Leben

    • FSK 16

      Hinweis
      Dieser Post nimmt Bezug auf die Gerüchte zur Frau in Schwarz und findet in der Nacht vor dem Auffinden des toten Priesters statt. Hier geht es zum Gerücht


      Leben

      Calpheon - Kirchenviertel - Früher Abend

      Wann war der Zeitpunkt als sie die Kontrolle verlor? Den Willen über sich selbst zu verfügen?
      Varesh wusste es nicht mehr. Ihre klaren Gedanken verloren sich immer wieder im Delirium, welches sie weich und befreiend einlullte. Zugleich lies es alle geistigen und körperlichen Anstrengungen in die Leere und deren Bedeutungslosigkeit fallen. Kraftlos neigte Varesh den Kopf zur Seite und sah ihn an.
      Mannheim.
      In ihren nunmehr stumpfen blauen Augen spiegelte sich das hämische Grinsen des Priesters wieder.
      "Na Varesh bist du wieder zu den Lebenden zurückgekehrt?" Bei seinen Worten strich ihr der Priester lüsternd über die Schenkel. Der Anblick der nackten Frau auf dem Bett erregte den doch bereits älteren Mann sichtlich. Langsam ließ er seine Finger zwischen ihre Beine gleiten und packte plötzlich vordernd an ihren intimsten Punkt was Varesh unweigerlich aufstöhnen ließ. Am liebsten hätte sie sich vor Abscheu auf der Stelle übergeben, doch ihr eigener Körper versagte ihr den Dienst.
      Was hatte ihr dieser Mann nur angetan. Erneut. Reichte es ihm nicht, dass er ihre Familie vor so vielen Jahren zerstörte? War es ihm nicht genug, als er sie damals erpresste und sie für sich und seine unkeuschen Handlungen gefügig machte?
      Varesh verschloß ihre Augen. Wenigstens etwas, was sie angesichts der Situation noch tun konnte. Das Rascheln seiner Robe verriet der Frau, was Mannheim gleich wieder mit ihr vorhatte. So wie die letzten Tage.
      Als sie den schweren Körper des Mannes auf sich spürte, würde sich Varesh am liebsten innerlich in eine dunkle Ecke zurückziehen. Doch stattdessen schossen ihr verworrene alte Erinnerungen in den Kopf. Erinnerungen die sie seit so vielen Jahren vergessen hatte. Vielleicht war dies auch eine Nebenwirkung der Drogen, welche Mannheim ihr immer wieder einflößte um sie so gefügig zu halten.
      Die Erinnerung an Laurens, ihrem Sohn, welcher nie lebend die Welt erblickte, als Varesh vor 14 Jahren eine Fehlgeburt erlitt. Die Schuld Priester Mannheims.

      Ihr Unglück begann, als der Priester, nach einem von ihm geleiteten Gottesdienst, die noch vor wenigen Monden verheiratete Varesh, bei der regulären Verabschiedung an den Türen der Kirche Calpheons ansprach. Da Vareshs Mann zu einer wohlhabenden und streng eliongläubigen Kaufmannsfamilie Calpheons gehörte, welche noch dazu einen großen Hof außerhalb der Stadt besaß, lud er die Frau unter dem Vorwand einer Spende für die Kirche, in seine bescheidenen Räumlichkeiten ein. Dort verwickelte er die ahnungslose Frau in ein harmloses Gespräch, während er zugleich im Nebenraum für sich und seinen Gast einen Tee zubereitete. Doch Vareshs Tasseninhalt fügte er unbemerkt noch eine unscheinbare Flüssigkeit hinzu.
      Es kam wie es kommen musste. Der Priester verging sich an der jungen Frau, welche er selbst betäubt hatte. Im Anschluss warf er Varesh hingegen vor, sie habe ihn verführt und drohte ihr mit den Worten: " Wenn davon jemals dein Mann und die Kirche erfahren würde".
      Doch es gäbe wohl eine Möglichkeit diese Sünde vor dem Herrn reinzuwaschen. Varesh hatte keinen gegenteiligen Beweis noch schlüssige Erinnerungen wie es zu diesem Vorfall kam. Aus Angst, ihr Mann könnte davon erfahren und noch dazu seine streng gläubige Familie, welche Varesh nicht sonderlich wohlgesonnen war, fügte sie sich dem Willen des Priesters. Einem Priester Elions würde man schließlich mehr Glauben schenken, als einer Frau wie ihr, welche noch dazu aus der fernen Fremde kam.
      Daraufhin zitierte er sie regelmäßig zu sich. Varesh konnte es schon nicht mehr zählen wie oft er ihren Leib zu seinem eigenen Vergnügen missbrauchte. Doch irgendwann wurde sie Schwanger. Ob das Kind von dem Priester oder von ihrem geliebten Mann war, ließ sich nicht feststellen, doch für Varesh war es das Kind ihres Mannes.
      Die Schwangerschaft hielt den Priester jedoch nicht von seinem Tun ab. Im Gegenteil es schien ihn wohl mehr zu erregen die schwangere Frau weiterhin für sein eigenes körperliches Vergnügen zu misshandeln.

      Sie verlor ihr Kind.

      Noch während die, von der Geburt, entkräftete Varesh verweifelt ihren toten Sohn in den Armen hielt, wurde sie von der Familie ihres Mannes, vermutlich angestachelt vom Priester selbst, der Hexerei und Rumhurerei mit dem Teufel beschuldigt. Das Resultat dessen konnte man ja schließlich mit eigenen Augen sehen.
      Und so forderte die Familie des Mannes, dass man sich sofort der Sünderin annehmen sollte. Priester Mannheim stellte sich Pflicht seines Amtes sofort zur Verfügung, doch ehe er die Gelegenheit hatte über Varesh zu richten, war diese verschwunden.
      Ihr eigener Mann, verhalf ihr zur Flucht. Vielleicht hatte er eine Vermutung, vielleicht wollte er auch einfach nur seine Frau vor einem grauenhaften Ende bewahren. Und so entkam sie diesem. Doch dafür musste sie ihren Mann sowie ihr unbeerdigtes Kind so schnell wie möglich und für immer verlassen.
      Im Nachhinein stellte sich für Varesh heraus, dass es ihr Mann war, welcher Laurens heimlich beerdigen lies und lediglich einen Grabstein mit dem Namen des Kindes aufstellte. Was aus ihrem Mann wurde, erfuhr Varesh nie.

      Ein harter Ruck an ihrem Haar, holte Varesh zurück an dem Ort an dem sie sich gerade befand. Mannheims Bett.
      "Ich sagte du sollst mich ansehen du kleine Hure." Der Priester war grinsend und schwitzend über sie gebeugt und zu ihrem Leidwesen auch noch nicht fertig. Sie konnte es spüren wie er sich in ihr bewegte. "Mhhhh...dein Haar sieht doch so viel besser aus, dass erinnert mich an früher. Wenn nur nicht diese Narbe auf deiner Wange wäre." Mannheim selbst hatte ihr die dunkle Farbe gründlich aus dem Haar gewaschen, welche sie jedes Jahr seit 4 Jahren auftrug um am Grab ihres Sohnes hier in Calpheon stehen zu können. Unerkannt.

