Besuch in Heidel

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    • Besuch in Heidel

      Zur Abendstunde stieg Teleniel von ihrem Pferd. Sie gab dem Stallwart ein paar Münzen, etwas mehr als er üblicherweise von seiner Kundschaft bekam, und ging die paar Schritte zu Khaleds Anwesen in Heidel. Sie zog sich die Kapuze ihres Umhangs über und ein Halstuch vor das Gesicht, um nicht sofort erkannt zu werden. Ihr Bruder hatte bestimmt mehr als genug Spitzel in der Stadt, doch sie wollte ihn überraschen, damit er sich nicht auf ihren Besuch vorbereiten konnte. Und die Genugtuung, die Überraschung in seinen Augen zu sehen, wollte sie sich keinesfalls entgehen lassen. Es waren Jahre vergangen, seitdem sie ihn das letzte Mal gesehen hatte. Und sie hatte sich mit einer Morddrohung von ihm verabschiedet: wenn er sich noch einmal an einem Kind vergeht, würde sie ihn töten. Entweder hatte er sich beherrscht oder wurde vorsichtiger, denn bisher kam Teleniel nichts dergleichen zu Ohren.

      Die Mauer zu dem Anwesen war hoch, aber nicht unüberwindbar, schon gar nicht für sie. Ihr geübter Blick hatte auch zwei in Alltagskleidern getarnte Wachen ausgemacht. Doch sie waren dazu abgestellt, Attentäter, Söldner und andere Tunichtgute abzuwehren. Gegen eine voll ausgebildete Walküre waren sie nutzlos. Teleniel murmelte ein paar Worte, einen Verschleierungssegen. Er würde sie nicht unsichtbar machen, doch er reichte aus, dass gewöhnliche Tölpel ihre Anwesenheit nicht bemerkten. Mit einem Satz sprang sie die Mauer hoch, griff mit den Händen nach der Oberkante und zog sich hinauf. Fließend schwang sie über die Mauer und ließ sie sich auf der anderen Seite wieder herab und landete fast auf einem Wachhund.


      Der Dobermann bellte einmal auf und wollte sie angreifen, doch ein schneller und kräftiger Schlag setzte ihn außer Gefecht noch bevor der Wachmann, der den Hund führte, sich von seiner ersten Überraschung erholt hatte. Teleniel tänzelte um den Mann herum, der nach seinem Schwert griff. Er schlug nach ihr, doch sie konnte ausweichen und mit einem gezielten Angriff die Waffe aus seiner Hand treten. Ein weiterer Schlag und der Mann ging ebenfalls bewusstlos zu Boden. Teleniel atmete durch und sah sich um. Der Garten war gepflegt und die bunten Blätter, die bereits von den Bäumen fielen, zu einem Haufen zusammengerechnet. Der gekieste Weg durch den Garten war eben und sauber. Alles wirkte ordentlich und friedlich.
      Eigentlich wollte sie niemanden verletzen, doch es war geschehen. Die Walküre kontrollierte rasch die Lebenszeichen von Mann und Hund und schleppte sie zu einem Baum, sodass sie nicht auf den ersten Blick zu entdecken waren. Ein weiteres kurzes Gebet sorgte dafür, dass sie ein oder zwei Stunden gut schlafen würden. Und gegen die Kopfschmerzen, die der Wachmann anschließend haben würde, gab es Medizin.

      Teleniel widmete sich wieder ihrem Ziel. Die Vorhänge im Erdgeschoss waren zugezogen und hinter zwei Fenstern erhellten Kerzen den Raum. Sie schlich zum Haus. Die Tür, die in den Garten führte, war abgeschlossen, aber damit hatte sie gerechnet. Aus dem Beutel, den sie mit sich führte, holte sie ihr Werkzeug hervor. Es dauerte ein paar Minuten, bis sie das Innenleben des Schlosses soweit ertastet hatte, um es öffnen zu können, doch sie vernahm Schritte im Inneren, die sich der Tür näherten. Reagierte jemand auf das Hundegebell? Schnell ließ sie von dem Schloss ab und drückte sich flach an die Außenmauer.

      Die Tür ging auf und zwei Angestellte traten ins Freie. Sie tuschelten und lachten leise, doch als die Frau in der Kochkleidung Teleniel erblickte, wollte sie zum Schreien ansetzen. Vor lauter Schreck öffnete sie zwar den Mund, doch außer einem leisen Japsen kam kein Ton heraus. Teleniel überlegte einen Augenblick. Es wäre leicht gewesen, beide bewusstlos zu schlagen, doch die Köchin und ihre Begleitung hatten nichts getan, was eine solche Behandlung verdiente. Also deutet Teleniel, dass sie leise sein sollten. Sie zog das Halstuch herab und schob die Kapuze zurück, sodass ihre roten Haare zu sehen waren.
      „Ich bin Teleniel Ceos, Khaleds Schwester und eine Walküre“, gab sie sich leise zu erkennen und zog aus ihrem Beutel ein Zeichen Elions hervor, das ihre Worte bewies und die beiden nickten, noch immer zu erschrocken, um ein Wort von sich zu geben. Teleniel deutete auf die offene Türe. „Ich gehe jetzt hinein und ihr habt mich nie gesehen!“
      „Seid Ihr wegen Herrn Khaled Ceos hier? W-w-wollt Ihr… ihm etwas antun?“
      „Ja, ich bin wegen ihm hier und heute nicht“, entgegnete Teleniel. „Habe ich euer beider Wort?“
      Die zwei Frauen sahen sich an und nickten. Daraufhin verschwand Teleniel in das Innere des Hauses. Sie war zwar schon eine Weile nicht mehr hier gewesen, doch die Raumaufteilung hatte sich nicht verändert. Rasch hatte sie Khaleds Arbeitszimmer gefunden. Sie lauschte kurz an der Tür, doch es herrschte Stille. Sie trat ein.

      Im Zimmer war es dunkel. Khaleds Ordnungssinn spiegelte sich im ganzen Raum und seinem Arbeitsplatz wider. Kein Buch, kein Brief und kein Papier lagen herum. Die hölzerne Tischplatte glänzte und selbst der Boden war sauberer als so manch ein Esstisch. Teleniel schloss die Tür hinter sich, hing ihren Umhang mit der Kapuze und das Halstuch auf den Kleiderständer an der Wand. Sie setze sich in Khaleds gemütlichen Stuhl und lehnte sich zurück, während sie auf das Erscheinen ihres Bruders wartete.
      "Japan ist ein wenig so wie Österreich: da hast du erstens das Meer..." 8o