach zustimmte und sie ihm nicht erklären musste, dass auch er lernen und wieder besser werden würde. Dass er seinen Platz als bester Schüler wieder zurückerobern musste. Aber sie war schlau genug, das nicht weiter in Frage zu stellen.
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    • Blut & Sand, Teil 3


      In einem fernen Land im Jahr 93

      Das silbrige Mondlicht brachte die beiden Körper zum Glänzen, als sie mit Holzschwertern aufeinander losgingen. Schnelle Schläge gefolgt von kurzen Pausen und Erklärungen, wieder gefolgt von einer Schlagsequenz. Markas hatte sein Versprechen wahrgemacht und trainierte mit Abitheya in den Abendstunden, manchmal – so wie an jenem Tage – bis in die Nacht hinein. Von Dormas hatten sie die Erlaubnis, die Übungsklingen zu benutzen.
      „Wenn einer von euch die Klinge gegen einen unbewaffneten Schüler oder Gladiator erhebt, werdet ihr beide dafür bestraft. Also achtet auf den jeweils anderen“, lauteten seine warnenden Worte, als er die Holzschwerter übergeben hatte.

      Markas wiederholte an den ersten Abenden mit ihr die Übungen, die ihr tagsüber schwerfielen und zeigte ihr auch die eine oder andere Feinheit. Vor allem arbeiteten sie jedoch an ihrer Beinarbeit. Dass ein stabiler Stand die Basis für Angriff und Verteidigung bildete, wusste sie natürlich, doch er zeigte ihr, wie sie ihre Füße im Einklang mit den Schwertbewegungen jederzeit sicher versetzte. So konnte sie sich nach wenigen Nächten merklich verbessern und weiter zu den anderen aufschließen.

      „Wie geht es deinem Rücken?“, fragte er sie nach den Aufwärmübungen. Am Tag hatte sie einen ordentlichen Hieb einstecken müssen und die Haut zeigte noch den rötlichen Abdruck des Schwerts. Mittlerweile mit ersten Blutergüssen verziert.
      „Das ist nichts“, entgegnete Abitheya und ließ ihre Schultern kreisen. Allerdings zwickten ihr dabei unangenehm die beleidigten Muskelfasern im Rücken.
      „Wenn du es sagst“, meinte er und griff wieder an, schwang sein Schwert in einem horizontalen Bogen. Sie führte ihre Klinge aufgerichtet und wehrte den von links kommenden Schlag ab. Doch dieser war viel schwächer, als sie erwartet hatte. Im selben Augenblick spürte sie, wie sein Fuß ihr vorderes Bein wegriss. Sie wollte zurückweichen, doch er war schneller. Sein Körper prallte gegen ihren und sie landete hart im Sand. Die Spitze seiner Waffe berührte ihre Nase.

      „Du schaust zu sehr auf mein Schwert. Doch das verrät dir nur die halbe Wahrheit“, verkündete Markas. Sie stieß seine Klinge mit einer unwirschen Geste zur Seite und rieb sich dann die Nase. Er lachte kurz, bevor er weitersprach. „Du musst auf den Körper des Gegners achten. Sein Schwerpunkt verrät dir viel mehr. Daran erkennst du, ob ein Schlag stark sein wird oder nur eine Finte. Wir gehen jetzt ein paar Angriffe durch und du achtest nicht auf mein Schwert, sondern nur darauf, wie sich mein Schwerpunkt verlagert, damit du ein Gefühl dafür bekommst.“
      „Gut“, meinte sie wortkarg, stand auf und klopfte sich den Sand ab. Zwei Stunden später hatte Markas sie immer wieder auf den Boden geschickt, doch sie lernte seine Bewegungen vorauszusehen und mittlerweile konnte sie schon recht sicher erkennen, was er vorhatte und entsprechend reagieren.
      „Du wirst besser“, stellte er keuchend fest. Auch Abitheya atmete heftig, ihr Rücken schmerzte nun deutlicher als zuvor und sie stand leicht nach vorne gebeugt.
      „Danke. Das eben hat mich einen großen Schritt weitergebracht“, erwiderte sie und richtete sich wieder gerader auf. Sie umfasste ihr Schwert fest mit beiden Händen, doch Markas schüttelte den Kopf. „Für heute ist es genug.“

      Sie legten die beiden Übungsschwerter auf die verschlossene Kiste mit den anderen Waffen und kehrten in die Baracke zurück. In einer Zelle, so nannten sie die wenigen privaten Quadratmeter Raum, die ihnen zur Verfügung standen, flackerte noch eine Kerze und leise Worten waren zu vernehmen. Mindestens vier verschiedene Stimmen.
      Die beiden gingen jedoch weiterhinein in den Waschraum und Markas entflammte die Öllampe an der Wand. Das Wasser im Becken war noch eingelassen und lauwarm. Abitheya befreite sich von Armschienen, Sandalen, Brustband und Lendenschurz und stieg in das steinerne Becken. Sie setzte sich auf die Stufe, sodass das Wasser ihr bis zum Hals reichte. Markas tat es ihr gleich und wusch sich erstmal den Kopf.

      „Sieht übel aus, dein Rücken“, meinte er daraufhin. „Bist du dir sicher, dass du dir nicht doch was gebrochen hast?“
      „Ich glaube nicht“, vermutete sie. „Ich hätte sonst kaum mit dir üben können.“
      Er wiegte den Kopf hin und her und rutschte dann an ihre Seite. „Zeig lieber mal her.“
      Sie setzte sich auf den Beckenrand und drehte ihm den Rücken zu. Er tastete die Verletzung ab. Ihre Haut hatte sich an den Rändern noch mehr grünlich verfärbt und sie zischte mehrmals. „Autsch!“
      „Ich bin mir nicht ganz sicher“, meinte Markas schließlich und kehrte an seinen vorherigen Platz zurück. „Fühlt sich nicht so an, als wäre etwas gebrochen. Wie lange dauert es bei dir, bis eine Prellung verheilt ist?“
      Auch sie setze sich wieder in das Becken. „Zwei, drei Tage.“
      „Und wenn was gebrochen ist?“
      „Hm…“, sie rieb sich den Finger, der ihr vor einem halben Jahr absichtlich gebrochen wurde, nur um zu sehen, wie schnell sie heilte. „Mehr als sieben Tage, denke ich. Vielleicht zehn.“
      „Also solltest du morgen früh schon erkennen können, ob es nur eine Prellung oder mehr ist?“
      „Ich denke schon, ja“, sie lachte kurz, doch das führte zu einem erneuten Stich im Rücken und sie verzog das Gesicht. „Eigentlich kann ich es gar nicht genau sagen. So eine starke Prellung hatte ich bisher noch nicht. Schnitte heilen schneller als Brüche, das weiß ich.“
      „Mhm“, meinte er und für ihn schien das Thema somit erledigt. Während er sich wusch, blieb er still. Auch Abitheya ging der Körperreinigung nach und stieg dann aus dem Becken.

      „Wo hast du das alles gelernt?“, wollte sie von Markas wissen.
      „Was alles?“
      „Das, was du mir heute beigebracht hast. Du hast doch nicht erst alles hier gelernt, sonst wüsste ich es ja auch.“
      Er stieg ebenfalls aus dem Becken und sah sie an. Sein Blick schien jedoch durch sie hindurch an die Wand zu gehen.
      „Von meinem Bruder“, antworte er schließlich. „Er ist vier Sommer älter als ich und hatte Spaß daran, mich zu verprügeln. Irgendwann lernte ich an seiner Körpersprache vorherzusehen, was er mir antun wollte und wich ihm aus. Ich wurde dabei besser und besser und besser.“
      „Hast du nie zurückgeschlagen?“
      „Nein, ich hatte Angst, dass er nur umso härter zuschlug. Also ließ ich es über mich ergehen. Viele Jahre.“
      „Hat dir denn niemand geholfen?“, wollte sie wissen. Sie schnappte sich eines der Tücher zum Abtrocknen und wickelte sich darin ein. Markas schüttelte den Kopf.
      „Und dann bist du hierhergekommen, um zu lernen, wie du dich wehren kannst?“, vermutete sie.
      „Mein Vater hat mich an diese Sekolah verkauft, nachdem ich meinen Bruder getötet habe“, erklärte er und nahm das andere Tuch.
      „Du hast deinen eigenen Bruder getötet? Das kann ich mir nicht vorstellen.“ Ungläubigkeit spiegelte sich in ihrer Miene wider. Sie hätte nicht gedacht, dass Markas dazu fähig war. Bei vielen anderen Schülern würde sie nicht zögern, das zu glauben, aber nicht bei ihm. Er zuckte hingegen nur mit den Schultern.
      „Glaub es oder glaub es nicht, Spitzohr“, meinte er und verließ mit seinen Sachen den Waschraum. Ihr Blick verfinsterte sich. Sie mochte es nicht, wenn sie Spitzohr genannt wurde, auch wenn ihre Ohren gegenüber denen die anderen Schüler spitz zuliefen. Und Markas wusste genau, dass sie das ärgern würde. War sie in einen Bereich vorgedrungen, der zu persönlich war, den er nicht preisgeben wollte oder zeigte er ihr nur, dass er auch anders sein konnte?

