Frohe Kunde
Heidel, am frühen Abend
Das Anwesen von Khaled Phineas aus dem Hause Ceos
In der Arbeitsstube
Tick. Tock. Tick. Tock.
Das Pendel der alten Standuhr schwingt gleichmäßig hin und zurück. Akkurat. Unermüdlich. Perfekt im Rhythmus der Zeit.
Es ist früh am Abend. Draußen ist es noch hell. Ich sitze an meinem Schreibtisch aus massivem, dunklem Mahagoniholz und setze mit großer Sorgfalt einen Kaufvertrag auf. Der Federkiel kratzt über das raue Pergament und kerbt meine Worte mit schwarzer Tinte tief in das Papier. Es ist kein besonders kompliziertes Werk. Etwas Simples, das ich gefühlt hunderte Male niedergeschrieben habe. Aber selbst etwas Simples bedarf der absoluten Gründlichkeit, wenn es Gewinn erwirtschaften soll. Und das wird es zweifelsohne tun. Ein lukratives Geschäft, das mir und dem Hause Ceos eine nicht unerhebliche Flut an Silberlingen in die Schatzkammer spülen wird.
Es klopft.
Erst zweimal. Dann ein weiteres Mal. Schließlich ein viertes und letztes Mal.
Ich blicke nicht auf. Führe die mit schwarzer Flüssigkeit gefüllte Feder weiter geübt über das Papier, bis der aktuelle Satz niedergeschrieben ist.
"Herein", fordere ich laut. Bestimmend. Ohne aufzusehen.
"Mein Herr."
Es ist Nasir, mein kluger, aber hässlicher Kammerdiener.
"Warum störst du mich? Sagte ich nicht, dass ich heute keine Störungen mehr dulde?"
Ich höre, wie er nervös die Luft einsaugt und nicht mehr atmet. Ich kann seine Angst bis hierhin riechen.
"Sprich, du Nichtsnutz. Jetzt, wo du schon einmal hier bist", seufze ich genervt und wedele mit dem Federkiel umher, ohne ihn anzusehen. Er atmet wieder aus, aber ich höre keine Erleichterung. Kein Abfallen der Anspannung. Irgendetwas ist faul. Nasir räuspert sich und klackert dann mit harten Schuhsohlen über den prunkvoll gefliesten Boden in meine Richtung.
"M-Mein Herr", stottert er ein zweites Mal, "eine Botschaft aus Calpheon. Ein Rabe brachte sie."
Ich blicke auf. "Calpheon." Starre das fahrige, magere Stöckchen, das augenblicklich stehen bleibt und wie angewurzelt dasteht, mit misstrauischem Blicke an. Er sieht hektisch auf meine Lippen und bemerkt, wie meine Mundwinkel missmutig zucken.
"J-Ja, mein Herr. Seht."
Er zögert zuerst, wagt aber schließlich die übrigen drei Schritte zu meinem Schreibtisch und hält mir ein makellos gefaltetes Stück Pergament hin, das süßlich und fruchtig riecht. Ich will mich sofort übergeben. Rümpfe angeekelt die Nase.
"Nasir", sage ich und hebe argwöhnisch eine Augenbraue, "warum zittert deine Hand?"
Er blinzelt irritiert, starrt dann auf die Hand, die das Stück Papier festhält und ich sehe, wie sein Adamsapfel sich beim Schlucken bewegt. Ohne seine Antwort abzuwarten, reiße ich ihm die Botschaft aus den knochigen Fingern und werfe einen sorgfältigen Blick auf meinen Namen, der auf der äußeren Seite niedergeschrieben ist.
Ich erkenne die Handschrift sofort wieder. Es ist Tsatsukas.
Schlagartig sacken mir die Mundwinkel herab. Tsatsuka. Diese räudige Beulenpest aus woher auch immer ihre widerliche Sippe gekrochen ist. Was kann so wichtig sein, dass ausgerechnet dieses teuflische Weib mir schreibt?
Ohne ein Wort zu sagen, lehne ich mich in meinem großen, bequem gepolsterten Stuhl aus edlem Rosenholz zurück und presse die Fingerkuppen säuberlich aufeinander. Lege einen gestiefelten Fuß auf dem Knie des anderen Beines nieder und rolle meinen Knöchel, bis es knackt. Das exquisite, glatte Leder des Stiefels ist frisch poliert und glänzt. Es spiegelt das gelegentliche Flackern des prunkvollen Kronleuchters wieder, der über mir an der hohen Zimmerdecke aus aufwändig verziertem Stuck hängt. Ich pflege meine Schuhe stets. Ich schätze Sauberkeit.
Aus den Augenwinkeln heraus beobachte ich, wie Nasir die schlaksigen, blassen Finger ineinander knotet und nervös auf seiner Unterlippe herumkaut. Ein flüchtiger, missbilligender Blick auf sein bleiches, mit Sommersprossen besprenkeltes Gesicht offenbart mir, dass er vor lauter Panik in Schweiß gebadet ist. Was für ein armseliger, feiger Wurm. Dicke, salzige Tropfen perlen ihm die Schläfen hinab und der Ansatz seines feuerroten Haares ist feucht und klebrig.
