Etwas, das folgt

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    • Etwas, das folgt

      Etwas, das folgt


      Es war das Kratzen auf der Haut, das mich weckte. Unentwegt kratzen, puhlen, stechen, beißen und wieder kratzen. Es war nicht schmerzhaft, aber lästig. Jeden Tag. Mal am Arm, mal Bein ja sogar im Auge spürte ich das Kratzen. Und ich konnte mich nicht wehren. Ich wollte meine Haut reiben, das Gefühl vertreiben, ich wollte aufstehen, herumlaufen, aber es ging nicht. Der Stein um mich war fest geschlossen, wie seit… ich konnte mich nicht mehr erinnern. Sehr, sehr lange. Ich wusste nicht einmal, warum ich hier war. Es machte mich wahnsinnig! Ich wusste, dass es mich nicht verletzen konnte, aber es war so verflucht unangenehm.

      Und so wie es gekommen war, ging es vorüber. Plötzlich war da kein Kratzen mehr, kein Stechen. Gar nichts mehr. Nach Wochen der Quälerei hörte es auf, es war still. Die Stille war schön, sie erinnerte mich an die kühlen Nächte. Die Sonne ging auf und sie ging wieder unter, tagsüber war es warm, nachts kalt. Zwischendurch fiel regen auf mich, meistens schien die Sonne und ab und zu hatte ich das Gefühl, ein Wind würde meine Haut fortwehen. Doch es war angenehm still. Tagelang, bis das Trampeln anfing. Etwas lief über meinen Körper, sah hier nach, sah da nach, war neugierig und unruhig. War hungrig, war durstig, war unermüdlich und trampelte auf mir!

      Das Trampeln hörte auf. Ich wusste, dass es noch auf mir war, aber es war still, es hatte sein Ziel gefunden. Plötzlich explodierte alles in Schmerzen! Gleißendes Licht blendete mir die Augen, sengend heißes Feuer verbrannte meine Haut, schrille Schreie klingelten in meinen Ohren und unbeschreibliche Gewichte zerquetschten meine Knochen. Ich zog mich in meinem Körper zurück, immer weiter, weiter zurück. Weg von den Qualen, weg von der Pein, bis ich nur noch ein Punkt war. Klein und unbedeutend. Ich kam zu mir.

      Ich war körperlos, nur einzelne Gedanken, die sich um ein Zentrum bewegten, wie Fliegen um eine Laterne. Ich hatte kein Gewicht, keine Augen, keine Ohren, nichts. Aber ich existierte. Ich wusste, dass ich in einer Höhle war. Eine Höhle aus Stein und Erde und anderen… Dingen. Sie lagen im Kreis verstreut um mich herum, als wäre ich das Zentrum, als wäre ich ein Wirbelsturm gewesen, der alles eingesaugt und anschließend weggeworfen hätte. Etwas bewegte sich. Ich sah es nicht, ich hörte es nicht und konnte es auch nicht riechen, denn ich hatte keinen Körper. Dennoch wusste ich, dass sich etwas bewegte. Ich richtete meine Gedanken darauf.

      Ein Körper, eine junge Frau, lag am Boden und zuckte leicht. Sie setzte sich auf, blickte sich um. Schrecken war ihr ins Gesicht geschrieben und strömte von ihr aus, wie der Geruch von zerriebenen Kräutern. Rehbraune Augen suchten den Boden ab, suchten die Höhle ab, erblickten mich. Angst mischte sich zu dem Schrecken, gewürzt mit Panik. Sie krabbelte zurück, stieß mit dem Rücken an die Höhlenwand. Ich sah mich selbst durch ihre Augen. Ein Nebel wie aus Quarzsand, schwarz und in ständiger Bewegung aber so leicht wie Nebel. Jedes Körnchen war einer meiner Gedanken. Und wie ich mich sah, wusste ich, dass sie auf mir getrampelt hatte. Sie hatte meine Stille gestört, sie hatte mir die Schmerzen verursacht. Sie war schuld!