      Sie beugte sich nochmals zu dem Becken und zog an der Kette, die wiederum den Stoppel aus dem Auslass öffnete. Dann sammelte sie ihr Zeug ein, löschte die Öllampe und kehrte in ihre Zelle zurück.
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    • Blut & Sand, Teil 4


      In einem fernen Land im Jahr 93

      Der Würfel rollte über den Tisch, hüpfte, als er von einem Brett auf das nächste kam und blieb schließlich liegen. Die Augenzahl zeigte vier. Markas schlug die Hände zusammen.
      „Verdammt! Uns wird noch der Wein ausgehen“, stieß er aus und griff nach Raskus‘ Becher und dem Krug mit Wein. Er füllte den Becher auf und reichte ihn Raskus mit den Worten: „Mein König, Euer Wein.“
      Raskus neigte grinsend das Haupt und schnappte sich den Becher. Mit einem Zug schüttete er das Gesöff ich sich hinein. Er stellte den leeren Becher ab, rülpste und sprach. „Ich danke dir, mein ergebener Diener und jetzt gib mir den Würfel.“
      „Wie Ihr wünscht, mein Herr.“ Markas schob den kleinen Würfel rüber und Raskus warf ihn. Eine Sechs. Kommentarlos schob er den Würfel weiter zu Abitheya. Sie hob zuerst ihren Becher an die Lippen, um einen Schluck Wein zu trinken und würfelte.

      Seit dem Zwischenfall beim Mittagessen waren zwei Wochen vergangen. Raskus‘ Nase war beinahe verheilt. Das gemeinsame, harte Training führte dazu, dass sie sich wieder zusammengerauft hatten. Zwar mochte Abitheya ihn noch immer nicht sonderlich, aber es reichte aus, um mit ihm gemeinsam zu trinken und zu spielen. Dass sie Wein hatten, verdankten sie dem Sieg eines Gladiators bei einem prestigeträchtigen Kampf. Von seinem Erlös orderte er Wein und Huren für ihn und seine Kameraden. Eigentlich würden sie den Schülern nichts davon abgeben, aber nachdem sie den ganzen Abend Wein gesoffen hatten und sich jetzt mit den Huren vergnügten, blieben noch ein paar Krüge über. Niemand würde morgen bemerken, wenn sechs oder sieben Krüge mehr geleert wurden.

      Der Würfel blieb liegen und zeigte zwei Augen. Abitheya stützte die Ellenbogen auf der Tischkante ab und richtete ihren Blick auf Raskus. „Na, frag mich was.“
      „Hm, es gibt da etwas, das hat mich schon immer interessiert, Theya“, meinte er und beugte sich ebenfalls leicht vor. „Wie alt bist du?“
      Sie lachte auf. „Ich würfle eine zwei, das heißt, du kannst mich alles fragen und dich interessiert mein Alter? Dann sollst du es wissen, ich bin neunzehn Jahre alt.“
      „Das wusste ich auch nicht“, gab Markas zu und schnappte sich den Würfel. „Damit bist du ein Jahr älter als ich.“
      Er würfelte eine Fünf und musste sich selbst einen Becher Wein einschenken. Es ging reihum weiter und eine Stunde später war der übernächste Krug Wein leer. Raskus schlief mit dem Kopf auf dem Tisch, Markas hielt sich noch irgendwie aufrecht und Abitheya überlegte, ob sie es Raskus gleichmachen sollte oder sich doch noch in ihre Zelle schleppen. Mittlerweile war es ruhig geworden in der Baracke. Dormas schritt nochmals hindurch und kontrollierte, ob alles friedlich war, bevor er sich in sein Bett begab.

      Die unnachgiebigen Strahlen der Sonne weckten Abitheya. Sie öffnete ein Auge, schloss es aber sogleich wieder, als sie das strahlende Licht blendete. In der Nähe ihres Kopfs vernahm sie lautstarkes Schnarchen. Mühsam schirmte sie ihre Augen mit der Hand ab und versuchte sie abermals zu öffnen. Es war noch immer hell, aber nicht mehr ganz so blendend. Mit einem Brummen hob sie ihren Kopf von der Tischplatte an und versuchte zu eruieren, wer hier schnarchte. Es war Raskus. Er hatte seinen Kopf mit der Stirn auf der Tischplatte abgestützt und unter seinem Mund hatte sich eine Pfütze aus Speichel gebildet. Abitheya erhob sich auf wackeligen Beinen und wäre beinahe wieder umgekippt, wenn sie nicht eine Holzsäule zu fassen bekommen hätte.

      „Beim Donner der Unterwelt…“, murmelte sie und versuchte das Schwindelgefühl loszuwerden.
      „Ah, zumindest irgendjemand ist wach.“ Dormas ging an ihr vorbei und verpasste ihr einen Klapps auf den Rücken. Sie reckte sich und musste aufpassen, dass sie sich nicht übergab. Es war am Ende doch zu viel Wein. Der Ausbildner betrachtete sie amüsiert und betrat den Sand des Übungsgeländes.
      „Schüler, antreten!“, brüllte er. Abitheya zuckte zusammen und torkelte auf den Sand. Sie versuchte so etwas, wie eine gerade Haltung anzunehmen, obwohl die Welt immer nach links wegzukippen drohte.
      Langsam kam Leben in die Sekolah. Markas erschien mit weiteren Schülern und auch Raskus erwachte. Als letztes reihte sich Grisathor ein. Dormas schritt vor den zwölf Schülern mit eiserner Miene auf und ab. Die Peitsche zusammengerollt in der Hand.

      „Schüler!“, sprach er mit lauter Stimme. „Ihr hattet nichts zu feiern. Wenn ihr glaubt, dass ihr vom Wein saufen müsst, dann stört es mich nicht. Aber ihr seid noch keine Gladiatoren und wenn ihr am nächsten Tag nicht pünktlich zu den Übungen erscheint, dann hat das Konsequenzen!“
      Alle in der Reihe nickten eifrig. Dormas ging zu der Kiste mit den Waffen und holte zwei Übungsschwerter heraus. Er kam zurück und warf Grisathor eine Waffe zu. Der Schüler wollte sie fangen, doch sein Griff ging ins Leere und sie fiel in den Sand.
      „Aufheben!“, herrschte Dormas ihn an. „Du warst der letzte, der hier erschienen ist.“
      Das zweite Schwert flog auf Abitheya zu. Bevor sie es realisierte, finge sie die hölzerne Klinge aus der Luft.
      „Abitheya, du warst die erste, die hier war. Vortreten, beide!“
      Das Gefühl der Übelkeit nahm zu, als sie der Aufforderung nachkam.

      „Wenn ihr nicht wisst, was euch am nächsten Tag erwartet, dann seid für alles bereit“, sprach Dormas weiter. „Die Gladiatoren haben heute frei bekommen. Sie können von mir aus den ganzen Tag schlafen, die Huren ficken oder den letzten Wein saufen, aber ihr nicht. Nein, ihr habt euch einfach bedient und gepennt, als ob ihr einen großartigen Sieg errungen habt.“
      Er ließ die Peitsche knallen, um seinen Worten Nachdruck zu verschaffen. „Aber ihr habt nicht frei! Und darum werdet ihr jetzt einen Kampf sehen, damit euch das im Gedächtnis bleibt.“
      Er deutet auf Abitheya und Grisathor und seine Stimme senkte sich zu normaler Lautstärke. „Ihr beide tragt jetzt einen Kampf aus. Dieser Sand ist eure Arena und nur einer von euch beiden wird die Arena lebend verlassen.“
      In der darauffolgenden Stille war zu hören, wie die Schüler nach Luft schnappten. Grisathorn sah verunsichert zwischen Abitheya und Dormas hin und her. Abitheya selbst senkte den Blick. Wollte Dormas wirklich, dass sie jetzt auf Leben und Tod kämpften? Sie blickte auf und seine harten Augen waren Beweis genug, dass dem so war. Markas betrachtete sie nachdenklich, als sie ihre Schultern leicht kreisen ließ, um sich zu lockern. Aber die Übelkeit vertrieb sie damit nicht.