      Bis zu diesem Jahr.

      Blieb sie zu lange? Hatte sie zuviel Aufmerksamkeit auf sich gezogen oder wurden die Leute einfach mutiger als Talasha, Lizza und Ayleen das Grab, anläßlich der herrschenden Gerüchte, aufsuchten und Blumen sowie eine Kerze als Gaben für das Grab hinterließen. Bis zu diesem Zeitpunkt wussten die drei nicht wessen Grab das war und bei wem es sich um die trauernde Frau in Schwarz handelte.
      Erst später erfuhren Talasha und Lizza das diese Frau gar keine so Unbekannte war.
      Warum nur haben die beiden sie quer durch die Stadt verfolgt? Warum konnte Talasha nicht einfach auf Lizza hören und gehen? Nein die Walküre musste in ihrer beinahe süßen naiven Art herausfinden wer die Frau in Schwarz war. In eine Ecke gedrängt und ohne direkten Ausweg offenbarte sich Varesh schließlich den beiden und schwor sie darauf ein, dass Lizza und Talasha sie niemals in Calpheon getroffen haben und auch nicht wussten wer die Frau in Schwarz war.
      Das Varesh zu diesem Zeitpunkt bereits Priester Mannheim ausgeliefert war, konnte niemand ahnen. Im Versprechen bald nach Velia zurückzukehren verließ sie Talasha und Lizza.

      Doch stattdessen landete sie hier. In seinen Fängen. Betäubt. Wie auch immer er es geschafft hatte Varesh irgendwelche Mittel, vor ihren Augen, in der Schänke am Werksviertel, in den Wein zu kippen.
      Es hieß, er wollte sich entschuldigen. Um Verzeihung bitten. Doch es kam anders. Da er nun wusste wer die Frau in Schwarz war, fing alles wieder von vorne an.

      Der Kreislauf von Erpressung und Missbrauch.

      Mannheim hatte sie in der Hand. Erneut. Und wenn er es wollte konnte er sie vor ganz Calpheon auffliegen lassen.
      Doch niemand und schon gar nicht ihr einstiger Mann sollten je davon erfahren was aus der damaligen Frau des Kaufmannes wurde. Sie wollte auch nicht nachträglich für Verbrechen, die sie nicht begangen hatte, auf dem Scheiterhaufen landen. Denn der Priester hätte vermutlich mit Freuden die Fackel in das trockene Holz des Scheiterhaufens gehalten, wäre sie dank der Drogen nicht so gefügig.
      Varesh wollte in diesem Moment einfach nur weit weg von Calpheon und ihrer eigenen Vergangenheit sein. Sie hatte das alles hinter sich gelassen. Hatte sich verändert. Wurde ein neuer Mensch seit dem Zeitpunkt als sie in Claudios Bordell in Epheriaport auf Rawhiti Musou stieß...

      Sie wollte ihr neues Leben, ihr neues Selbst nicht mehr aufgeben.

      Vergessen was war.

      Doch dies war nun in Gefahr. Und der Grund dessen lag grunzend auf ihr.
      "Du Schlampe sollst mich ansehen habe ich gesagt!"
      Seine schmierigen Finger umfaßten Vareshs Kinn und zwangen diese ihn anzusehen. Ihr war elendig zumute. Wenn sie doch nur könnte, dann würde sie...

      Moment.

      Ihre Gedanken klärten sich allmählich. Tastend griff Varesh unter das Kopfkissen. Da war er ja. Ihr Ring, welchen sie sich von Tilly der Schmiedin anfertigen lassen hatte. An diesem war auf der Innenseite zur Handfläche ein kleiner Nagel angebracht. Unauffällig. Jedoch lang genug um jemanden zu verletzten.
      Mannheim hatte den Ring nicht entdeckt, als er die bereits unter Drogen gesetzte Varesh in seine abgeschiedene Behausung inmitten des Kirchenviertels brachte. Irgendwie hatte sie es geschafft, diesen Ring vor ihm in Sicherheit zu bringen. Als letzte Hoffnung. Doch all die Tage war die Wirkung der Drogen zu stark für sie, als dass sie sich hätte darauf besinnen können. Nun fädelte sie unbemerkt den Ring auf ihren Finger, während der Priester weiterhin schnaufend sein Werk verrichtete.

      Immer und immer wieder hat er sie in den letzten Tagen benutzt.
      Sie konnte nicht mehr. Sie wollte nicht mehr. Wimmernd biss sie die Zähne aufeinander, was Mannheim nur anstachelte.
      "Die Hure kommt! Ist mein heiliger Schwanz schon zuviel für dich?! Ja empfange ihn! Nimm ihn in dir auf!"
      Ein gequälter Aufschrei entwich ihren Lippen und mit gesammelter, konzentrierter Kraft schleuderte Varesh ihren linken Arm unter dem Kopfkissen hervor. Immer wieder rammte sie ihrem Peiniger den Nagel des Ringes in seinen Hals, bis Varesh die Kraft verließ.
      Mannheims Gesicht war vor Schreck verzerrt und seine Augen weiteten sich, als ein dünnes, rotes Rinnsal an seinem Hals über die Brust und dem Bauch hinablief. Doch so schnell der Schock kam, so schnell wich er dem Zorn. "Du verdammtes Miststück!" Mit Wucht schlug er ihre Hand weg und griff mit beiden Händen an ihre Kehle. "Wie kannst du es wagen dich gegen mich, einem Priester Elions, aufzulehnen?!"
      Ungeachtet seiner Wunden, umschloss er Vareshs Kehle und drückte erbarmungslos zu. Sie rang nach Luft und versuchte gegen den Griff anzukämpfen, doch die Drogen in ihrem Körper erschwerten ihr den Kampf gegen seine schiere wutentbrannte Kraft.

      Ein Keuchen entfloh ihrer Kehle und allmählich wurde ihr Schwarz vor Augen.

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    • Und auf einmal ging alles so schnell.

      Mit einem gurgelnden Laut griff sich Priester Mannheim plötzlich krampfhaft an die eigene Brust. Sein Gesicht verzog sich vor Schmerz und Panik, während sich sein Oberkörper angestrengt zusammenkrümmte. Ohne die zudrückenden Hände an ihrer Kehle, schnappte Varesh geräuschsvoll nach Luft und ehe sie realisierte, was in jenem Moment eigentlich geschah, sackte der Priester seitlich weg und fiel mit lautem Getöse auf den Holzboden.
      Die anstrengende sexuelle Handlung, der Wutausbruch und die Verletztung am Hals des Mannes forderten von dem alten Herz des Priesters seinen tödlichen Tribut.

