Hissas Befreiung

    • Hissas Befreiung

      Khalisad Al-sham'ah sah sich selbst als großzügigen Mann an. Aber er war auch ein Geschäftsmann. Sein Blick fiel auf das junge Mädchen, das zuletzt in seinen Besitz gelangte. Hissa hatte bei ihm Silber geborgt und er hatte es ihr gegeben – er war großzügig. Das Mädchen hatte versprochen, es bei seiner nächsten Ankunft im Sandkornbasar zurückzuzahlen. Khalisad war nicht dumm, er wusste, dass das Mädchen keine Chance hatte, bis dahin alles aufzutreiben, doch es war nicht verloren, denn sie würde damit Wasser und Nahrung kaufen. Und wer ihr das verkaufte, brauchte andere Sachen, die er mit dem Silber bezahlte. Und irgendwann würde sich der Kreis schließen und das Silber wieder zu ihm zurückkehren. Obendrein war es immer gut, wenn die kleinen Ratten vom Sandkornbasar in seiner Schuld standen, denn sie würden bereitwillig Aufgaben für ihn erledigen und ihm alle Gerüchte erzählen, die er während seiner Reisen durch die Wüste verpasst hatte. Doch hin und wieder war es auch notwendig ein Exempel zu statuieren, sonst glaubten die Kinder noch, er würde das Silber verschenken oder sie konnten ihn betrügen. Er war eben auch Geschäftsmann.

      Vor etwa drei Monaten war es an der Zeit, das zu tun. Hissa teilte ihm mit, dass sie ihre Schuld nicht begleichen konnte. Er plante dem Mädchen den Hals aufzuschlitzen und es am Eingang zur Siedlung, die wie ein Vogelnest an den Felsen klebte, liegenzulassen. Alle die es betraf, würden die Warnung verstehen. Doch es kam überraschend anders. Sie bot sich freiwillig an, dauerhaft für ihn zu arbeiten. Niemand sprach das Wort Sklaverei aus, doch jeder wusste, dass es genau darum ging. Zuerst wollte er ablehnen, doch dann stimmte er zu. So ein kleines Ding brauchte nicht viel Wasser und Nahrung und in wenigen Jahren konnte er sie sicherlich zu einem deutlich besseren Preis verkaufen. Oder sie würde zur Unterhaltung seiner Gefolgsleute dienen. Wahrscheinlich zuerst das eine, dann das andere.

      Weitere drei Monate waren vergangen. Khalisads Karawane war in dieser Zeit nach Valencia und wieder zurück zum Sandkornbasar gezogen. Hissa schleppte sich neben seinen Leuten her. So eine Wüstendurchquerung war eigentlich zu viel für so ein junges Ding, doch der Überlebenswille verschaffte beinahe übernatürliche Kräfte. Die Sonne verkroch sich gerade hinter den Dünen, die im Osten lagen und der Basar Manuhara, das mystische Artefakt über dem Sandkornbasar, leuchtete bereits den Weg. In einer halben Stunde würde die kurze Abenddämmerung der Dunkelheit weichen und in drei Stunden würden sie ankommen.

      „Kleine Ratte“, sprach er das Mädchen auf Valencianisch an. „Wenn wir da sind, organisierst du mir ein ordentliches Bad.“

      Die Rotwüste lag wie ein silbernes Meer vor Ali. Sie blickt vom höchsten Punkt des Sandkornbasars nach Osten. Vor drei Nächten war Vollmond, doch auch jetzt war er noch hell genug, um die Schatten zu zeigen, die sich durch die Wüste bewegten. Khalisad Al-sham'ahs Karawane. Alis Beine schmerzten, denn sie stand schon den ganzen Tag an diesem Ort, doch sie war zu unruhig, um sich hinsetzen zu können. Mit zittrigen Fingern löste sie ihren Trinkschlauch vom Gürtel und wollte einen Schluck Wasser zu sich nehmen, doch er war bereits leer. Sie hatte schon befürchtet, die Karawane würde nicht mehr pünktlich eintreffen, doch es waren noch zwei Stunden bis Mitternacht. Gleich erreichten sie das Ende der Wüste, gleich würde die Falle zuschnappen. Gleich würde sie wissen, ob all die Opfer, die sie erbringen musste, es wert waren oder ob Hissa nicht mehr bei der Karawane war.

      Hunderte Male hatte sie das Mädchen heute schon verflucht. Warum nur musste sie ihr solche Schwierigkeiten bereiten? Warum nur musste Ali Hissa überhaupt so gerne haben? Niemand wusste, wer ihre Eltern waren, aber für Ali war sie eine Schwester. Eine, die sie heute zum letzten Mal sehen würde. Eine, die sie mit fast Fremden Leuten wegschicken würde, in der Hoffnung dem Mädchen ein besseres Leben zu ermöglichen.

      Die Karawane erreichte den Beginn der Capotia-Schlucht. Noch immer waren sie kleine Schatten aus Alis erhöhtem Posten. Kurz darauf kamen vier weitere Schatten aus Verstecken auf die Karawane zu und vermischten sich mit dieser. Sie hielt den Atem an. Zuerst passierte nichts, doch dann blieb die Karawane stehen. Von unten schallten wütende Stimmen herauf, doch sie waren zu weit weg, als dass Ali den Inhalt der Worte verstehen konnte. Fackeln wurden angezündet und strömten in alle Himmelsrichtungen aus. Es dauerte nicht lange und die Aufregung, die in der Karawane herrschte, übertrug sich auf den Sandkornbasar. Ali hüpfte von einem Bein auf das andere, sie zitterte und sie musste sich zwingen, weiter zu atmen. Nichts war schlimmer als tatenlos zu warten.

      „Shhht“, kam es von hinter ihr. Sie fuhr erschrocken herum. Ein kräftiger Mann in ihrem Alter und einer weiten Robe gekleidet stand hinter ihr. In seinem Gesicht waren ein paar Blutspritzer zu sehen. Er schubste etwas von sich und aus der Deckung seiner Robe lief Hissa auf Ali zu. Sie fiel auf die Knie, öffnete die Arme für das Mädchen. Ohne dass sie es bemerkte verschwand der junge Mann in die Dunkelheit.
      "Japan ist ein wenig so wie Österreich: da hast du erstens das Meer..." 8o
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