      Grisathor schien auch begriffen zu haben, dass Dormas es ernst meinte und nahm Kampfhaltung an. Abitheya schätzte ihn als ihr ebenbürtig ein. Sie hoffte nur, dass er mehr Wein getrunken hatte als sie. Doch selbst dann würde es ein harter und schmerzvoller Kampf werden. Denn während Waffen aus Stahl schnell vom Leid befreien konnten, war es mit stumpfen Übungsschwertern nicht einfach, jemanden zu töten. Sie durfte diesen Kampf nicht wie einen Übungskampf sehen, denn bei diesen verhielt man sich so, als hätte man scharfe Waffen. Ein schwertförmiger Holzstock war jetzt ihre einzige Waffe. Kurz huschte ihr ob der Erkenntnis ein kaltes Lächeln über die Lippen. Sie betrachtete ihren Gegner. Er hielt seinen Holzstock wie ein echtes Schwert.
      „Beginnt!“ Mit diesem Wort eröffnete Dormas den Kampf. Adrenalin rauschte durch Abitheyas Körper und vertrieb die Müdigkeit und Schlaffheit des Alkohols. Sogar die Übelkeit wurde in den Hintergrund gedrängt. Die beiden Gegner stürmten aufeinander los, die Waffen zum Angriff erhoben.

      Die Holzschwerter prallten wieder aufeinander. Abitheyas Arme waren von Blut und Schweiß benetzt. Sie wusste nicht, wieviel davon ihr Blut war und wieviel von Grisathor. Beiden hatten schmerzhafte Schläge einstecken müssen. An mehreren Stellen war ihr die Haut aufgeplatzt und die Finger der linken Hand waren taub. Grisathor ging leicht vorübergebeugt und hielt sich die Flanke mit der freien Hand. Sie hatte einen Treffer mit der Spitze gelandet. Die Unsicherheit war aus seinen Augen verschwunden und Mordlust blitzte auf. Sein Körper spannte sich und er griff erneut an.

      Abitheya beugte sich leicht vor und erwartete seinen Ansturm. Jetzt war der Moment gekommen, an dem sie ihre Taktik ändern und ihre Erkenntnis nutzen würde. Als Grisathor zum Hieb ausholte, packte sie die Spitze ihres Holzschwertes mit der linken Hand und sie sprang hoch. Der starke Hieb schlug harmlos mittig auf ihre Klinge ein und das Zurückfedern des Holzes verschaffte ihr den Augenblick, den sie brauchte. Noch in der Luft rammte sie das Schwer mit dem Griff voraus auf seine Schädeldecke. Das Krachend es Aufpralls war weithin zu hören und Grisanthor taumelte zurück, seine Augen überdrehten. Sie setzte mit einem Tritt nach und warf ihn auf den Sand. Der Schüler verlor dabei sein Bewusstsein.

      Abitheya trat sein Schwert weg und blickte zu Dormas, in der Hoffnung, dass er den Sieg auch so anerkennen würde.
      „Bring es zu Ende“, sprach er jedoch unnachgiebig. Sie richtete den Blick wieder auf den wehrlos am Boden liegenden Grisathor.
      „Verzeih mir“, flüsterte sie und stach mit dem Holzschwert kräftig in seinen Hals. Das Holz durchbrach die Kehle und zertrümmerte die Halswirbel. Blut quoll hervor und verteilte sich im Sand. Sie hatte den Kampf gewonnen, aber kein Applaus ertönte. Keine Worte der Anerkennung und sie selbst fühlte sich, als hätte sie verloren. Sie ließ das Schwert in dem Körper stecken und wandte sich wieder Dormas zu.
      „Ein Gladiator“, sprach er nun wieder laut und zu den verbliebenen elf Schülern, „muss jederzeit bereit sein, in der Arena den Tod zu bringen.“
      Sein Blick fiel auf die Leiche. „Oder ihn mit offenen Armen erwarten. Lasst euch das eine Lehre sein. Und jetzt geht, schlaft euren verdammten Rausch aus!“

      Abitheya stieg willenslos vom Sand auf die Holzbretter der Baracke. Sie spürte plötzlich, wie sich in ihrem Magen etwas rührte. Schnell beugte sie sich vor und erbrach den Wein von gestern. Mehrmals würgte und spukte sie, bis ihr Magen leer war. Die vom Wein rotgefärbte Flüssigkeit sah für sie aus, wie das Blut von Grisathor, das sie im Sand verteilt hatte. Abermals musste sie würgen und husten, doch außer Gallengeschmack kam nichts mehr hervor.
      „Ich bring dich in deine Zelle“, sprach Markas sanft und legte ihr einen Arm um die Hüfte, damit sie nicht umkippte.
      „Er ist tot und ich habe ihn umgebracht“, murmelte sie. „Er war einer von uns und ich habe ihn umgebracht.“
      „Nein“, entgegnete Markas ruhig, aber bestimmt. Er legte sie auf ihre Matratze, trat ein paar Schritte zurück und lehnte sich am Türrahmen an. „Du hast ihn nicht getötet, sondern dein Leben gerettet.“
      Mit diesen Worten verließ er ihre Zelle.
      "Japan ist ein wenig so wie Österreich: da hast du erstens das Meer..." 8o
    • Blut & Sand, Teil 5


      In einem fernen Land im Jahr 94

      Weit über ein Jahr war vergangen, seitdem Abitheya mit der Ausbildung zum Gladiator begonnen hatte. Mit ihr waren es zu Beginn zwölf Schüler gewesen, doch mittlerweile waren sie nur noch acht. Grisathor wurde von ihr in einem Kampf auf Leben und Tod besiegt, Theokro wurde erwischt, als er von der Sekolah zu fliehen versuchte und zwei weitere wurden dahingerafft, von einer fiebrigen Krankheit, die die ganze Schule für zwei Wochen im Griff hatte. Auch einer der Gladiatoren überlebte die Krankheit nicht und ein weiterer ist im Kampf in der Arena gefallen.

      Die Schüler waren kräftiger, ausdauernder und fähiger geworden. Sie kämpften nicht mehr nur mit Holzwaffen, sondern zwischendurch auch mit echten Stahlklingen, denn diese waren leichter und somit etwas anders in der Handhabe als die Übungsschwerter. Als die Schüler das erste Jahr überstanden hatten, sprach der Besitzer der Sekolah das erste Mal zu ihnen. Er gratulierte und erklärte, dass die Zukunft der Schule in ihren Schülern lag und mahnte, dass niemand Theokros Beispiel folgen sollte. Die Reaktionen der Schüler waren vielfältig. Während Markas, Abitheya und Raskus sich damit abgefunden hatten, Sklaven der Schule zu sein, war der lodernde Hass in Jannicks Augen deutlich zu sehen.

      Von den unzähligen Übungsstunden und daraus resultierenden Verletzungen waren die Körper der Schüler von kleineren und größeren Narben gezeichnet. Nur Abitheyas Verletzungen verheilten, ohne sichtbare Rückstände zu hinterlassen. Doch selbst wenn sie nicht sichtbar waren, erinnern konnte sie sich an viele. Vor allem die Erinnerung an den gebrochenen Arm und als der Medicus die Knochen richten musste, schickte ihr heute noch einen unangenehmen Schauer über den Rücken.
      Aber es gab nicht nur schlechte Erinnerungen. Das Band der Freundschaft zwischen ihr und Markas war weitergewachsen und sie hatten auch die Freuden der körperlichen Liebe miteinander geteilt. Raskus legte seine weniger erfreulichen Eigenschaften ab und wurde ebenfalls jemand, den sie und Markas als guten Freund bezeichneten.