      Sie wimmerte, sie hielt sich die Hand vor Augen, doch sie konnte mich nicht aufhalten. Ich konnte durch ihre Hand sehen, durch die Schädelknochen direkt bis in ihren Kopf. Irgendetwas hatte sie getan. Etwas, das mich zu dem machte, was ich jetzt bin. Ohne sie zu berühren hob ich ihren Körper auf und warf ihn zu Boden. Sie wand sich in Agonie, doch ich griff abermals nach ihr, warf sie gegen die nächste Wand, wie ein nasses Tuch.
      Sie sollte nicht auf mir trampeln! Die junge Frau brüllte auf, angst- und schmerzerfüllt. Es klang wie der Nachhall der schrillen Schreie von vorhin. Meine Gedanken nahmen ihr die Stimme. Sie keuchte und ächzte, aber sie konnte nicht mehr schreien, sie war verstummt. War sie es auch gewesen, die mich über all die Wochen gekratzt und geplagt hatte? Ich wollte es wissen und blickte wieder in ihren Kopf.

      Eine reife Frau, bereits mit silbrig-grauem Haar nutzte Werkzeuge, die ich nicht kannte und tat Dinge, von denen ich nichts verstand. Klopfte sie wirklich nur auf Stein und wischte sie Staub beiseite? Und warum saß sie manchmal einfach ewig da und starrte einzelne Dinge an? Dinge, die sie auf dem Boden gefunden, ja sogar ausgegraben hatte, vollkommen verdreckt und alt. Ich hatte ihre spitzen Ohren gesehen, sie war anders als ich es bin. Ich habe schon von solchen Wesen gehört, aber es hat mich nie interessiert, denn diese Wesen gehört nicht zur Familie. Sie lebten nicht in diesem Wald. Aber jetzt war sie an diesem heiligen Ort und ich hoffte, sie würde bald weggehen, damit ich das tun konnte, was ich tun musste, was mir aufgetragen wurde. Ich musste ihn befreien, bevor sie ihn finden würden. Die Frau nahm wieder ihr Werkzeug und machte weiter. Mal hier mal da. Mal kratzte sie mal klopfte sie.

      Sie war es gewesen! Diese Elfe. Sie hatte mich mit ihrem Werkzeug und manchmal mit den bloßen Fingern gekratzt. Was wollte sie? Warum tat sie das? Ich ließ von der verletzten, jungen Frau ab, die nur noch mit rasendem Herzen zusammengekauert auf dem Boden lag, aus der Nase und Schürfwunden blutete, und wollte aus der Höhle gleiten, doch meine Gedanken krachten gegen eine Wand. Hart wie Stein, unsichtbar aber makellos. Ich konnte nicht weg, nicht so. Ich brauchte einen Körper, um diesen Ort zu verlassen.
      Wie eine schwarze Wolke legte ich meine Gedanken auf den einzigen Körper der hier war. Gequält und verletzt, aber ausreichend, um von hier zu entkommen. Durch Nase, Mund und Ohren strömten meine Gedanken in den Körper, in den Geist. Ich fühlte plötzlich Hände, Beine, Kopf…

      Ich versuchte meine Atmung unter Kontrolle zu bringen. Irgendetwas war geschehen. Eben noch fiel die schwarze, unwirkliche Wolke auf mich herab und drohte mich zu verschlingen. Sie war weg, aber ich war nicht mehr ich selbst. Ich wusste nicht einmal mehr, warum ich hier war oder wer ich eigentlich war. Langsam richtete ich mich auf. Mein Rücken schmerzte, meine Arme und Beine waren an mehreren Stellen aufgeschlagen, mein Kopf dröhnte, als ob ein Riese von innen gegen den Schädel trommelte. Und ich war durstig, sodass es im Hals kratzte. Doch was tat ich hier rund wo war ich überhaupt?

      Nachdem ich mir die Zeit genommen hatte, meine Lage zu prüfen, ging ich davon aus, dass mein Name Nycasa war. Ich hatte einen Dolch, auf dessen Klinge der Name eingeritzt war. Meine Verletzungen waren schmerzhaft und lästig, aber nicht lebensbedrohlich. Meine Kleidung war aus einfachen Mitteln, vornehmlich schwarzen Federn gefertigt und genauso mitgenommen wie mein Körper. Ich war mir mittlerweile ziemlich sicher, dass es nicht mein Körper war, in dem ich steckte. Ich kann mich zwar nicht erinnern, aber ich hatte das Gefühl, dass ich einst ein Mann war. Das war eigenartig, aber vielleicht täuschte ich mich einfach. Bei diesen Kopfschmerzen war es schwierig, sich auf etwas zu konzentrieren. Obendrein glaubte ich, dass viel Zeit vergangen war, seitdem ich das letzte Mal… ja was? Wach war oder auf den Beinen oder gar atmete?

