Die richtige Zeit und der richtige Ort

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    • Die richtige Zeit und der richtige Ort

      Langsam kam die Menge vor ihm zu Ruhe. Das Keckern und Zirpen der Otter wurde leiser, und er spürte, wie sich mehr und mehr Blicke auf ihn richteten. Es wurde kühler, ein Zeichen, dass sich langsam der Abendnebel über die Flondorauen ausbreitete.
      Er wartete. Still dasitzend, die Hände ruhig in den Schoss gebettet, den Kopf leicht gesenkt.
      Die winzigen Otterkinder, die noch immer miteinander tobend um ihn herumwuselten, wurden scharf vonihren Eltern zurückgerufen.
      Als die Stille sich anfühlte wie die angehaltene Luft dutzender Personen, hob er seinen Kopf.
      Er ahnte, dass sich die Anzahl der versammelten Personen seit zwei Tagen mit jedem Abend verdoppelten, denn sehen konnte er sie nicht, und nun durch die einsetzende Stille nicht einmal mehr hören.
      Es war ein eigenartiges Gefühl zu wissen, dass dutzende Augenpaare auf ihm lagen, und doch durch die Stille und die Blindheit in diesem Augenblick völlig für sich allein zu sein.
      „Dann lasst mich euch erzählen,von König Jasey, und den fliegenden Städten von Volard, und wie es einem kleinen eifersüchtigen Skorpion gelang, diese für tausend Jahre unter den Sand zu verbannen....“ begann er zu erzählen.

      Vor einer Woche, breitete sich Unruhe in den Flondorauen aus wie ein Lauffeuer.
      Zwei Fremdländer waren aus dem Nebel getreten, der eine blind und auf einem Bein lahm, die andere offenbar seine mürrische junge Führerin. Es waren Menschen aus dem Osten, jenseits des Kamasylviatals, und sie kamen mit nichts außer den zerfetzen Lumpen die sie am Leib trugen.
      Sie waren hungrig und erschöpft,und so ließen es sich die ansässigen Otter und Papu nicht nehmen, ihnen Nahrung anzubieten, und sie in der kleinen Gemeinschaft willkommen zu heißen.
      Umringt von Aufregung, wurden die Beiden ununterbrochen mit Fragen bedrängt. Doch als Gegenleistung für den warmen Empfang, wurde all die Neugier der Auenbewohner ein ums andere Mal befriedigt.
      Die Bewohner Flondors versorgten und kümmerten sich auch die folgenden Tage um die Fremden.
      Im Gegenzug half die junge Führerin alsbald beim Fischen. Die Otter waren erstaunt, hatten sie doch nicht mit derlei Fertigkeiten gerechnet. Und schon bald wurde ihr der Titel „Otter ehrenhalber“ gegeben. Denn, so scherzten die Älteren, fehlte der jungen Führerin lediglich Schwanz und Fell um ein vollwärtiger Otter zu sein. Größe, Temperament, sowie die Fähigkeit zu fischen zeigten eindeutig Otterwurzeln im Stammbaum.
      Der Blinde hingegen verbrachte den Tag damit, sich mit den jungen und alten Bewohnern zu unterhalten. Er begann sehr zur Verwunderung die verschiedenen dort gebäuchlichen Sprachen zu üben und darüber hinaus den Kindern, sehr zur Freude der Eltern, Geschichten zu erzählen und sie so für eine Weile ruhig zu stellen.
      Doch zeigte sich, dass sich häufig auch Erwachsene dazu gesellten um zu lauschen. Um die Arbeit nicht zum Erliegen zu bringen wurde sich darauf geeinigt, dass es eine bestimmte Zeit, sowie einen bestimmten Ort für diese Geschichten geben musste.
      Man einigte sich auf die frühen Abendstunden, und auf einem windgeschützten Platz, auf der Westseite des Flussufers.
      Die ersten Tage waren lediglig die Kinder und deren Eltern anwesend.
      Doch die Zuhörerschaft wuchs.
      Und gegen Ende der Woche, kamen sogar die ersten neugierigen Bewohner Granas den Weg aus ihrer weissen Stadt herab, um den Gerüchten nachzugehen, die tagsüber auf den Märkten kursierten.