      Jannicks Höhenflug nahm ein Ende, als er seinen ursprünglichen Sieg über Markas nicht wiederholen konnte, selbst wenn es oft sehr knapp war. Dennoch bildete er den Kern der fünfköpfigen Clique, die zwar nicht offen gegen das Trio Markas, Raskus und Abitheya stand, aber eine gewisse Feindseligkeit aufrechterhielt. Mit dem Vergehen der Zeit wurde auch Dormas abseits der Ausbildung zugänglicher. Er erzählte Anekdoten über sein Leben als Gladiator und augenzwinkernd über sein Ziel, der Ausbildner zu werden, der die besten Gladiatoren der gesamten Welt formte. Auf dem Sand des Übungsplatzes blieb er jedoch streng und hart.

      Die Schüler konnten in der Zeit mehrere Kämpfe in der Arena beobachten. Sie studierten die Fähigkeiten aber auch die Fehler der Kontrahenten, um von beidem zu lernen. Abitheya stellte schon bald für sich fest, dass der Kampf mit Schwert und Schild zu schwerfällig für sie war. Ihre männlichen Mitschüler waren allesamt kräftiger als sie und sie musste es mit Schnelligkeit und Gewandtheit kontern. Darum lernte sie den Kampf mit Schwert und Dolch. Der sich daraus ergebende Stil war direkt, schnell und aggressiv.

      Die nächtlichen Übungen mit Markas führte Abitheya fort und auch Raskus schloss sich ihnen an. Sie nutzten die Stunden, um vieles auszuprobieren. Dank Dormas‘ Erlaubnis konnten sie auch andere Waffen verwenden und lernen, wie man sich gegen unterschiedlichste Waffen verteidigte. Der Erfolg der Übungen führte dazu, das Jannick mit seiner Clique ebenfalls zwischendurch abends übte, doch sie zeigten nicht die gleiche Konsequenz, sodass sie es nach einigen Wochen wieder aufgaben und sich lieber darüber lustig machten, dass die drei ohne nächtliche Übungen einfach zu schwach wären. Der Spott traf jedoch auf taube Ohren.

      Eines Abends rief Dormas nach dem Essen die acht Schüler noch einmal zusammen. Die untergehende Sonne glänzte auf den gestählten Körpern, während sie auf die Worte des Ausbildners warteten.
      „Schüler“, begann er und seine Stimme klang beinahe feierlich. „Ihr habt eure Ausbildung beinahe überstanden und schon bald werden sich einige von euch Gladiator nennen dürfen.“
      Er sah von Augenpaar zu Augenpaar. Die Schüler blieben ruhig, doch das Wort einige hatten sie nicht überhört.
      „Heute in zehn Tagen wird entschieden. Vier von euch werden bestehen. Die anderen vier werden, so sie die Auswahl überleben, verkauft. Vielleicht an eine andere Schule, vielleicht als ganz gewöhnliche Sklaven, ohne die Möglichkeit, Ruhm und Ehre in der Arena zu erlangen. Am Ende der zehn Tage werdet ihr im Kampf gegeneinander antreten und so die Grundlage für die Entscheidung liefern. Möget ihr die verbleibende Zeit frei nutzen, um euch darauf vorzubereiten.“
      Dormas kehrte zurück in die Baracke. Die Reihe löste sich nur langsam auf. Niemand sagte ein Wort, doch sie tauschten bedeutsame und abschätzende Blicke miteinander aus.
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    • Blut & Sand, Teil 6


      In einem fernen Land im Jahr 94

      Acht Tage waren seit Dormas‘ Ankündigung vergangen. Obwohl die Schüler die Freiheit hatten, auf ihre eigene Art und Weise zu üben, ging das Leben in der Sekolah beinahe wie gewohnt weiter. Jeder wollte in den letzten Tagen noch das Bisschen lernen, das zum Sieg führen würde. Und so setzten Raskus, Markas und Abitheya auch die abendlichen Lektionen fort.

      „Nein! Wenn ich die Drehung mache und nach links abwehre, dann…“, gab Abitheya lautstark und erhitzt von sich.
      „Ich geh dann mal“, meinte Raskus resignierend zu Markas, zuckte mit den Schultern und setzte seine Worte in die Tat um. Abitheya warf ihm einen zornigen Blick hinterher, da er es wagte, sie zu unterbrechen. Doch die Mühe war vergebens.
      „…dann kann ich keinen Konter setzen. Geht das in deinen Kopf nicht rein?!“, führte sie ihre Worte zu Ende. Markas schüttelt den Kopf. Im Gegensatz zu ihr war er ruhig, aber bestimmt.
      „Ja, vielleicht kannst du keinen Konter setzen, aber du machst deine Flanke nicht auf. Jeder Gladiator, der etwas auf sich hält, würde das erkennen.“
      „Unsinn!“, schimpfte sie zurück. Dass er so ruhig blieb, störte sie noch viel mehr, als der Umstand, dass er vermutlich Recht hatte.
      „Das ist kein Unsinn“, entgegnete Markas und näherte sich ihr. Er tippte mit seinem Übungsschwert gegen ihre Seite. „Genau hier würde ich dich treffen.“

      Sie starrte ihn gereizt an, wusste jedoch nicht, was sie entgegnen sollte. Also blieb es bei dem Starren. Er hingegen lachte und drückte das Holz etwas fester gegen ihre Rippen. „Deine Sturheit wird dich noch das Leben kosten.“
      Sie stieß das Schwert zur Seite. „Lass das!“
      „Was?“, meinte er neckend, ohne jedoch einen Rückzieher zu machen.
      „Der Sand soll dich verschlingen“, brummte sie und wandte sich ab, um ihre Waffen wegzuräumen. Als sie zur Baracke gehen wollte, stellte sich Markas ihr in den Weg.
      „Du bist ziemlich angespannt“, stellte er fest. Seine Stimme und sein Blick wurden dabei ernster.
      „Bin ich“, entgegnete sie knapp und ging an ihm vorbei. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie er sich an ihre Fersen heftete.
      „Warum? Du bist gut, du bist eine der Besten, du musst nicht angespannt sein, Theya.“
      „Bin ich aber.“ Sie beschleunigte ihre Schritte, denn sie hatte keine Lust, darüber zu reden. Es störte sie selbst, dass sie nicht locker bleiben konnte, denn Anspannung verleitete wie Zorn oder Wut zu Fehler. Sie betrat den Waschraum. Die Öllampe brannte noch. Markas blieb im Durchgang stehen und lehnte sich lässig an. „Nun, ich wüsste, was man dagegen tun könnte, Spitzohr.“

      Anfangs hatte sie sich sehr an dem Spitznamen gestört, doch Markas war hartnäckig geblieben und außerdem sprach er es nicht verletzend aus. Im Gegenteil, eines Tages hatte er ihr erklärt, dass er ihre spitz zulaufenden Ohren attraktiv findet und Spitzohr somit keine Beleidigung sein konnte. Seitdem war es wie eine stille Vereinbarung. Wenn er sie so nannte, wollte er mit ihr schlafen.
      Sie schüttelte den Kopf zu Antwort. „Ich will Ruhe, Markas.“
      Er zuckte leicht mit den Schultern. Die Zurückweisung störte ihn nicht, denn auch das war bei beiden schon öfters vorgekommen und sie respektierten es. Wahrscheinlich hatte er sogar mit der Ablehnung gerechnet.
      „Dann lass ich dich eben alleine.“

      Als Abitheya im Wasser saß, schloss sie die Augen und legte den Kopf in den Nacken. Sie genoss die Stille und die Anspannung ließ nach. Sie wusste, dass sie Markas ungerecht behandelt hatte, denn er tat, was er konnte, um ihr zu helfen. Sie bedauerte es sogar, ihn einfach so weggeschickt zu haben. Doch nichts in der Welt würde sie dazu bringen, das zuzugeben, also machte sie das Beste aus der Situation.
      Ein würgendes Geräusch ließ sie aufschrecken. Sie war eingeschlafen. Erneut hörte sie das Geräusch. Schnell stieg sie aus dem Wasser und ohne sich abzutrocknen, zog sie ihre Kleidung wieder an.

