Teil 1
„Da läuft er! Los! Das Muttersöhnchen kriegen wir! Mit seinen kurzen Hjyugabeinen kann er nicht so schnell laufen!“
Äste von Büschen peitschten Inuyo ins Gesicht. Sein Arm pochte und tat höllisch weh. Seine Verfolger hatten ihn bevor er fliehen konnte lange bearbeitet. Es war nun schon das dritte Mal seit er in das Kloster gebracht wurde, dass andere Novizen ihn aufmischten.
Weil er anders war sagten sie. Weil er kein Quai war. Weil er es nicht wert war im Kloster ausgebildet zu werden. Inuyo zog bei dem Gedanken die Nase hoch, und seine Augen tränten weiter.
Vielleicht hatten sie ja sogar recht. Mama und Papa wollten ihn ja auch nicht mehr auf dem Hof haben. Sie hatten ihn weit, weit fortbringen lassen. Die anderen Novizen sagten das taten sie, damit er auch ja nicht zurückfinden würde. Was hatte er denn nur angestellt? Er stolperte über eine Wurzel und verstauchte sich dabei den Knöchel. Ein Wimmern kam über seine Lippen, doch humpelte erweiter. Noch zehn Schritt, dann war er in Sicherheit. Doch die Saalbrüder waren dicht hinter ihm. Noch fünf Schritt, drei…. Da traf ihn ein heftiger Schlag auf die Schulter. Er wirbelte herum und blickte in die grinsenden, triumphierenden Gesichter seiner drei Peiniger.
„So. Und jetzt bekommst du eine Abreibung, weil wir hinter dir herlaufen mussten!“ Juan, der größte der drei knackte mit den Fingerknöcheln. Eine widerliche Angewohnheit von ihm.
„Fallt tot um!“ schrie der fünfjährige Inuyo mit rotem, wutverzerrtem Gesicht. Das Gesicht nass vor Tränen, und blau von den Schlägen, die er bereits vor seiner Flucht einstecken musste.
„Der Einzige der umfallen wird, bist du! Wie immer!“ Ley tat einen Schritt auf ihn zu.
Inuyo tat hingegen aus Reflex einen Schritt zurück. Der Fuß trat in ein Gebüsch, doch dieses raschelte kurz, und fiel zusammen mit Inuyo den dahinter verdeckten Abhang hinunter.
„Oh Scheiße! Schnell weg hier!“ Hörte er noch Juan rufen, doch verklangen seine Worte schnell im Rauschen des Windes. Er war ein weiteres Mal entkommen. Und ein Funken von Triumph glühte in seiner Brust, als er ein gutes Dutzend Meter tiefer die Wasseroberfläche durchbrach.
„Inu? INU?“ Er hörte die Stimme. Aber er wollte allein sein. Er saß am Rand des Flusses, auf einem großen Kiesel und warf Bambussplitter in die sich kräuselnde und gluggernde Wasseroberfläche. Es beruhigte ihn irgendwie. Es lenkte ihn von den Schmerzen ab. Den körperlichen, sowie denen in seinem Bauch. Und gerade als es besser wurde, musste die blöde Kuh ihn finden.
„Inu! Da bist du ja! Ha ich habe dich gefunden!“ Mit vor Anstrengung rotem Gesicht und grinsend wie eine Katze die eine Maus erspäht hatte kletterte Shenmi auf den Kiesel. Ehe er etwas erwidern konnte lies sich die Fünfjährige neben ihn plumpsen und schaute auf den Wasserlauf. „Ui wie schön! Schau mal die Libellen dort! Wie das wohl ist, wenn man so fliegen könnte! Was meinst du Inu?“
„Hör auf mich so zu nennen! Haoqi!“ Das letzte Wort stieß er aus wie eine Beleidigung.
„Was stimmt denn nicht mit Inu? Es ist kürzer als Inuyo. Das ist was Gutes, denn es spart Zeit.“
„Es bedeutet in meiner Sprache Hund!“ knurrte er zurück.