      „.... und der kleine Skorpion trat vor den König und sprach: „Siehe, ich kehre erfolgreich zurück und fordere euer Versprechen ein.“ Und so hielt der König sein Wort. Die fliegenden Städte sanken tiefer und tiefer, bis die Dünen sie in Gänze verschlangen. Und mit ihnen die Sänger. Und die Wüste nahm sich all das Grün und all das Wasser, und wurde heiß und leer.
      Doch sagt man, dass wenn man an windstillen Nächten an den Oasen ganz genau lauscht, man die Lieder der Sänger noch hören kann, denn nichts anderes sind die Oasen, als ihre noch immer an die Oberfläche dringenden Gesänge.
      Auch erzählt man sich, dass die von König Jasey vereinbarten eintausend Jahre schon bald enden werden. Die Städte von Jasey werden sich wieder erheben, und das Lied der Sänger wird über die Dünen hallen, und so wird Gün und Leben über sie kommen wie einst.“
      Er schwieg einen Moment und hob mahnend den Zeigefinger.
      „Doch gebt Acht auf den Skorpion, denn er hatte ebenfalls eintausend Jahre Zeit, sich eine neue List zu überlegen!“
      „Aber was wurde denn aus Hosur? Hat er denn nun die Farbe des Regenbogens gefunden, um seine Traumkarte zu malen?“ Wage eine Papu die Stille zu brechen.
      „Und was ist mit Kalid und Move? Haben sie sich dann doch noch geküsst?“ piepste ein kleines Ottermädchen und verschränkte aufgebracht ihre kleinen Pfoten ineinander.
      „Quatsch! Kalid ist in die Wüste gezogen, um den bösen Skorpion zu finden!“ ereiferte sich ein Otterjunge. „Für so ein Mädchenkram hatte er gar keine Zeit!“
      Iset musste lächeln. Es war das erste ehrliche Lächeln seit einer langen Zeit. Die Aussaat zeigte ihre ersten Früchte.
      Still griff er nach seiner Krücke. Er fand sie nicht sofort, und musste nach ihr tasten. Wäre Nassaria in seiner Nähe gewesen, hätte sie sie ihm sogleich gereicht. Doch hasste sie es an diesen abendlichen Erzählungen im Zentrum der Aufmerksamkeit zu sein. Er wusste es nicht mit Sicherheit, doch ahnte er, dass sie irgendwo außerhalb des allgemeinen Sichtfelds auf einer erhöhten Position saß und das Geschehen mit höchster Konzentration beobachtete.
      Iset stemmte sich langsam hoch, und klemmte sich den Knauf der Stütze unter den Arm.
      „Das sind Geschichten, über die ich ein andermal berichten werde. Für heute soll es genügen.“
      Ein Murren und Raunen war die Folge. Doch die Menge aus Ottern, Papu, sogar einigen Ganellen aus Grana, zwei Halbbestien und einem Fadu löste sich langsam auf.
      Nur um sich am nächsten Tag in noch größerer Zahl abermals zu versammeln und um Geschichten und Märchen aus fernen Ländern und vergangenen Zeiten zu lauschen.
      Iset hinkte auf die Nestkabsel zu, die ihnen zur Verfügung gestellt worden war, als sich nah bei ihm eine gereizte Stimme zu erkennen gab.
      „Wie lange willst du das eigentlich noch machen?“
      „Wieviele waren es denn heute?“
      „Mehr als gestern.“ antwortete Nassaria kurz angebunden.
      Iset kannte bereits diese Tonlage. Die Otterkinder hatten sie offenbar mit ihrem Übermut den ganzen Abend zur Weissglut getrieben. Morgen würden sie ihm wieder erzählen, wie großartig man mit Nassaria toben konnte. Sie fauchte, und blickte so finster, wie ein Fadus, und obendrei, wenn man lange genug mit ihr spielte, warf sie sie sogar ins Wasser! Ein unglaublicher Spass.
      Bedauerlicherweise, machte es den Anschein, als würde diese das in einem etwas anderen Licht sehen.
      „Waren Elfen dabei?“
      „Ja. Zwei.“
      „Das ist gut.“
      „Ist es das? Vielleicht wollen sie nur wissen, ob wir noch mehr Freunde haben, bevor sie uns aufessen. Denn sie halten sich mehr zurück als die anderen Elfen damals. Und sie flüstern mit einander.“
      „Es ist ein Anfang. Ein Guter. Unsere Anwesenheit spricht sich herum. Man wird uns erkennen.
      Die Reputation die wir uns hier nun aufbauen wird uns helfen. Die Bewohner werden schon bald nicht zwei zerlumpte, heruntergekommene, bettelnde und mittellose Herumtreiber sehen, sondern das Ottermädchen ehrenhalber, und den blinden Geschichtenerzähler.“
      „Wenn du mich noch einmal so nennst......“
      Er musste unwillkührlich schmunzeln. „Entschuldige. Wenn dir dieser Titel nicht passt, liegt es an dir, dir einen anderen zu erarbeiten. Ich werde ihn nicht mehr nutzen. Zumindestens nicht in deiner Gegenwart.“
      Sie brummte ungehalten. „Pass auf! Wir sind da. Warum nimmt du eigentlich nicht diese dämliche Augenbinde ab! Auf einem Auge kannst du schliesslich noch sehen!“
      „Reputation.“ er drückte ihr sanft die Schulter. „Reputation, und ein Hauch von innerem Frieden.

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