      Als sie eilig aus dem Waschraum trat, sah sie Jannick, der Raskus fest in einem Würgegriff hielt. Raskus‘ Kopf war hochrot, seine Augen hervorgequollen und die Lippen bereits blau.
      „Dormas!“, rief sie nach dem Ausbilder und stürzte sich auf Jannick. Er ließ los und wich zurück. Raskus fiel auf die Knie, hustete und würgte, während er nach Luft schnappte.
      „Gut, dass du hier bist“, meinte Jannick, selbst fest schnaufend. Er schob sich eine blonde Strähne hinter sein Ohr. „Raskus hat mich einfach so angefallen.“
      „Lügner“, krähte der Beschuldigte noch bevor Abitheya etwas darauf erwidern konnte und löste damit einen weiteren Hustenanfall aus. In diesem Moment kam Dormas herbeigelaufen, sein Schwert bereits in der Hand.
      „Was geht hier vor?“, verlangte er zu wissen. Jannick zeigte mit dem Finger auf Raskus. „Er hat mich angegriffen. Zum Glück ist er mir unterlegen, sodass ich mich wehren konnte.“
      Dormas hob zweifelnd eine Augenbraue und musterte Raskus, der den Kopf schüttelte. Dann sah er zu Abitheya. „Und was tust du hier?“
      „Ich habe etwas gehört und bin nachsehen gegangen“, erklärte sie. „Dann habe ich die beiden entdeckt. Jannick hatte Raskus im Würgegriff.“
      „Er hat mich angegriffen“, krächzte Raskus.

      „Es steht also Aussage gegen Aussage“, meinte Dormas kühl, steckte sein Schwert weg und betrachtete die beiden jungen Männer abschätzig. „Abitheya, bring Raskus zum Medicus. Ich unterhalte mich mit Jannick.“
      Sie nickte und half Raskus auf. Er rieb sich den geröteten Hals. Sie gingen zum Ausgang der Baracke. Die Hauswache stand auf der anderen Seite der Gittertür und musterte die beiden.
      „Ich soll ihn zum Medicus bringen“, erklärte sie dem Aufseher. Daraufhin sperrte er die Tür auf und ließ die beiden durch. Gefolgt von der Wache durchquerten sie den Gang, wobei Abitheya eine Spur aus Wassertropfen hinterließ. Sie betraten den Raum am anderen Ende und Raskus legte sich auf das Bett. Die Wache schnallte ihn fest und rief nach dem Medicus.
      „Jannick hat dich angegriffen?“, wollte Abitheya von Raskus wissen.
      „Ja“, meinte er tonlos. „Er lauerte mir auf und nahm mich in den Würgegriff. Es ging so schnell, ich konnte nichts tun.“
      Der Medicus trat ein und verscheuchte die Wache und Abitheya. Sie musste in die Baracke zurückkehren. Dort angekommen, rauschte Dormas ohne ein Wort zu verlieren an ihr vorbei. Sie blickte dem Ausbildner kurz nach und ging zu den Zellen. Jannick lehnte noch am Gang an der Wand. Erst jetzt bemerkte sie, dass er am Oberschenkel blutete. Er presste eine Hand auf die Wunde.
      „Dormas‘ Strafe kommt rasch, hm?“, meinte sie zu ihm, doch er schüttelte den Kopf. „Das war Raskus. Er hatte einen scharfen Gegenstand. Ich weiß nicht genau, was es war. Ich hatte Glück, dass er mich nicht schlimmer erwischt hat.“

      Zu überrascht, um etwas dazu zu sagen, betrat sie ihre Zelle. Hatte Jannick wirklich die Wahrheit gesagt und war Raskus der Angreifer? Sie konnte es nicht glauben, aber er war tatsächlich verletzt. Auf jeden Fall würde sie wachsam bleiben.
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    • Blut & Sand, Teil 7


      In einem fernen Land im Jahr 94

      Abitheya stand mit vier weiteren Schülern am Rand des Übungsplatzes. Sie alle waren verschwitzt von den vorausgehenden Kämpfen, manche bluteten aus leichten Verletzungen. Auch sie hatte sich einen Schnitt an der Wade zugezogen und das Blut lief langsam über das Bein hinab bis in die Sandalen. Jeder einzelne Schüler musste am heutigen Tage vier Kämpfe gegen andere Schüler bestreiten. Für einen Sieg gab es zwei Punkte für ein Unentschieden einen Punkt und für eine Niederlage keinen Punkt. Die vier Schüler mit den meisten Punkten würden Gladiatoren werden.

      Am Morgen hatte Abitheya den ersten Kampf ausgetragen und einen schnellen Sieg erlangt, indem sie Severinus entwaffnete. Später musste sie gegen Jannick antreten und eine Niederlage hinnehmen. Er war es auch, der ihr die Wunde zugefügt hatte. Den dritten Kampf brachte sie kürzlich hinter sich und nach über zehn Minuten würde er für unentschieden erklärt. Somit erlangte sie drei Punkte.

      Im Augenblick trat Jannick gegen Angiros an. Es war der vorletzte Kampf und er dauerte schon eine Weile. Dormas stand auf der Gegenüberliegenden Seite des Platzes und beobachtete als Kampfrichter das Geschehen. Zuerst glaubte Abitheya, dass Jannick erneut verlieren würde. Dann hätte er nur gegen sie gewonnen und das wäre zu wenig. Doch je länger das Duell andauerte, desto mehr erlangte der blonde Mann die Oberhand. Angiros schnaufte heftig und konnte das Schild kaum noch hochhalten. In einem Akt der Verzweiflung ließ er schlussendlich seine Deckung fallen und ging voll in die Offensive, um Jannicks Zermürbungstaktik zu beenden. Doch es schien, als hätte dieser nur darauf gewartet und mit einem kraftvollen horizontalen Schwung durchschnitt sein Schwert Angiros‘ Kehle. Ein Schlag mit dem Schild schickte den tödlich Verwundeten zu Boden.

      Brüllend riss der Blonde sein Schwert in die Luft, eine Geste des Triumphs. Angiros röchelte und der Sand unter ihm färbte sich rot, während sein Leben aus ihm wich. Stille kehrte ein und die Schüler am Rand warfen sich ernste bis erschrockene Blicke zu. Angiros galt als ein Freund Jannicks und hätte bestimmt auch besiegt werden können, ohne dass sein Leben verwirken musste. Dormas machte sich eine kurze Notiz und gab ein Handzeichen, damit zwei Sklaven den toten Körper wegbrachten.
      „Jannick ist der Sieger und hat nun vier Punkte“, sprach er und trat vor. „Kommen wir zum letzten Entscheidungskampf.“

      Abitheya wusste, dass sie noch kämpfen musste, hatte jedoch den Überblick darüber verloren, wer ebenfalls erst drei Duelle bestritten hatte.
      „Es treten an: Abitheya und Markas!“, verkündete Dormas und deutete auf die beiden. Das konnte nicht sein. Warum musste sie gegen Markas antreten? Sie wusste, dass sie den Kampf nicht gewinnen konnte und ohne Sieg würde sie nicht zu den besten vier gehören. Sie stellte sich Markas gegenüber und sah ihn an. Sein Blick war ausdruckslos, nur die zusammengepressten Lippen verrieten seine Anspannung. Sie nahmen ihre Waffen entgegen. Schwert und Schild für Markas, Schwert und Dolch für Abitheya. Dormas hob die rechte Hand und zog sie in einem Bogen nach unten. „Beginnt!“

      Markas hob sein Schild an und nahm eine Verteidigungsstellung ein.
      „Danke für all deine Unterweisungen, Markas“, sprach Abitheya und nahm ebenfalls Kampfstellung ein. Dabei spürte sie das Pochen in der Wade. Doch darum machte sie sich keine Sorgen. Der Kampf würde schnell enden und ebenso ihre Zukunft als eine Gladiatorin. Aus dem befreundeten Trio hätte es dann nur Markas geschafft, denn Raskus durfte nicht antreten. Bei ihm wurde letztens eine kleine Klinge gefunden, die Jannicks Aussage darüber, dass Raskus ihn angegriffen hatte, unterstütze.

      Abitheya verbannte sämtliche Gedanken aus ihrem Kopf und griff an. Wie sie es gelernt hatte, schlug sie mit dem Schwert zu und fing Markas Klinge mit ihrem Dolch ab. Es forderte viel Geschick aber weniger Kraft, als mit dem Schwert gegenzuhalten. Markas blockte ihre Angriffe mit seinem Schild und verpasste ihr nach dem ersten Ansturm einen schmerzhaften Tritt gegen ihren Oberschenkel. Ein wenig tiefer und er hätte ihr Knie getroffen und es wahrscheinlich zertrümmert.
      Nun war er in der Offensive und drängte sie zurück. Erstaunlicherweise konnte sie jeden seiner Angriffe aus seiner Körperhaltung herauslesen und wieder die Initiative ergreifen. Sie tänzelte um ihn herum und versetzte Hiebe und Stiche mit ihren Waffen. Markas kam in Bedrängnis und konnte mit seiner Abwehr nicht ganz mithalten, sodass ihr Dolch seinen Rücken aufschlitzte. Der Schnitt war nicht tief, und der Kampf ging weiter. Markas setzte seine Kraft erneut gegen sie ein.