„Sind Hunde denn etwas Schlechtes? Hm. Was heißt denn dann Inuyo?“ sie wendete den Blick zu ihm und ihre Augen wurden groß wie ihre Handteller. „Boa! Was ist denn mit dir passiert!“ ohne weiteres Zögern streckte sie bereits die Hand nach seinem Gesicht aus. Er konnte zurückweichen und blickte sie zornig an. „Na was wohl du dumme Gans! Wonach sieht es denn aus hm? Sie waren zu dritt, und ich habe sie nicht rechtzeitig auf mich zukommen sehen!“
Shenmi presste die Lippen zusammen. „Ich bin keine dumme Gans.“ murmelte sie kleinlaut. Mit festerer Stimme fügte sie an: „Aber das geht doch nicht! Warum verhauen sie dich ständig? Bist du gemeinzu ihnen? So wie zu mir?“
„Ich bin doch nicht gemein zu di..“ Er bracht ab und blickte mit zusammengepressten Lippen zurück auf die dahintreibenden Bambussplitter die er ins Wasser geworfen hatte. „Tut mir leid. Ich wollte nicht gemein sein.“
„Schon gut... Inu!“ Shenmi grinste ihn frech an und lies die Beine baumeln. „Also, warum hänseln sie dich?“
„Weil ich anders bin glaub ich. Weil ich kein Quai bin. Und weil ich die Ehre des Klosters beschmutze, wenn ich hier trainiere.“
„Aber das ist doch Quatsch! Wir sind hier alle gleich. Du, ich, und die anderen. Wir sind doch alle Novizen. Unsere Herkunft spielt keine Rolle mehr.“ gab Shenmi altklug von sich, und reckte rechthaberisch das Kinn dabei.
„Dann sag ihnen das doch!“ blaffte Inuyo zurück, genervt von dem Naseweis neben ihm.
„Das mach ich auch! Wirst sehen!“
„Und dann verhauen sie dich genauso!“
„Na und? Ich bin aber im Recht!“
„Das tut aber trotzdem genauso weh!“
„Du bist ein Doofmann!“
„Bin ich nicht!“
„Wohl! Wenn du keiner wärst, hättest du jetzt gesagt: „Das ist lieb von dir Shenmi, ich helfe dir dabei, und zusammen überzeugen wir sie mich in Ruhe zu lassen!““
Inuyo blickte sie mit zugeschwollenen Augen an. Das Argument hatte ihm nun auch noch die Stimme gekostet. Shenmi brach in Gelächter aus. „Boa Inu, weißt du eigentlich wie doof du gerade aussiehst?“
„Das ist gemein.“ Er blickte zurück zum Wasser, es war ihm unangenehm, wenn er so aussah.
„Tut mir leid.“ Shenmi lächelte ehrlich und warft nun ihrerseits Bambussplitter ins Wasser.
„Es ist schön hier. So anders als im Tempel selbst. Bist du ofthier?“
„Ja. Hier habe ich meine Ruhe.“
„Weißt du was? Hier können wir zusammen trainieren bevor wir in den Schlafsaal gerufen werden! Hier stört uns niemand, und schon bald wären wir so gut, dass wir Juan und die anderen zusammen fertigmachen können!“ Shenmi schlug wild mit ihren Fäusten durch die Luft.
„Das wäre toll!“ begeisterte sich Inuyo für die Idee. „Sie würden nicht wissen was wir können, und dann machen wir sie fertig!“
„Genau!“
Sie saßen eine Weile in Gedanken und schwiegen. Jeder mit Bildern im Kopf, wie so ein Kampf ausgehen könnte.
„Du Inu?“ brach Shenmi nicht unerwartet als Erste die Stille.
„Ja?“ gab Inuyo genervt von der Kurzform seines Namens wieder.
„Tut das eigentlich weh?“ Und ehe er verstand worum es bei der Frage überhaupt ging, pikste Shenmi mit ihrem kleinen Zeigefinger auf die riesige blaue Schwellung unter seinem Auge.
Und seine Welt explodierte als hätte ihn Großmeister Xis Donnerfaust getroffen.
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