      Ich hätte mich noch länger einfach mit meiner Situation beschäftigen können und versuchen, Antworten aus den hintersten Winkeln meines Bewusstseins hervorzulocken, doch der Durst wurde stärker. Dazu erschien vor meinem inneren Auge das Bild einer Frau mit silbrig-grauen Haaren. Ich wusste nicht warum, aber ich musste sie finden! Also schleppte ich mich aus der Höhle. Mein linkes Bein hinkte und das Knie war angeschwollen. Interessanterweise kannte ich den Weg nach draußen.

      Es war eine sternenklare Nacht. In der Ferne sah ich den Lichtschein eines Lagerfeuers, also ging ich in diese Richtung. In Stein gemeißelte Treppen und Holzverplankungen erleichterten den Weg hinab. Am Feuer saßen mehrere Gestalten. Sie lachten, sie aßen und sie tranken. Ich wusste nicht warum, aber ich spürte, dass Gefahr von ihnen ausging, dass ich mich ihnen nicht nähern sollte, sondern mich in den Zelten umsehen, die hier standen. Schon beim zweiten Zelt hatte ich Glück und ich fand einen Krug gefüllt mit Wasser. Es befeuchtete meine Kehle und löschte den brennenden Durst.

      „Was machst du hier!“, fuhr mich eine tiefe, strenge Stimme an. Ich zuckte herum, ließ den Krug fallen, der in tausend Splitter zerbrach. Ein stämmiger Mann kam auf mich zu, sein Gesicht war in der Dunkelheit nicht zu erkennen. Ich blickte ihn an und er stockte für einen Wimpernschlag.
      „Na dir werde ich’s zeigen, Hexe!“, sprach er und wollte mich packen. Ich ging meine Möglichkeiten durch. Könnte ich ihm entwischen? Was würde geschehen, wenn es mir nicht gelang. Sollte ich den Dolch benutzen und ihn aufschlitzen? Meine Hand glitt zu dem Griff der Waffe. Ich überlegte, wie ich ihn angreifen sollte, wie mein Dolch in seine Brust stach und wie er blutend auf dem Boden fiel und ich entkommen konnte. Seine Hände waren kurz davor, zuzupacken. Ich zog den Dolch.

      Der Mann taumelte zurück und gab mir den Weg aus dem Zelt frei. In dem Licht, welches durch den Zelteingang drang, konnte ich den Schreck in seinem Gesicht sehen. Er hob langsam die Hände.
      „Verschwinde“, zischte er. Ich steckte den Dolch weg, meine Hände zitterten. Ich wollte mich bei ihm bedanken, dass er mich nicht dazu zwang, ihn zu verletzten, doch ich bekam kein Wort heraus. Nur ein leises Krächzen. Allerdings war ich nicht bereit, mein Glück weiter herauszufordern, also huschte ich nach draußen, in die Dunkelheit des Waldes. Der Wald war vertraut, als wäre ich ein Teil von ihm. Als ich das Licht des Feuers nicht mehr sehen konnte, gönnte ich mir eine Pause. Ich ließ mich ins Moos nieder, beruhigte mich und die Schmerzen kehrten zurück. Vor allem das Knie und der Rücken protestierten. Und ich wusste nicht, wie es dazu gekommen war. Vielleicht konnte mir die silberhaarige Frau weiterhelfen. Ich musste sie finden.
      "Japan ist ein wenig so wie Österreich: da hast du erstens das Meer..." 8o
    • Die Nachricht


      Ich wartete Tage und wartete Wochen und wartete noch mehr Wochen, doch nichts, aber auch gar nichts tat sich. Doch in der Zeit kehrten ein paar Erinnerungen zurück. Obwohl es mehr Eindrücke als Erinnerungen waren. Die Höhle, in der ich erwachte, die ein Teil von mir selbst ist. Die Höhle aus der Steine gestohlen wurden. Meine Steine, Teile von mir. Mühsam abgekratzt, mit kleinen Meißeln und Hämmerchen aus meinem Körper geschlagen. Gestohlen und geraubt. Doch ich hatte sie wiedergefunden, die bösartige Diebin. Die Elfe mit den silbergrauen Haaren. Versteckt hatte sie sich in einem kleinen Dorf voller Widerlinge. Menschen, Kühe, Zwerge, Möwen, Shai, Hunde, Ratten, Elfen, Schafe, Halbbiester, Schweine, Katzen und anderen armseligen Wesen. Und sie war nicht gewillt, meine Steine zurückzugeben. Zweimal habe ich sie aufgesucht, beim ersten Mal lagen die Steine herum und ich konnte sie nehmen. Beide Male war sie nicht allein, sondern es waren andere, jämmerliche Wesen bei ihr.