      Mit letzter verfügbarer Kraft richtete sich Varesh auf und blickte über den Rand des Bettes hinab zu dem regungslosen Körper ihres Peinigers. Ein unwillkürliches Zucken durchfuhr ihre Mundwinkel und kurz darauf fiel Varesh mit schwindendem Bewusstsein auf das Bett zurück. Auch ihr drogenberauschter Leib konnte nicht mehr.

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      Am Horizont zeigten sich bereits die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne, ehe Varesh wieder erwachen sollte.
      Langsam realisierend, was vor wenigen Stunden geschehen war, blickte die Frau zittrig und kraftlos über den rechten Rand des Bettes. Ein kurzer Aufschrei entwich ihr, als sie die blasse Leiche des Priesters auf dem Boden sah. Eine kleine, unscheinbare Blutlache hatte sich nahe der Wunde am Hals auf dem Holzboden gebildet. Das Grauenhafte jedoch waren die toten, milchigen Augen des Mannes, welche an die Decke starrten.
      Zitternd und mit hektischen Bewegungen wich Varesh auf die andere Seite des Bettes zurück. Als sie dabei das getrocknete Blut an ihrer linken Hand und auf Teilen ihres Körper erblickte, schossen ihr die Tränen in die Augen. Verkrampft und mit vor sich haltenden, bebenden Händen saß sie einfach nur wimmernd auf dem Bett.

      Sie hatte einen Menschen getötet. Mit ihren eigenen Händen.

      Dass der Priester letztendlich einem Herzinfarkt zum Opfer fiel, konnte sie nicht wissen.
      Schniefend und um Fassung ringend, versuchte Varesh einen klaren Gedanken zu fassen. Sie musste weg von diesem Ort. Doch vorher sollte sie sich das Blut abwaschen.
      Zittrig blickte sich die Frau im Raum um und konnte tatsächlich eine Waschschüssel auf einer Kommode zur linken Seite des Zimmers ausmachen. Hoffentlich war auch Wasser darin.
      Ungelenk rutschte sie an der linken Seite des Bettes herunter. Um jeden Preis wollte sie einen weiteren Anblick der Leiche Mannheims vermeiden. Mit wackeligen Beinen ging sie hinüber zu der Schüssel und tatsächlich, sie hatte Glück. Es befand sich Wasser in dem Behältnis. Kalt, aber das war Varesh in diesem Moment egal. Sie tränkte einem Lappen, welcher neben der Schüssel lag, mit Wasser und schrubbte sich das verkrustete Blut von ihrem Körper. Als ihr dies soweit gelang, warf sie den Lappen zurück in die Waschschüssel und sah sich nach ihrer Kleidung um.
      Mannheim hatte wahre Geduld bewiesen, als er in seinem erregten Zustand die betäubte Varesh ihrer Kleider entledigte und diese vorerst über einen Stuhl am Bett warf. Er hätte ihr die Kleidung auch vom Leib reißen und somit beschädigen können, doch dies geschah nicht, was ihr Glück sein sollte. Eine Frau in zerissener Kleidung wäre auffällig. Doch auf dem Stuhl lag diese nicht. Wo konnte sie also nur sein? Dunkel erinnerte sich Varesh daran, dass der Priester, als er das erste Mal mit ihr fertig war und von ihrem Körper abließ, ihre Kleidung vom Stuhl nahm und diese in der verzierten Holzkiste, welche vor dem Fußende des Bettes stand, verstaute. Natürlich nicht ohne vorher die Taschen zu durchwühlen.
      In jener Kiste fand Varesh auch nun ihre Kleidung, doch etwas fehlte. Ihr Beutel mit Silber. Unter diesen Umständen konnte sie ihr Pferd Kovac nicht aus dem Stall vor der Stadt auslösen. Sie musste ihren Geldbeutel finden. Ihre Augen suchten den Raum ab. Erst jetzt mit etwas klarerem Verstand konnte Varesh ihre Umgebung deutlicher wahrnehmen.
      Priester Mannheims Schlafzimmer war nicht gerade schlicht eingerichtet. Im Gegenteil. Teure Stoffe und edles Holz dominierten das Zimmer. Von wegen bescheidener Priester.

      Hastig zog sie sich ihre Kleidung über und durchsuchte jene Schränke und Schubladen, welche sie ohne Schlüssel öffnen konnte. Nichts und wieder nichts. Nur unzählige Roben zu jedem Anlass, Decken, Gebetsbücher, Papiere, Kerzen und alles andere, aber kein Geld oder irgendetwas von Wert, was man auf die Schnelle bei einem Hehler oder Schwarzhändler versilbern könnte.
      Sie öffnete die letzte verbliebene Schublade am Nachttisch und zog scharf die Luft ein.
      In der Schublade lagen einige kleine Fläschchen mit flüssigem Inhalt. Varesh hatte die Drogen gefunden, mit denen Mannheim sie betäubt hatte. Dunkel konnte sie sich daran erinnern, wie er ihr immer wieder in den letzten Tagen aus genau solchen Fläschchen ein paar Tropfen fast durchsichtiger Flüssigkeit in den Mund tröpfelte und sie diese Schlucken ließ. Kurz daraufhin setzte immer die betäubende Wirkung ein. Während ihr die Tränen erneut in die Augen stiegen, bemerkte Varesh direkt neben den Fläschchen noch eine kleine, leicht verzierte Silberdose. Vermutlich nicht sonderlich wertvoll, aber Varesh steckte diese kurzerhand ein. Vielleicht konnte man die Dose für ein paar Silber loswerden.

      Als Varesh schließlich um das Bett herumging und ihr Blick dabei, trotz jeglichen inneren Widerstandes, auf den toten Körper des Priesters fiel, ließ sie ihren Tränen schluchzend freien Lauf.
      Sie sank auf ihre Knie hinab und weinte bitterlich. Zitternd am ganzen Körper, vergrub Varesh ihr Gesicht in ihre Hände und verharrte in dieser Position, bis sie nur noch die Kraft zum Wimmern hatte.
      Sie konnte es noch immer nicht fassen, dass sie einen Menschen getötet hatte. Sie!
      Auch wenn es dieser Mann in ihren Augen mehr als verdient hatte. Doch so wie es passierte, hätte es niemals geschehen dürfen!
      Nun war sie eine Mörderin. Und sie musste so schnell wie es nur ginge aus Calpheon verschwinden. Varesh mahnte sich innerlich erneut dazu sich zusammenzureißen.
      Weitermachen. Einfach nur weitermachen...

      Aber wenn sie doch nur eine Möglichkeit fände, diese grauenhafte Tat zu vergessen...all das zu vergessen.

      Mit zusammengebissenen Zähnen legte sie den Kopf in den Nacken, während ihr die Tränen aus den Augenwinkeln liefen. Ohne darüber nachzudenken erhob sie sich, ging hinüber zu der Schublade und steckte sich die Fläschchen ein. Danach verließ sie das Schlafzimmer, ohne nochmals in den Raum zu blicken.