      Abitheya schnaufte laut und Schweiß tropfte zu Boden. Ihre Wade war mittlerweile Blutverschmiert und ihr linker Arm sah kaum besser aus. Markas Klinge hatte ihr zahlreiche kleinere Verletzungen beigebracht. Doch noch konnte sie kämpfen, es war nicht verloren. Auch er atmete schnell und neben der Rückenverletzung zittere sein linkes Bein, das einen Tritt gegen das Schienbein einstecken musste. Er blieb in der Verteidigung, denn er wusste, dass sie angreifen musste. Sie brauchte den Sieg. Also blieb ihr nichts Anderes übrig und sie stürmte wieder los. Mit ihrem Dolch hielt sie seine Klinge im Schach und wollte mit dem Schwert einen Schlag über seinen Schild führen, doch er schüttelte sie ab und warf sie zu Boden. Ihr wurde schwarz vor den Augen. Sie wusste, dass das Ende des Kampfs kam und sie verloren hatte.

      Eine eigenartige Berührung ihrer Füße ließ sie aufblicken. Gerade rechtzeitig, um zu erkennen, dass Markas über ihre Beine gestolpert war und fiel. Sie rollte sich weg und schlug mit der linken Hand nach ihm. Ihr Dolch durchstieß weiches Fleisch und Markas brüllte neben ihr vor Schmerz auf. Abitheya drehte sich und sah, dass er auf dem Bauch und auf seinem Schild lag und ihr Dolch in seinem Bein steckte. Er gab das Zeichen der Niederlage, denn mit einer Armbewegung könnte sie seinen gesamten Schenkel aufschlitzen.

      Überraschung, Sorge über die Verletzung, die sie ihm zugefügt hatte und die Freude über den Gewinn drohten sie zu übermannen. Sie ließ den Dolch los, um nicht weiter in das Fleisch zu schneiden und erhob sich. Sie richtete ihr Schwert auf den am Boden liegenden Markas.
      „Sieg für Abitheya“, sprach Dormas laut aus. Erst jetzt blickte sie zu den anderen Schülern und sah, wie sich die Überraschung auch in ihren Mienen widerspiegelte. Sie hatte gegen Markas gewonnen und somit genug Punkte, um zu den besten vier zu gehören. Dormas sprach das ebenso aus, doch sie hörte seine Worte kaum noch.

      Jannick setzte sich neben Abitheya. Die Sonne war bereits untergegangen und die vier Sieger der Entscheidungskämpfe bekanntgegeben: Markas und Abitheya gehörten zu ihnen, Jannick nicht.
      „Du weißt, dass er dich gewinnen ließ“, meinte er. Mittlerweile war er über seine Niederlage hinweggekommen. Abitheya ging nicht auf die Provokation ein, sondern nahm einen weiteren Schluck Wasser zu sich. Ihre Wade pochte noch immer, aber ein Verband hatte die Blutung gestoppt.
      „Das war ganz schön schlau von dir. Lässt dich von ihm ficken, damit er dir den Sieg schenkt“, stichelte er weiter. Vor einem Jahr noch hätte sie ihm den Becher ins Gesicht geschlagen, doch heute ließ sie sich von diesen Worten nicht mehr aus der Fassung bringen. Als er merkte, dass sie nicht darauf einging, legte er eine Hand auf ihren Schenkel. Sie wollte ihn von sich stoßen, doch in diesem Moment wurde er nach vor gerissen und seine Stirn knallte lautstark auf den Tisch.

      „Verschwinde, du Drecksack“, meinte Markas ruhig in die Stille hinein und nahm seine Hand von Jannicks Hinterkopf.
      „Eines Tages werde ich mich bei euch rächen“, gab Jannick von sich und rieb sich die Stirn. Aber er schlich sich davon. Abitheya grinste, während Markas den frei gewordenen Platz einnahm. Er kam gerade vom Medicus, der die Stichwunde genäht und verbunden hatte. Als er sein Bein über die Bank hob, verzog er kurz schmerzhaft das Gesicht.

      „Schade das Raskus nicht antreten konnte“, meinte Abitheya nachdenklich und sah auf ihren Wasserbecher. „Glaubst du, Jannick hat das alles eingefädelt?“
      Markas zuckte mit den Schultern. „Das weiß ich nicht, aber falls er das hat, brachte es ihm nicht viel. Ich rede nochmals mit Dormas, vielleicht bekommt Raskus noch seine Chance.“
      „Tu das und tut mir leid, wegen des Stiches.“
      „Ich werde es überleben, Theya. Du hast heute gut gekämpft“, erwiderte er und strich ihr zärtlich mit einem Finger über die Wange.
      „Ich hätte besser sein müssen“, murmelte sie nachdenklich. „Hast du mich gewinnen lassen?“
      Sie blickte zu ihm auf, doch er schüttelte den Kopf. „Nein.“
      Seine Augen sagten ihr jedoch etwas Anderes. Und somit war es wirklich so, wie Jannick es sagte. Sie hätte den Kampf verloren und er würde an ihrer Stelle zu den Gewinnern gehören. Es versetzte ihr einen Stich in den Magen. Markas bemerkte, dass sie die Wahrheit erkannte.
      „Denk nicht darüber nach! Das Wichtigste ist, dass du hierbleiben kannst. Hier bei mir.“
      Sie zog ihren Kopf zurück, sodass er sie nicht länger über die Wange streicheln konnte.
      „Was hat das zu bedeuten, Markas? Warum tust du das, warum lässt du mich eine Lüge leben?“, verlangte sie von ihm zu wissen. Obwohl sie leise sprach, war ihre Enttäuschung deutlich zu vernehmen.
      „Bist du wirklich so blind? Siehst du denn nicht, was ich für dich empfinde? Es würde mich umbringen, wenn du weggeschickt werden würdest“, gestand er. „Und außerdem hast du es viel mehr verdient, als Jannick oder irgendjemand anders.“
      Abrupt stand sie auf und ging nach draußen.
      „Theya!“, rief Markas

      Sie drehte sich nicht um, sondern hockte sich auf dem Sand des Übungsplatzes nieder. Heiße Tränen schossen ihr in die Augen und sie wischte sie zornig weg. Sie wollte es nicht. Weder wollte sie, dass Markas sich in sie verliebte, noch dass er ihr den Sieg schenkte. Und erst recht nicht, dass das eine das andere ergab. Nun war das Ergebnis, das sie erlangt hatte, bedeutungslos, denn es war eine Lüge. Wie konnte er ihr das antun? Sie würde Dormas die Wahrheit sagen, selbst wenn es für sie bedeutete, ihren Platz mit Jannick zu tauschen. Aber vielleicht konnte sie den Ausbildner davon überzeugen, Raskus ihren Platz zu überlassen. Das wäre nur fair. Entschlossen stand sie wieder auf.
      "Japan ist ein wenig so wie Österreich: da hast du erstens das Meer..." 8o
    • Blut & Sand, Teil 8


      In einem fernen Land im Jahr 94

      „Dormas!“, rief Abitheya, die den muskulösen Ausbildner gerade noch erwischte, bevor er sich für den Abend zurückzog. Er blieb stehen und drehte sich zu ihr um, die Augenbrauen fragend erhoben.
      „Wieder ein Angriff?“, wollte er wissen, doch sie schüttelte den Kopf.
      „Nein, es geht um mich. Hast du einen Moment Zeit?“
      Er seufzte, aber deutete in sein Quartier. Es war etwas größer als die Zellen der Schüler. Er bot Abitheya den Stuhl an und ließ sich selbst auf dem Bett nieder.

