Der versiegelte Brief
Marktstraße [1. Stock, 6-1] zu voran geschrittener Abendstunde
Rawhiti schließt hinter sich die schwere, beschlagene Holztüre des gemieteten Zimmers im Marktviertel, welches sie und Maze seit geraumer Zeit bezogen hatten. Die rothaarige Leibwächterin ist nicht im Raum anwesend. Vermutlich nutzt sie die freie Zeit, die Raw ihr nach dem Auftrag mit Darek zusprach. Wie passend dieser Umstand doch gerade ist.
Mit genüsslich langsam kreisenden Schultern und leichten dehnenden Bewegungen der Halsmuskulatur geht die große Frau mit dumpf klingenden Stiefelabsätzen zu ihrem Bett und lässt sich rücklings auf die großzügige Matratze fallen. Ein zufriedenes Seufzen dringt zwischen ihren Lippen hervor.
Langsam öffnet sie die Augen. Bis auf das fahle Mondlicht, welches durch die Fenster seine absonderlichen Schatten an die Wände wirft, ist es dunkel im Raum. Ruhig hebt die Frau ihre rechte Hand und macht in der Luft eine fließende, abfallende Bewegung.
Ein Knistern und der Raum wird von einem warmen, flackernden Licht erhellt. Raws Augen wandern über die nun tanzenden Schatten, die an die Wände und Decke geworfen werden. Allmählich besinnt sie sich wieder auf den versiegelten Briefumschlag, den ihr neustes Projekt, der Attentäter Istaqa, aus Dareks Kleidung hervorbrachte. Etwas schwungvoller richtet sie sich auf und macht es sich mit überschlagenen Beinen sitzend auf dem Bett bequem. Aus ihrem schwarzen Mantel zieht sie den Brief hervor. Mit spitzen Fingern dreht sie den Umschlag hin und her und streicht einige Male über das Wachssiegel, dessen Ursprungs sie sich noch nicht sicher ist. Minuten verstreichen, ehe Raw den Brief mit einer spitzen Kralle öffnet und seinen Inhalt zu Tage fördert. Ruhig gleiten ihre grünen Augen über die Zeilen.
Während sie den mehrseitigen Brief liest, zeichnet sich Zeile für Zeile ein dunkles Lächeln auf ihren Mundwinkeln ab.
Das Schriftstück enthält viele Informationen und Berichte, die ihr noch äußerst dienlich sein werden.
„Wie interessant….“, huscht es leise über ihre Lippen,“ scheinbar ist er oder sie schon länger aktiv in den Reihen der Organisation.“
Raws Kopf fällt in eine leichte, nachdenkliche Schräge. Sie faltet die Blätter zusammen und steckt diese zurück in den Umschlag. Ihre Stirn legt sich in Falten und sie hebt nachdenklich den Kopf gen Kerzenschein. Mit einer Hand greift sie nach ihrem schwarzen Bilanzbuch, welches auf dem Beistelltisch steht und lässt den Brief zwischen den Aufstellungen diverser Zahlen ihres inoffiziellen Geschäftes verschwinden.
Mit Istaqa an ihrer Seite und dem Wissen aus dem mysteriösen Brief benötigt sie nun mehr finanzielle Mittel, um ihre Ziele weiterverfolgen zu können. Rawhiti verdient durch die calpheonische Bergbaufirma und ihr Nebengeschäft bei der Zunft nicht schlecht, doch für ihr weiteres Vorhaben wird sie mehr Silber anhäufen müssen. Ihr Blick ruht lange auf dem schwarzen Buch.
In dem Brief wird ein Freudenhaus in Epheriaport erwähnt. Vielleicht sollte sie sich dort umsehen und mit der hiesigen Geschäftsleitung eine Übereinkunft, welche für beide Seiten dienlich ist, treffen.
So manchereins empfand sein Leben für wichtiger, als es für eine handvoll Huren und Silber zu opfern.
Mit diesem Plan stellt sie das Buch zurück auf den Nachttisch. Sie kann sich darauf verlassen, dass niemand einen neugierigen Blick hineinwerfen würde, da es nur langweilige Zahlen beinhaltet.
Draußen ertönen Schritte auf der Treppe. Raws Kopf dreht sich zur Tür, als schon die Klinke herunter gedrückt wird und Maze den Raum betritt.
„Oh, ihr seit noch wach?“
„Ja, aber ich wollte gerade zu Bett gehen. Gute Nacht, Maze.“
„Gute Nacht.“
Die Rothaarige sieht sie für einen Augenblick noch an und wendet sich dann schließlich ihrer Zimmerhälfte zu. Sie ist es gewohnt, dass Raw nie viele Worte verliert.
Nach einer kurzen Zeit hört man im Raum das Knarren von Holz, als sich Maze zu Bett legt.
„Könntet ihr bitte die Kerzen löschen?“, erklingt es aus ihrer Ecke. Eine erneute fließende Handbewegung lässt alle Kerzen im Raum erlöschen und hüllt das Zimmer wieder in Dunkelheit.
„Danke, Rawhiti. Gute Nacht.“
„Gute Nacht“, wiederholt die Hexe.
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