      Im Nebenraum, einem größeren, aber ebenso vornehm eingerichtetem Wohn- und Arbeitsbereich, stieß sie auf ihr Geldsäckchen, welches auf einem Schreibtisch lag. Nach der Prüfung des Inhaltes stellte Varesh fest, dass eine erhebliche Menge Silber fehlte. Anscheindend hatte sich Mannheim dessen bedient. Sie musste sich also etwas weiter in der Wohnung des Priesters umsehen. Doch ehe sie dazu kam, ließ sie ein Geräusch zusammenzucken. Mit aufkeimender Panik und ausgesetztem Verstand, verstaute Varesh ihr Geldsäcken in ihrer Tasche und huschte durch die Wohnung zur Eingangstür. Sie öffnete diese einen Spalt und blickte hinaus. Niemand in Sichtweite. Gut.
      Rasch schlüpfte Varesh durch die Tür und stand nun in einem etwas abgelegenen Teil des Kirchenviertels inmitten von Calpheon.
      Sie fühlte sich an der freien Luft wie ein verängstigtes Tier und vielleicht stand sie auch immer noch unter dem Einfluss der Drogen. Doch irgendwie schaffte sie es sich in Bewegung zu setzen und das Kirchenviertel zu durchqueren.
      Gerade rechtzeitig. Denn als sie bereits einige Schritte von der Wohnung des Priesters entfernt war, kam ein jüngerer Mann einen der Wege entlang. Es war der Kammerdiener Jacob. Sein Ziel war die Wohnung von Priester Mannheim.
      Varesh entging der junge Mann, welcher sich in ihrem Rücken befand, doch stattdessen lief sie nach einigen Abbiegungen beinahe in die Arme einer älteren Priesterin. Hastig entschuldigte sich Varesh für den noch abgewendeten Zusammenstoß und ging eiligst weiter. Die Priesterin blickte der verunsichert wirkenden Frau noch hinterher, bis ihre Aufmerksamkeit anderweitig abgelenkt wurde. Kammediener Jacob hatte in der Zwischenzeit Priester Mannheim aufgefunden und brüllte vor Schock das halbe Kirchenviertel wach.

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      Es ging alles so schnell und sie war zu langsam. Varesh kam nicht aus Calpheon heraus. Kurz nachdem man den Priester auffand, wurden umgehend die Wachen an den Toren der Stadt verstärkt und strengste Kontrollen durchgeführt.
      Sie hätte verschwinden sollen, solange sie die Zeit gehabt hätte. Doch mit dem wenigen Silber konnte sie ihr Pferd einfach nicht aus der Obhut des Stalles auslösen. Und sie wollte Kovac auch nicht einfach zurücklassen.
      Irgendwie musste sie an Geld kommen. Aber zuerst musste sie untertauchen.
      Getrieben von ihrer selbstgeschürten, inneren Angst, suchte sich Varesh eine billige Unterkunft im Armenviertel. Inmitten eines Stadtviertels geprägt von Verzweiflung, Selbstaufgabe und Armut hockte die Frau nun auf einem ranzigen Bett und starrte in dem trostlosen kleinen Mietzimmer, einer ebenso schäbigen Taverne an die Wand, deren Putz sich schon stellenweise löste.
      In ihren Händen hielt sie die kleine silberne Dose, welche sie aus der Wohnung des Priesters mitnahm. Morgen, wenn sie sich etwas beruhigt hatte, würde sie versuchen diese bei einem Hehler zu verkaufen. Und wenn das nicht genug Geld abwarf...sie schluckte. Irgendwie konnte sie diesen Gedanken nicht zu Ende führen. Nur daran zu denken es zu tun, ließ die Übelkeit in ihr aufsteigen und führte ihr immer wieder die Erinnerungen vor Augen, wie der Priester sie die letzten Tage missbrauchte.

      In diesem Moment fragte sich Varesh, ob sie je wieder im Bordell arbeiten könnte. Eine Entscheidung, die sie vor so vielen Jahren aus der Not wählte und doch mit der Zeit zu genießen lernte. Sie wurde zu einer anderen Frau. Stark und unabhängig. Eine Frau, die sich in gewisser Weise nahm, was sie wollte, auch wenn sie noch die eine oder andere Verpflichtung hatte.
      Doch Mannheim hatte sie zerstört. Er hatte sie gebrochen und das bereits zweimal in ihrem Leben.

      Sie wollte einfach nur noch zurück nach Velia. Zurück in die Tanzende Möwe. Zu ihrer Familie. Thaladrian, Coco, Suzan, Gloria, und all den anderen. Selbst über Meister Tenzin hätte sie sich gefreut. Was sie wohl gerade taten? Was dachten sie in diesem Moment, als sie feststellten, dass Varesh noch nicht zurückgekehrt war? Und Madame Musou?

      Wieder stiegen ihr die heißen Tränen in die Augen und während ihr getrübter Blick immer noch starrend an die Wand gerichtet war, spielte sie mit der Dose in ihren Händen. Ein leises Klicken richtete ihre Aufmerksamkeit auf den Gegenstand. Varesh hatte die Dose geöffnet und fand darin ein weißes Pulver.

      War das etwa Engelsstaub?!

      Sie wusste noch von ihrer Zeit in Epheriaport, wie dieses Zeug aussah. Schließlich hatte Claudio diese Droge oft genug zu sich genommen. Eigentlich war der ehemalige Besitzer des Bordells in Epheriaport immer auf diesem Zeug. Angeblich sollte es die Laune bessern. Und die meiste Zeit war Claudio auch gut gelaunt. Bis auf wenige Ausnahmen. Und eine Ausnahme war der Tag, an dem die Madame mit diesem langhaarigen Typen im Bordell auftauchte...und dann war da noch diese andere Frau. Rhaida...
      An dem Tag war Claudio wirklich nicht gut drauf. Wie auch? An dem Tag hatte er ja auch seinen Kopf verloren.
      Das war der Tag, an dem sie der Madame begegnete und sich ihr anschloss...

      Vareshs Erinnerungen waberten ziellos vor ihrem inneren Auge umher. Stetig schoben sich zwischen den teils schönen Momenten ihrer Vergangenheit auch die Bilder, wie der Priester sich schnaufend und stöhnend auf ihr abmühte. Wie er sie benutzte und besudelte. Immer und immer wieder.

      Jetzt war er tot.

      Varesh verschloss ihre Augen. Doch so sehr sie sich bemühte, es gelang ihr einfach nicht dieses Bild zu verdrängen. Während sie noch die Augen verschließen konnte, um nicht mitanzusehen, wie Mannheim über sie herfiel, so konnte sie den Anblick seiner Leiche nicht aus ihrem Kopf bannen. Egal ob sie die Augen geschlossen hielt oder geöffnet hatte. Es war einfach unmöglich.
      Immer sah sie seinen Leib und diese toten, milchigen Augen. Sie starrten nicht an die Decke. Nein, sie starrten Varesh genau an. Anklagend. Vorwurfsvoll. Hämisch.
      Sie wollte das nicht sehen. Irgendwie musste sie diesen Anblick, diese Erinnerung loswerden. Die Sinne betäuben. Doch wie?