      „Danke. Mein letzter Kampf, also der mit Markas, ging nicht so aus, wie er ausgehen sollte. Markas hat mir gesagt, dass er mich gewinnen ließ, damit ich unter den besten vier bin. Ich wusste das vorher nicht und ich will auch nicht wegen solch unfairen Mitteln weiterkommen.“ Sie sprach schnell und aufgeregt und mit den Worten kam die Wut über diese Lüge ebenfalls wieder hoch.
      „Und was willst du jetzt?“, fragte Dormas ruhig, von der Offenbarung nicht überrascht.
      „Ich will, dass der Kampf so zählt, als hätte Markas gewonnen, auch wenn das bedeuten würde, dass Jannick meinen Platz bekommt. Da er aber Raskus angegriffen hatte, sollte Raskus meinen Platz bekommen. Er ist sowieso besser als Jannick. Oder lass die beiden gegeneinander antreten und wähle den Sieger.“

      Dormas lachte tief grollend und schüttelte dabei den Kopf. Diese Geste führte nicht dazu, dass Abitheya sich beruhigte, sondern sie sprang sogar vom Stuhl auf.
      „Was ist daran lustig?“, verlangte sie zu wissen. Dormas wurde augenblicklich wieder ernst und seine dunklen Augen sahen sie streng an.
      „Deine Naivität, Kindchen!“ Noch bevor sie entrüstet reagieren konnte, hob er warnend eine Hand. „Das Leben ist vieles, aber sicherlich nicht gerecht. Du hast den Kampf gegen Markas gewonnen und musst mit diesem Ergebnis zurechtkommen. Glaubst du wirklich, dass ich nicht erkannt habe, dass er dich gewinnen ließ, hm?“
      Tatsächlich war ihr das noch nicht in den Sinn gekommen, so logisch es auch war und das bedeutete, dass er sie wirklich damit durchkommen ließ. Somit war das Gespräch nutzlos.

      „Das ist doch Unsinn“, schimpfte sie dennoch.
      „Das Leben hat dir heute diese Karten zukommen lassen, also spiele mit ihnen und hör auf zu jammern“, wies Dormas sie an. „Die Arena wird dir noch ein paar knallharte Lektionen erteilen und entweder du wirst gut genug sein oder sterben. So oder so wirst du Gerechtigkeit erfahren.“
      Sie nickte leicht. Zwar war sie noch immer nicht einverstanden, aber durch den roten Schleier der Wut hindurch erkannte sie die Richtigkeit seiner Worte.
      „Und Raskus muss auch damit leben, dass er Opfer von Jannicks Angriff war und somit nicht zu den Kämpfen antreten konnte?“
      „Ich bin mir nicht sicher, ob er wirklich ein Opfer ist“, meinte der Ausbildner. „Er hatte ein scharfes Metallteil bei sich und das unterstützt Jannicks Worte.“
      „Jannick hätte ihn nie überwältigen können, wenn das wirklich eine Waffe gewesen wäre.“
      Dormas zuckte leicht mit den Schultern. „Sobald es um Markas, Raskus oder Jannick geht, siehst du nicht mehr klar, also verschwende keine Gedanken mehr daran, denn die Würfel sind gefallen.“
      Abitheya schnaubte. Aus ihrer Sicht machte es Dormas sich zu einfach, doch sie konnte nichts tun, um an seiner Entscheidung zu rütteln.
      „Geh in deine Zelle zurück und richte deine Augen nach vorne. Akzeptiere, was dir geschenkt wurde und erweise dem Geschenk, dir und der Sekolah Ehre, indem du dich in der Arena nicht gleich abschlachten lässt.“
      Sie wollte Dormas widersprechen. Sie wollte ihn fragen, wie sie einer Lüge Ehre erweisen könnte. Sie wollte, dass er ebenso wütend über Markas Handlung war, wie sie selbst, doch mit einer simplen Geste scheuchte Dormas sie hinaus.

      Abitheya konnte einige Stunden lang nicht einschlafen und als sie am nächsten Morgen aufwachte, fühlte sie sich wie aufgefressen und wieder ausgespuckt. Zumindest schmerzte ihre verletzte Wade nicht mehr. Es dauerte einige Momente, bis sie bemerkte, dass es noch vor Sonnenaufgang war und sie von einem sanften Rütteln geweckt wurde.
      „Abitheya?“ Die Stimme war leise, zaghaft. „Abitheya, du musst aufstehen.“
      Sie öffnete die Augen und erkannte Josie, eine der Haussklavinnen. Josie kannte sie schon von früher, als sie selbst noch im Haus tätig war. Sie war unscheinbar aber stets ergeben und freundlich gewesen, wie es von ihr erwartet wurde.
      „Was machst du da?“, fragte Abitheya mit brüchiger Stimme.
      „Wir müssen euch waschen und für die Zeremonie vorbereiten. Komm jetzt, steh auf, wir haben nicht so viel Zeit.“

      Eine Stunde später war Abitheya so sauber, wie schon lange nicht mehr. Josie hatte sogar Schwamm und Seife mitgebracht und jedes kleine Stückchen Haut abgerubbelt und mit einer Rasierklinge die Körperbehaarung entfernt. Es war Abitheya unangenehm gewesen, so behandelt zu werden, als wäre sie eine Herrin und Josie ihre Sklavin, doch diese versicherte ihr mehrmals, dass sie genaue Anweisungen erhalten hatte.
      Nachdem sie mit dem Bad fertig war, wurde Markas von einer anderen Sklavin in den Waschraum gebracht und erfuhr die gleiche Pflege. Abgesehen von der Begrüßung sprach Abitheya kein Wort mit ihm.

      Josie ölte Abitheyas Körper ein, bis all ihre Muskeln glänzten. Diese Behandlung war überraschend angenehm und entspannend gewesen. Zum Abschluss gab sie ihr einen neuen Lendenschurz und ein ebenso neues Brustband.
      „Zieh dir das an und bleibe sauber, bis ich dich wieder holen komme. Ich muss mich um den nächsten kümmern“, wies Josie Abitheya an. Die frisch gesäuberte Schülerin nickte, zog sich an und kehrte zu ihrer Zelle zurück. Sie setzte sich vorsichtig auf das Bett und wartete. Die Zeit schien sich endlos zu strecken und sie wäre gerne hinaus auf den Trainingsplatz gegangen, doch der Sand würde sofort auf ihrer öligen Haut anhaften. Zudem brachte die Ruhe erneut die Gedanken hervor, die sie schon nicht schlafen ließen. Wie sollte sie mit Markas in Zukunft umgehen? Und was hat Raskus wirklich getan?

      Kurz vor Mittag war es endlich soweit. Markas, Arif, Henricus und Abitheya, die vier Gewinner aus den Entscheidungskämpfen, wurden von den Sklaven abgeholt und gemeinsam mit Dormas in das Haus geführt. In der Haupthalle mussten sie sich nebeneinander aufstellen. Die Halle war imposant mit dem weißen Marmorbecken und den Säulen, die das Dach trugen. Der Stein sorgte auch dafür, dass es hier angenehm kühl blieb. Dormas hatte seitlich der vier Schüler Stellung eingenommen.
      Josie korrigierte bei Arif und Markas die Haltung und bei Abitheya band sie den Zopf neu zusammen, da sich ein paar vereinzelte Haare gelöst hatten. Am Ende standen sie da, wie glänzende Kunstobjekte, die in der Halle ausgestellt wurden. Josie verschwand und kurz darauf trat Aureliano Marin, der Besitzer der Sekolah, ein. Er hatte einen silbernen Teller in der Hand, auf dem vier Bänder lagen. Er trat heran und überreichte Dormas den Teller.

      „Es freut mich, vier weitere Schüler zu Gladiatoren zu ernennen“, sprach Aureliano. „Ihr vier habt euch als die geschicktesten und besten Kämpfer unter den derzeitigen Schüler erwiesen und jeder einzelne von euch wird ein großartiger Gladiator werden und mich und die Sekolah mit Stolz erfüllen.“
      Er nahm das erste Band vom Teller und trat an Abitheya heran. Das Band bestand aus zwei weichen, schwarzen Lederschnüren, die in ein Metallplättchen eingeknüpft waren, auf dem die Worte „Sekolah Marin“ eingraviert waren. Wie ihr zuvor erklärt wurde, hob Abitheya die linke Hand und präsentierte das Handgelenk. Aureliano legte ihr das Armband an und verknotete es. Diesen Vorgang wiederholte er bei den anderen drei Schülern.