      Ich war sehr zurückhaltend gewesen, ja geradezu großzügig. Früher… früher hätte ich sie bestraft für diese Respektlosigkeit, diese Gotteslästerung. Es war an der Zeit, direkter zu werden. Keine falschen Bilder oder andere faulen Zauber, nein, deutliche Hinweise. Ein Zeichen, das zeigte: nicht mit mir! Ich blickte auf meine Hände, auf die aschgraue Haut, die mein Fleisch nur noch durch puren Willen zusammenhielt und dennoch war es so einfach, diese Gestalt zu behalten. Der Körper war ein Gefäß, wie geschaffen für mich. Abgesehen davon, dass er einer Frau gehörte und ich keine bin… oder war. Ein kurzer Gedanke und meine Arme verwandelten sich in kleine Flügel. Die schwarzen Federn der Kleidung wurden zu echten Federn, der Körper wurde kleiner und leichter. Ich war wieder eine Krähe. Nicht an den Boden gebunden, frei zu fliegen, wohin ich wollte. Ich sprang von dem gemauerten Turm, breitete meine Flügel aus und segelte den Hügel hinab und über Velia. Die Wesen waren von oben nur kleine Punkte, die sich hastig über die Straßen bewegten. Ich segelte weiter, entlang eines Weges, der nach Süden führte, als ich meine Chance sah. Ein Wagen, ganz allein mit seinem Fahrer und dem Esel, der ihn zog. Ich legte die Flügel an meinem Körper und stürzte mich auf das Opfer.

      Der Mann durch das Alter schon fast so tot wie mein Körper, schlug die Hände vor dem Kopf zusammen, wollte meinen Klauen entgehen, brüllte etwas in seiner Sprache. Ich ließ von ihm ab und verwandelte mich. Der Esel blieb erschrocken stehen, senkte den Kopf. Der Mann verlor seine Stimme und starrte mich an. Starrte den toten Körper der junge Nycasa, einen Dolch in der rechten Hand haltend, an. Blitzschnell bewegte ich mich auf den Mann zu, warf seinen Wagen um und fiel über ihn her. Mein Dolch durchschlug seine Haut, seine Lunge, sein Herz. Ich schnitt ihm den Kopf von den Schultern, packte den Rumpf und mit dem aus dem Hals hervorquellenden Blut hinterließ ich meine Nachricht auf dem steinigen Weg. Eine Nachricht, die lautete: „Bring meine Steine zurück!“

      Ich zerschnitt das Geschirr, das den Esel an den Wagen fesselte und ließ das Tier laufen. Den Kopf des Mannes setzte ich auf den Weg und den Holzwagen zerschlug ich in Stücke, als ob ein Fels darüber hinweg gerollt wäre. Den Körper warf ich achtlos in das Gras neben den Weg. Das Blut des Mannes benetzte meine Haut und schenkte mir neue Kraft. Ein Opfer für mich. Nicht so wertvoll, wie ein dargebrachtes Opfer aber dennoch ein Quell von Energie.

      Ein weiterer Wagen rumpelte die Straße herab, auf den Weg nach Velia und stoppte, als mein Werk in Sicht kam. Ich drehte mich zu ihm, lächelte und lief in den Wald hinein. So schnell mich die kleinen Füße des Frauenkörpers trugen. Ich wurde nicht verfolgt. Beinahe bedauerte ich es, doch ein Opfer war genug. Ich bin nicht grausam. Nicht unnötig grausam. Ich tu nur, was ich tun muss, um meine Steine, meinen Körper, mich wiederzubekommen. Von dieser grauhaarigen, spitzohrigen, ekelhaften Diebin! Steine und Antworten.
      "Japan ist ein wenig so wie Österreich: da hast du erstens das Meer..." 8o