      Langsam fiel ihr Blick auf die Silberdose zwischen ihren Händen.

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      Lust

      Velia – Die Tanzende Möwe

      Wochen sind vergangen seitdem Varesh mithilfe von Madame Musous Verbündeter, Rhaida, aus Calpheon nach Velia zurückgebracht wurde. Auf ihrer Rückreise trafen die beiden Frauen kurz vor Florin überraschend auf die Schmiedin Tilly Umha aus Velia. Diese ist auf Bitten von Onizuca, einem Mitarbeiter der Tanzenden Möwe, nach Calpheon aufgebrochen um nach der vermisst geglaubten Varesh zu suchen.
      Mit einem nächtlichen Zwischenstop in Olvia, erreichte das ungleiche Gespann bald darauf die Hafenstadt. Dort trennten sich die Wege der Gruppe. Während Tilly in die Schmiede zurückkehrte, begaben sich Rhaida und Varesh in die Möwe.
      Nach einigen Gesprächen mit der Madame, wurde Varesh vorerst von ihrem Dienst freigestellt. Sie verblieb unter Meister Tenzins medizinischer Versorgung.
      Offiziell ereilte Varesh eine Sommergrippe auf ihrer geschäftlichen Reise nach Calpheon. Nur ein sehr kleiner interner Personenkreis der Möwe wusste um die wahren Begebenheiten.
      Doch keiner ahnte etwas von den mitgebrachten Rauschmitteln, mit denen sich Varesh jeden Abend, seit den Erlebnissen in Calpheon, betäubte um in den Schlaf zu finden.

      __________

      Die Luft war selbst am Abend noch hitzegeschwängert, als die Sonne hinter dem Horizont verschwand und eine sternenklare Nacht über Velia hineinbrach. Die Straßen der Hafenstadt waren ruhig, nur aus den Tavernen drangen die gleichmäßigen Laute der dort anwesenden Gäste.
      In der Tanzenden Möwe begann nun der allabendliche Tanz der Sinne und Gelüste. Das Haus war bereits gut besucht und die zahlreichen Angstellten waren damit beschäftigt die Gäste nach allen Regeln der Kunst zu bedienen.
      Zu diesem Zeitpunkt hatten sich Varesh und Thaladrian in einem der größeren Zimmer des Hauses eingefunden. Dieser Raum verfügte über ein großes Bett und wurde durch zwei leichte, blickdurchlässige Vorhänge aufgeteilt, deren Stoff so gewebt war, dass man nur von einer Seite hindurchsehen konnte.
      Zahlreich aufgestellte Kerzen sorgten für eine gemütliche und warme Stimmung. Varesh, gehüllt in einem seidenen und nicht allzu blickdichten Morgenmantel, saß mit überschlagenen nackten Oberschenkeln auf dem Rand des Bettes und nahm soeben das Weinglas an, welches ihr Thaladrian reichte. Es war ihr erster dienstlicher Abend und schon war der erste Kundenwunsch einer von der seltenen Sorte. Eine Sitzung, bei welcher der Kunde Thaladrian und ihr nur zusehen wollte, ohne daran teilzunehmen.
      Angenehmer hätte es für Varesh nicht sein können. Thaladrian war ihr Vertrauter. Bei ihm wusste sie, dass sie den kommenden Akt genießen konnte.
      Dennoch hatte sie zuvor etwas von dem Engelsstaub aus der kleinen silbernen Dose, welche sie aus Calpheon mitbrachte, zu sich genommen. Dieses Pulver verbrachte wahre Wunder. Es berauschte die Sinne und würde alle spürbaren Empfindungen noch erregender gestalten. Der Rotwein in ihren Händen, tat dazu noch sein übriges.

      Mit einem verführerischen Lächeln reichte Varesh das Weinglas an Thaladrian zurück. Er nahm es mit ebensolchen Zügen auf seinen Lippen entgegen und trank daraus. Langsam und genüßlich ließ Varesh ihren Blick über Thaladrian gleiten. Er war noch in einen sehr luftigen Stoff eingekleidet. Fliederfarben, hauchdünn und die langen Ärmel des fast durchsichtigen Hemdes hochgekrempelt. Ein Anblick den Varesh sehr genoss und sie auf mehr einstimmte.
      Als die beiden näherkommende Schritte vernahmen, blickten Thaladrian und Varesh zur Tür auf, welche jedoch hinter den Vorhängen lag und die beiden nicht erkennen ließ, wer dort in diesem Moment den Raum betrat. Doch anhand der erklingenden Absätze konnte man erahnen, dass es sich bei dem Kunden um eine Frau handeln musste. Sogleich stellte Thaladrian das Weinglas beiseite und trat lächelnd an Varesh heran, welche nach wie vor auf dem Rand des Bettes saß.
      Ein leichter Luftzug durchfuhr den Raum und die Nuance eines allzu bekannten Duftes nach Eleganz, Stärke und einem kleinen Hauch süßer, kalter Erotik kitzelte wohlwollend die Nasen von Varesh und Thaladrian.
      Im Wissen, dass ihr Gesicht dem Zuschauer gegenüber noch verborgen war, blickte sie Thaladrian mit einem Ausdruck des Erkennens an. In jenem Moment, als er sich zu ihr hinunterbeugte um sie zu küssen, flüsterte Varesh ihm etwas zu.
      Geschickt und unbemerkt für die Zuschauerin, ließ Thaladrian seine antwortenden Worte in sanfte Küsse an ihrem Hals ausklingen, was ein liebliches Seufzen über Vareshs Lippen dringen ließ. Langsam öffnete Thaladrian in seinem Tun die Schlaufe von Vareshs seidenem Mantel und strich ihr, das nun lästige Stück Stoff, behutsam mit einer fließenden Bewegung von den Schultern und entblößte ihren nackten Körper.
      Während er Varesh mit achtsamen und geschmeidigen Bewegungen auf das Bett niederdrückte, öffnete auch sie filigran sein Hemd und wurde mit dem Anblick seines muskulösen Oberkörpers belohnt. Lächelnd und doch etwas hungrig, griff sie mit einer Hand in seinen Nacken und zog Thaladrians Kopf mit sanfter Gewalt an ihre Lippen. Doch etwas über ihren Zug überrascht, schob er nun ihren sinnlichen, nackten Körper etwas höher auf das Bett und positionierte Varesh und sich seitlich, sodass der Zuschauer mehr als nur Thaladrians sehnig-muskulösen Rücken erblicken konnte. Als er sich schlussendlich seines letzten einkleidenden Stück Stoffes entledigte, erwartete ihn Varesh bereits mit feuchter Lust.