      „Ab sofort dürft ihr euch Gladiatoren nennen und seid keine einfachen Sklaven und Schüler mehr. Ihr erhaltet für jeden Sieg einen Anteil am Gewinn. Silber, dass ihr für eure Bedürfnisse ausgeben dürft. Gebt stets euer Bestes und bringt viele Siege und mit ihnen Ruhm und Ehre!“
      Nach der kurzen Ansprache nahm er den Silberteller wieder an sich und verließ die Haupthalle. Abitheya konnte geradeso ein Stirnrunzeln vermeiden, denn nachdem sie den ganzen Vormittag über vorbereitet wurde und warten musste, hatte sie sich mehr erwartet als nur so wenige Worte.

      „Ihr habt euren Herren gehört“, sprach nun Dormas. „Benehmt euch stets anständig und zeigt auf dem Sand der Arena, was ihr gelernt habt und die Siege werden euch gewiss sein.“ Er klatschte zweimal in die Hände. „Kommt Gladiatoren!“
      "Japan ist ein wenig so wie Österreich: da hast du erstens das Meer..." 8o
    • Ruhm & Ehre, Teil 1


      In einem fernen Land im Jahr 94

      Zwei Wochen waren vergangen, seit Abitheya zur Gladiatorin ernannt wurde. Die anfängliche Wut über Markas Täuschung war verflogen, dennoch hatte sie in diesen zwei Wochen wenig mit ihm gesprochen und sich vollkommen auf das Training konzentriert und selbst die abendlichen Trainingsstunden alleine absolviert. So gesehen unterschied sich diese Zeit kaum von der Zeit davor, abgesehen davon, dass die vier Schüler, die nicht bestanden hatten, nicht mehr anwesend waren. Sie hatte versucht, herauszubekommen, was mit Raskus geschehen war, doch niemand konnte oder wollte ihr etwas sagen.

      An diesem Tage kam jedoch die erste Veränderung. Gekleidet in einer, im Vergleich zum einfachen Lendenschurz und Brustband, edlen Rüstung und bewaffnet mit scharfen Klingen stand sie hinter dem Gitter zur Arena. Wenn sich das Gitter das nächste Mal öffnete, würde sie diese betreten und ihren ersten echten Kampf bestreiten. Es war kein besonderer Kampf und auch die Silbermenge im Falle eines Gewinns war gering, doch das spielte für Abitheya keine Rolle. Es war ihr Kampf und ihre Chance, sich zu beweisen.

      Durch das Gitter hindurch beobachtete die beiden Gladiatoren des aktuellen Kampfs. Sie waren brutal und beide hatten schon etliche Verletzungen davongetragen. Doch ihr fiel es schwer, dem Kampf zu folgen, zu groß war die Aufregung. War sie gut genug? Wie stark würde der Gegner sein? Würde sie siegen, verlieren oder gar ihr Leben lassen? Der Kampf endete, als einer der beiden aufgab und kurz darauf wurde das Gitter hochgezogen. Ihr Herz setzte einige Schläge aus. Jetzt war es soweit.

      Mit stolzen Schritten, die ihre Nervosität verbargen, betrat sie den Sand der Arena. Sie riss ihr Schwert in die Höhe und stachelte das Publikum mit einem wilden Schrei an. Jubel ertönte. Nicht sonderlich laut, aber immerhin. Aus der gegenüberliegende Seite trat ein kleinwüchsiger Mann hervor, mit einem Speer bewaffnet. Er sah kaum wie ein würdiger Gegner aus. Der Veranstalter der Spiele stand von seinem Platz auf und es wurde still.

      „Verehrte Zuschauer!“, eröffnete er das Wort. „Als vierten Kampf am heutigen Tage präsentiere ich Abitheya aus der Sekolah von Marin. Seit langem wieder eine Frau, die sich der Arena stellt und heute ihren ersten Kampf bestreiten werdet. Seht sie euch genau an, wie unberührt aber dennoch wild sie ist.“
      Er zeigte mit der Hand auf sie und abermals hob sie ihr Schwert in die Höhe.
      „Und als Gegner bekommt Abitheya den furchtlosen Quensin, Sieger über Karestor, Virtuose mit dem Speer. Wird er an seinem Erfolg anknüpfen können oder sehen wir heute vielleicht die Geburt eines neuen Champions?“
      Quensin rammte den Speer mit dem stumpfen Ende in den Boden, ballte die Fäuste und streckte sie nach oben. Er drehte sich einmal herum und genoss den Jubel, der ihm zu Teil wurde. Abitheya nutzte den Moment, um ihren Gegner einzuschätzen. Er war muskulös und wirkte selbstbewusst. Zudem war er bereits ein Sieger. Seine Haut war sonnengebräunt und der Blick der grünen Augen frei von Emotionen. Zahlreiche Narben zeugten von vielen Kämpfen oder harten Übungsstunden.

      „Lasst den Kampf beginnen!“, brüllte der Veranstalter. Quensin zog seinen Speer aus dem Sand und richtete die Spitze auf Abitheya. Er stand breitbeinig da und wartete darauf, dass sie den ersten Angriff unternahm. Sie zog ihren Dolch mit der linken Hand und kam der indirekten Aufforderung nach. Um die höhere Reichweite des Speers zu kompensieren, musste sie nahe an ihren Gegner heran. Dann konnte sie den Vorteil ihrer Waffen ausnutzen.
      Doch Quensin wusste das ebenso wie sie und stach mit dem Speer zu, als sie in seine Reichweite kam. Sie konnte der Spitze ausweichen und erkannte die Gefahr seiner Waffe. Solange er stechend angriff, konnte sie nur ausweichen, denn blocken oder parieren war schwer möglich, da er die Waffe mit beiden Händen führte.

      Abitheya drehte sich aus dem Angriff und schlug mit ihrem Schwert zu. Ihr Gegner duckte sich unter den Streich hinweg und grinste sie an. Einen weiteren Angriff blockte er mit dem Sperr und nutzte die Gelegenheit, um Abitheya einen Tritt zu verpassen, der sie zurücktaumeln ließ. Der kleine Mann war kräftiger, als sie es erwartet hätte. Quensin gab ihr keine Zeit, sich zu fangen und griff erneut mit dem Speer an. Die Spitze streifte dabei ihre Hüft und riss die Haut auf. Sie spürte das Brennen, ließ sich davon jedoch nicht beeinflussen.
      Einen weiteren Angriff konnte sie vereiteln, als sie mit dem Dolch seine Waffe zur Seite drückte und mit dem Schwert nach seinen Händen schlug, ohne sie jedoch zu treffen. Es ging einige Male hin und her und sie kam ordentlich ins Schwitzen. Die Menge auf der Tribüne brüllte die Namen der beiden und feuerte sie an. Quensin konnte ihr einen Schlag gegen ihr rechtes Bein versetzen, ohne selbst einstecken zu müssen.

      Erneut ging Abitheya in die Offensive, doch dieses Mal näherte sie sich ihm nicht, sondern hielt ihn einfach nur mit ihrem Schwert beschäftigt. Dabei musste sie mehr Kraft aufwenden wie Quensin und er war sich dessen bewusst. Obwohl ihre Angriffe immer wieder aus anderer Richtung erfolgten, schlich sich eine gewisse Regelmäßigkeit ein. Als sie erkannte, dass ihr Gegner sich daran gewöhnte und seinen Speer schon vorab in die entsprechende Richtung lenkte, verleitete sie ihn dazu, die Waffe tief zu führen, holte mit dem linken Arm aus und schleudere ihren Dolch. Die Waffe flog wie ein Pfeil und bohrte sich in Quensins Kopf, durchstieß die Wange und den Knochen und blieb stecken.
      Der kleine Man taumelte zurück und ließ den Speer fallen. Er wollte den Dolch aus seinem Schädel ziehen, doch bevor er die Hände um den Griff legen konnte, brach er zusammen und stürzte auf den Rücken. Er zuckte noch zweimal und blieb dann regungslos liegen. Abitheya trat vor und zog ihre Waffe zurück. Aus dem Loch quoll Blut und färbte den Sand rot.

      Abitheya streckte ihr Schwert zu einer Siegespose in die Luft. Die Menge brüllte und jubelte und es dauerte einen Moment, bis der Veranstalter sein Wort wieder an die Menge richten konnte: „Der heutige Tag bringt nicht nur einen neuen, siegreichen Gladiator hervor, nein, er zeigt uns auch wieder einen Tod in der Arena! Möge Abitheya, Bezwingerin von Quensin, uns noch viele Spiele bescheren!“
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