      Die Luft des Raumes war erfüllt von Leidenschaft und hemmungsloser Begierde. Man konnte förmlich spüren, dass die beiden ihre eigene Darstellung sehr genoßen.
      Während Thaladrian und Varesh ihr körperliches Treiben anregend und abwechlungsreich vollzogen, saß der stille Beobachter ruhig und wortlos hinter den hängenden Schleiern . Doch als Thaladrian immer kraftvoller und animalischer zustieß und Varesh stöhnend ihren Kopf über den Rand des Bettes neigte, fuhren zwei Finger zwischen die Enden der Vorhänge und öffneten diesen einen Spalt breit. In jenem Moment öffnete Varesh ihre Augen und sah ein Augenpaar in der Dunkelheit hinter dem Vorhang aufblitzen. Sie wusste, dass sie geradewegs in die kalten, grünen Augen von Madame Musou blickte.
      Varesh erschrack nicht. Nein. Stattdessen stieg ein unbeschreiblich starkes Verlangen in ihr auf. Eine Erregung welche in der Frau förmlich zu explodieren drohte, würde sie dieses Begehren unterdrücken. Vareshs Atmung wurde unwillkürlich schneller. Ihr Stöhnen intensiver. Es kam ihr vor, als würde sie die Spitze eines Berges ersteigen und in diesem Augenblick überkam es sie. Ein wahrer Sinnesrausch brach über Varesh und Thaladrian hinein, als beide ihren Höhepunkt erreichten.

      Erschöpft lagen die beiden nackten Leiber nun aufeinander und als Varesh ihren Kopf wieder nach hinten über den Rand des Bettes neigte, vernahm sie die Schritte der Madame, welche soeben den Raum verließ.

      Ein scheinbar seelig und befriedigtes Lächeln legte sich auf Varesh Lippen. Ein Lächeln, welches ebenso eine neu erweckte Begierde verbarg.


      Hinweis
      Die oben beschriebenen Geschehnisse liegen für das Storyverständnis zum aktuellen Zeitpunkt schon mehrere Wochen zurück. Nachdem Varesh ihre Arbeitstauglichkeit unter Beweis stellte, ging sie wieder ihrer körperlichen Tätigkeit nach. Zu diesem Zeitpunkt tauchte Varesh wieder öfters gegenüber der Velia-Gruppe auf.
    • FSK 16

      Hinweis

      Diese Geschichte knüpft an die Geschichte "Rückkehr" aus "Die Hexe aus dem Osten" an.



      Vereinigung

      Velia, in der Tanzenden Möwe

      Etwas ließ Varesh ihre Augen öffnen. Zumindest versuchte sie dies. Bleiernd und schwer fühlte sie sich, als wäre sie gar nicht richtig da. Mit Mühe fing sie die einzelnen Fetzen ihrer Gedanken ein,versuchte diese zu sortieren.
      Sie hatte einen Kunden. Iliaz, der Wanderarbeiter. Er trug diese interessante hölzerne Maske.
      Oder war sie letztendlich doch im Büro und hatte noch Papierkram erledigt?
      Egal was von beidem sie tat, es wurde spät. Wie spät war es jetzt? Tief in der Nacht musste es sein.

      Als Varesh ihren Körper bewegen wollte, fühlte es sich an, als wäre dieser wie auf dem Boden festgekettet. Doch da waren keine Ketten. Es wirkte wie in einem Traum in dem man versuchte zu rennen, doch egal wie sehr man sich anstrengte, das Ziel war immer unerreichbar.
      Träumte sie etwa?
      Weit in der Ferne schwebte Varesh eine Erinnerung zu. Sie hatte heute Abend etwas von dem Engelsstaub genommen. Vielleicht war dies der Grund.
      Ihr Blick war verschwommen. Wollte nicht klar werden. Doch konnte sie das Büro der Madame erkennen. Alles wirkte so unscharf und weit weg.
      Dies war definitv ein Traum. Es fühlte sich wie die Träume an, welche Varesh sonst auch hatte.
      Nun endlich vermochte sie ihren Körper zu erheben. Auf nackten Sohlen stehend, ließ sie den Blick erst über sich und dann durch den leicht erhellten Raum wandern. Sie war unbekleidet. Nicht ungewöhnlich.
      Geräusche erregten ihre Aufmerksamkeit und brachten Varesh dazu sich zu der Quelle umzudrehen. Was sie erblickte, war atemberaubend und erschreckend zugleich. Noch konnte sie sich nicht ausmalen ob dies gar ein Alptraum sein könnte.

      Schwarze, wabernde Nebelschwaden und stachelige Dornen, von dunkler, matter Beschaffenheit, nahmen den Tisch in jenem Raum ein. Erst als Varesh, gelockt durch anregendes Seufzen, in die Nähe dieses Gebildes gelang, erkannte sie zwei aneinander geschmiegte Körper.

      Der Nebel stieg von einem männlichen, dunkelhäutigen Körper auf. Eine wohlbekannte hölzerne Maske zierte sein Haupt. Iliaz?
      Vareshs Blick glitt über den nackten Körper des Mannes. Ein feiner Schweißfilm ließ seine Muskeln im diffusen Licht des Raumes glänzen. Der Mann stand vor dem Tisch, seinen Schoß vergruben in anderem Fleisch. Die, vom Nebel umhüllten, kräftigen Hände festhaltend an den Hüften einer Frau.
      Auch hier wanderten Vareshs Augen über den Leib der weiteren Person. Ihre Haut war stellenweise von jener dunklen, matten Schicht umschlossen, während Dornen an einigen Stellen aus dem Körper der Frau entsprungen zu sein schienen. Die Frau hatte sich mit beiden Händen nach hinten auf dem Tisch abgestützt und lange,scharfe Klauen in das Holz des Tisches gegraben, während sich ihre Beine um die Hüften des Mannes schmiegten. Es war ihr angeregtes Seufzen, was Varesh anlockte. Den Kopf genußvoll in den Nacken geneigt, entstieg der Kehle der Frau ein tiefes, forderndes Stöhnen. Sie hob den Kopf und offenbarte ihr Antlitz. Es war Madame Musou.

      Ein Traum! Definitiv ein Traum! Ging es Varesh in diesem Moment durch den Kopf. Dies würde niemals wirklich geschehen!

      Varesh spürte eine sanfte Berührung. Eine Hand von Iliaz hatte sich von der Hüfte der Madame gelöst und sich auf Vareshs linke Schulter gelegt. Nun hob sich auch ein Arm von Madame Musou und legte sich auf Vareshs andere Schulter nieder. Mit einem Mal durchfuhren Varesh fremde Erinnerungen. Fremde Erlebnisse. Als würden die beiden Personen ihre Geschichte dieser Frau erzählen.
      Es dauerte nur ein Bruchteil. Varesh schwankte nach vorne, musste sich sogar an dem Tisch abstützen. Ihr Rücken schien an einer bestimmten Stelle förmlich vor Schmerz zu brennen.

      Also doch ein Alptraum?

      Die Hände der beiden strichen Varesh sanft über die Schultern, bis die klauenbesetzte Hand Madame Musous unter Vareshs Kinn glitt und sie mit sanfter Gewalt zu ihrem Gesicht heranzog.
      "Schließe dich uns an, Varesh", erklang die Stimme ihrer Herrin.
      Noch ehe Varesh bewusst über ihren eigenen Körper bestimmen konnte, stieg sie wie von selbst auf dem Tisch hinauf, setzte sich zuerst rittlings auf den Leib ihrer Herrin und beugte sich im Anschluss zu dieser nach vorne. Sichtlich darauf bedacht nicht von einem der Dornen aufgespießt zu werden.
      Iliaz behielt nun eine Hand an der Hüfte der Madame und griff mit der anderen an Vareshs sinnliches Becken. Voller Begierde hob und senkte sich die Brust des Mannes, bis er seine Lenden an Vareshs Hüften schmiegte und Stück um Stück in Vareshs williger Lust eindrang.
      Hungrig erklang ihr Stöhnen. Vareshs Körper fühlte sich berauscht und gierig zugleich an. Sie wollte diesen Traum vollends auskosten. Iliaz drang immer tiefer in Varesh ein und entlockte der Frau noch erregendere Laute. Voller Wollust, mit benebelten Gedanken, suchten Vareshs Lippen die ihrer Herrin und fanden diese. Vereint in einem andauernden sinnlichem Kuss...

      Varesh wünschte sich, dass dieser Traum endlos weitergehen würde.

      __________


      "Mhhhh....", stöhnte Varesh sinnlich auf, als die Frau ihren nackten Leib, mit den ersten durch das Fenster eintretenden Sonnenstrahlen, bis in die letzten Glieder streckte und reckte. Allmählich verblassten die letzten Eindrücke ihres sinnlichen Erlebnisses bis auch der letzte Gedanke an der Sehnsucht der vergangenen Nacht hinfortglitt. "Was für ein Traum...", raunte sie mit belegter Stimme und öffnete langsam ihre Augenlider.
      Als sich der morgentliche Schleier auf ihren Augen lichtete und sie die letzten Reste des Schlafes aus den Winkeln strich, hielt sie langsam in ihrem morgentlichen Aufwachritual inne.

      Dies ist nicht ihr Zimmer!

      Der Blick wanderte orientierend durch den Raum. "Wo bin i...", brach sie abruppt ab. Vareshs Gesichtszüge entglitten ihr vollständig, als sie eine Person neben sich im Bett fand. An sich wäre dies nichts sonderlich Ungewöhnliches. Aber diese Person und ihre Anwesenheit war im höchsten Maße bizarr.

      Wilde, offene dunkelrote Haare umschmeichelten mit leichen Wellen das denkwürdige Gesicht Madame Musous, welche in einer lockeren, auf den Unterarm abgestützten, seitlichen Liegeposition seelenruhig Varesh betrachtete.
      Ein rascher Blick außerhalb des Gesichtes ihrer Herrin offenbarte Varesh, dass die Madame kein Stück Stoff an ihrem Leib trug. Ihre blauen Augen weiteten sich angesichts dieser Entdeckung und sofort huschte ihre Aufmerksamkeit wieder auf das Gesicht Rawhitis.

      "Ich lass mir gerade durch den Kopf gehen, ob ich dir sagen soll, dass dein Traum ein ebensolcher war oder eben keiner..." Der Blick der Madame blieb in völliger Ruhe und ohne jegliche Gesichtsregung auf Varesh liegen. Doch dann änderte sich etwas Ungewöhnliches in Madames Ausdruck. Ein süffisantes bis beinahe erheiterndes Lächeln umspielte die Mundwinkel der Madame.

      Varesh fehlten sichtlich die Worte. Sie brachte lediglich ein undeutliches Krächzen hervor. Ob es an Madames Lächeln oder den Dingen der vergangenen Nacht lag, ließ sich nicht deuten. Vermutlich war es eine Mischung aus beidem.

      "Gut, dir hat es offensichtlich die Sprache verschlagen." Die Hexe hob eine Hand empor und deutete mit einem geraden, dünnen Finger auf die Wand hinter Varesh, welche dem Fingerdeut folgte und erneut nur ein Keuchen zwischen ihren Lippen hervorbringen konnte, ehe sie mit einem verstörtem Ausdruck wieder zu ihrer Herrin sah.

      "Die Maske...es ist also wahr?", entfuhr es Varesh nun doch. Die Madame nickte zustimmend. "Wir wurden allesamt von Istar vorgeführt und zum Narren gehalten. ... Somit habe ich nun ein Problem mehr." Ihr Blick glitt abschätzend zu Varesh. "Nein, ich... bei allem was mir heilig ist Madame... ich..." Rawhiti unterbrach Varesh mit einer unwirschen Geste. "Dies ist nicht mein Problem, Varesh. Zeit. Zeit ist mein Problem."

      Varesh betrachtete die Madame mit einem teils erleichterten und teils besorgtem Ausdruck.
      "Warum die Zeit?"

      "Sie läuft mir davon.", entgegnete Madame Musou mit einem eisernen Blick auf die Maske.



    • „Manche Leute glauben, Durchhalten macht uns stark. Doch manchmal stärkt uns gerade das Loslassen.“
      - Hermann Hesse -


      Die Frau in Schwarz

      Etwas stimmt nicht!

      Dieser Gedanke schießt ihr sofort in den Kopf, als sich die vollkommen in schwarz gehüllte Frau mitten in der Nacht dem Grab des ungeborenen Kindes nähert.
      Calpheons Friedhöfe liegen dunkel unter dem klaren Sternenhimmel. Nur hier und dort, quietscht eine kleine Laterne im seichten Wind und erhellt nur wenige Fingerbreit den teils bemoosten Grund.
      Doch sie kennt den Weg, auch ohne Licht. Ist sie doch Jahr für Jahr hierher zurückgekehrt, um für ihren Sohn zu singen. Bis auf dieses eine vergangene Jahr.

      ****
      Zu diesem verfluchten Zeitpunkt eines jeden Jahres, kehrte die Frau in Schwarz einst an das Grab des ungeborenen Kindes zurück. Jenes Kind, was die Brut des Teufels sein sollte und nie das Licht der Welt erblickte. Die Mutter, hinfortgejagd und als Teufelshure stigmatisiert, doch längst zur Rechenschaft gezogen und dem Tode überführt.
      So nach dem Aberglauben der Calpheoner. Es sei der ruhelose Geist der Teufelshure, welche man nur noch furchtsam die "Frau in Schwarz" nannte. Die Frau in Schwarz welche jedes Jahr an diesem Grab gesichtet wurde, während der Wind den Klang ihres tödlichen Liedes durch die Gassen hallen ließ.
      Doch nur wenige Eingeweihte wissen um die wirkliche Geschichte, die sich hinter einem undurchsichtigem Geflecht aus Leid und Qual verbirgt und noch wenige wissen um den wirklichen Verbleib der Frau in Schwarz.
      ****

      Das Grab ist fort. Nein! Es ist da, doch – es hat sich verändert.
      Der schlichte Stein, welcher lediglich einst den Namen "Laurens" trug ist entfernt worden. An seiner Stelle findet sich nun eine hohe, aufrecht stehende und massive Marmorplatte, an dessen rechten Seite sich eine Statue anschmiegt. Eine weibliche Engelsfigur mit einem gebrochenen linken Flügel, welcher ohne Kraft herabzuhängen scheint und einem sich schützend, um den großen Grabstein legenden rechten Flügel.
      Im seichten Mondlicht glaubt die in schwarz gehüllte Frau ein Abbild von sich selbst zu erkennen. Doch noch etwas anderes lässt ihr den Atem förmlich gefrieren.
      Fein säuberlich und von meisterlicher Arbeit geschaffen, prangen gleich mehrere Namen auf dem Stein.

      Laurens Yves
      geliebter Sohn

      Margo Veruschka Yves
      geliebte Tochter, Ehefrau und Mutter


      Regungslos starren die blauen Augen Vareshs auf die Inschrift.
      Nebst dem vollständigem Namen ihres Sohnes und der Offenbarung des Familiennamens ist ebenso ein Geburts- und Todesdatum verzeichnet.
      Auch ihr eigener, wahrer Name ist samt Geburtsdatum in den Stein eingemeißelt. Doch bei näherer Betrachtung erkennt Varesh, dass an der Stelle, an welcher das Todesdatum fehlt, leichte Markierungen vorgenommen worden sind, als würde man dieses noch eintragen wollen. Vorsichtig streicht Varesh mit ihren Fingerkuppen über den kalten Marmor und ertastet die groben Zahlen.
      Ihr Todestag wäre an jenem Tag im vergangenen Jahr, an welchen Laurens seinen 18. Frühling erlebt hätte – würde er leben.
      Wer hat dies getan? Ist es möglich, dass.... - doch weiter vermögen Vareshs Gedanken nicht zu kommen.

      "Ich dachte du wärst von dieser Welt gegangen... ."

      Diese ruhige, tiefe Stimme mit einer kleinen, gebrochenen Nuance des Zögerns, lassen Varesh erstarren. Jene Frau, die sich den unheimlichen Sagen und Mythen Calpheons, als gespenstige und mörderische Frau in Schwarz angeschlossen hat, erbleicht nun wie ein wahrhaftiger Geist.

      Langsam gleitet Vareshs Blick von der Inschrift des bizarren Grabsteins über den Friedhof. Ihr Atem geht ruhig, doch stockend, während sich die Frau in Schwarz allmählich zu der Herkunft der Stimme dreht.
      Kaum merklich weiten sich ihre Augen, als sie sich der Gestalt, nur wenige Schritt von ihr entfernt stehend, gewahr wird. Ungläubig und schockiert sucht der Klang ihrer rauchigen, verwegenen Stimme den Weg über ihre Lippen.

      "... Arthur...?"

      Ungehört verbleibt das verräterische leise Zischen eines schnell nahenden Pfeiles, welcher sein Ziel nicht verfehlen soll und sich unbarmherzig durch lebendiges und atmendes Fleisch bohrt. Ein dumpfer Laut erklimmt die Kehle der Frau in Schwarz und lässt sie mit einem schmerzvollen Keuchen einen halben Schritt nach vorn taumeln.
      Vareshs unverständlicher Blick wandert an sich herab, bis sie die blutig herausragende Pfeilspitze an ihrem Bauch ausmachen kann. Unwissend.
      Ihr Verstand wehrt sich mit nackter Panik gegen den Anblick des Blutes – ihres Blutes und lässt sie zugleich eisige Kälte und feurige Hitze spüren, welche sich ihren Weg durch die pulsierenden Adern ihres Körpers bahnt. Binnen Sekunden verliert die Frau die Kontrolle über ihren eigenen Leib und lässt sie noch in den Armen jener herangeeilten Gestalt zusammensacken, welche Varesh soeben Arthur nannte.
      Behutsam lässt sich die breitschultrige Gestalt Arthurs mit der Frau in seinen Armen nieder. Mit bebendem Leib hebt Varesh ihre zitternden Fingerspitzen tastend an das Gesicht des Mannes, als wolle sie sichergehen, dass sein Anblick kein Traum sei. Fassungslos befühlt sie das, von Alter und Sorge gezeichnete Gesicht, streicht über den bereits stark ergrauten Bart und blickt Arthur in die Augen, als bitte sie um Verzeihung für all die vergangenen Jahre, während sie gegen die zunehmende Dunkelheit ankämpft, die ihren Geist mit jeder voranschreitenden Sekunde umwölkt.
      "Arthur..."
      Vareshs Stimme verliert an Kraft, wo sie ihm doch so viel sagen will. Nun ist es ihr gepeinigter Blick, welcher auf den seinigen trifft. Sanft legt der Mann seine Hand auf ihren Handrücken und nickt zögerlich. Es ist der Ausdruck in seinen grauen Augen, der Varesh verspricht, dass alles in Ordnung ist. Das alles in Ordnung sein wird.

      " Lass los Margo... Lass los. Ich werde mich um alles kümmern. Wie damals."

      Ein Atemzug vergeht und Varesh verschließt mit einem schmerzlichem Lächeln ihre Lippen, als verstehe sie. Nun kann sie es endlich fühlen. Sie ist befreit.
      Kraftlos rutscht die Hand von seiner Wange, während ihr Kopf nach hinten kippt und die Frau wie leblos in den Armen von Laurens Vater emporgehoben wird.

      Die Mutter seines längst verstorbenen Sohnes in seinen starken Armen tragend, erhebt sich Arthur Yves und betrachtet den, von der Pfeilspitze durchbohrten Körper. Nach einigen Augenblicken hebt sich der Blick des Mannes empor und betrachtet einen bestimmten Punkt am Tor des Friedhofs. Kurz darauf scheint sich ein dünner, hagerer Schatten aus den Säulen des Einganges zu lösen und den Friedhof zu verlassen, während sich die Stoffe einer langen Robe, als auch Federn am Hut der Gestalt unter dem seichten, aufziehenden Wind winden.

      Und doch sind da noch andere Augen, die der Szenerie bis zum Schluss beiwohnen. Augen die in den Farben eines Sonnenunterganges erstrahlen, während sich ein eindrucksvolles Lächeln auf den Lippen abzeichnet.

      " Sir Yves, wir sollten keine Zeit verschwenden."

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