Er widert mich an.
So schmutzig. So unhygienisch. Wie das kränkliche Gesindel in Heidels dreckigsten Gossen. Sein übler Geruch frisst sich mir in die Nase wie scharfer Alkohol und ich will mich wieder übergeben.
"Nasir, du stinkst wie ein Schwein. Geh dir das Gesicht abwaschen. Na los."
Er reißt die ohnehin glubschigen Augen weit auf und nickt hektisch.
"J-Jawohl, mein Herr. Verzeiht, mein Herr."
Stolpert mit seinen stockdürren Beinen rückwärts über die eigenen Füße wie der letzte Bauerntölpel und hastet zum Fenster, wo eine weiße Porzellanschüssel mit frischem Wasser und einem akkurat gefaltetem Tuch auf einem hölzernen Hocker wartet. Zittrige Finger greifen das Tuch, tauchen es in das kalte Nass und wischen den ekelhaften Schweiß aus seinem Gesicht, bis es wieder sauber und rein ist. Elion sei Dank. Das hier ist doch kein Stall.
Ich schenke ihm danach keine Beachtung mehr. Elendige Kreatur.
Zurück zum Pergament.
Kratzig, trocken und hart liegt es zwischen meinen Fingerkuppen und fühlt sich an wie ein gefalteter Fluch. Wie eigentlich alles, das jemals zwischen Tsatsukas teuflischen Klauen festsaß wie ein hilfloses, in klebrige Spinnfäden gewickeltes Insekt. Dieses heimtückische Biest führt doch irgendetwas im Schilde. Ich kann es förmlich riechen. Eine Nachricht von ihr ist keineswegs eine bloße Nachricht. Die falsche Gräfin lässt sich nicht zu etwas Banalem wie 'Liebster Schwager, was macht die Gesundheit?' hinreißen. Elion bewahre! Nein, vielmehr darf man derartige Worte frei übersetzen mit 'Verabscheuungswürdiges Ekelpaket, mit dem ich bedauerlicherweise verwandt bin, ich wünsche dir die Valencianische Pest an den Hals und hoffe, dass du an deinem Wein erstickst'.
Schreibt sie mir etwa wegen Leyla und Erijon?
Allein der Gedanke, dass diese dämonische Ausgeburt der Hölle, die Mutter aufs Vortrefflichste nacheifert, auch nur das Geringste mit meinem Fleisch und Blut zu tun haben könnte, lässt mir die Galle aufsteigen. Vielleicht sollte ich Vater einen Brief schreiben und Tsatsuka den Umgang mit meinen Kindern verbieten. Ehe die beiden ihr auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sind wie ich Mutter.
Nun gut. Ich werde den Grund für ihre zugegebenermaßen unerwartete Botschaft niemals herausfinden, wenn ich die Nachricht nicht lese. Also falte ich das Stück Pergament auf, räuspere mich und lese mit abfälligem Grinsen auf den Lippen laut vor.
"Seid gegrüßt, wertester Schwager."
Der Sarkasmus bei dem Wort 'wertester' trieft wie klebriger, süßer Honig aus meinem Munde.
"Hörst du das, Nasir? Dieses gottverdammte Miststück."
Ich mache eine abfällige Geste und beuge mich zum Tisch vor, um das Glas Wein zu nehmen, das noch unberührt auf der Tischplatte neben einigen geschäftlichen Briefen und Unterlagen steht. Der edle Tropfen flutet meine Mundhöhle mit seinem köstlichen Geschmack und fließt mir die trockene Kehle hinab wie Samt.
"Mit diesem Schreiben lasse ich die frohe Kunde überbringen, dass die Erbfolge des Hauses Ceos... gesichert ist. Seine Erlaucht hat bekannt gegeben, dass... Mendred Forchhold nicht nur ein treu ergebener Diener ist, sondern ein Bastardsohn-"
Die Worte bleiben mir im Halse stecken.
Was habe ich da gerade gelesen? Mendred Forchhold. Dieser stiefelleckende Köter, der Tsatsuka am Rockzipfel hängt wie ein misshandelter, treudoofer Welpe. Ein Bastardsohn? Meines Vaters? Hat diese Hure jetzt komplett den Verstand verloren?
Ich starre auf das Papier. Mein rechter Nasenflügel zuckt. Das darf doch nicht wahr sein. Ein Bastard. Ein dreckiges Halbblut. Und Vater will ihn auch noch legitimieren? Ist dieser alte Greis jetzt komplett des Wahnsinns? Hat Mutter ihm wieder ihr giftiges Hexenwerk ins Ohr geflüstert? Wie kann er das bloß zulassen? War es ihm denn keine Lehre, dass sie mich so schikaniert hat?
Meine Augen fliegen über die restlichen höhnischen Worte, die diese dreckige Hure zu schreiben wagte. Heiraten? Die beiden? Dass ich nicht lache. Damit sie Bälger mit noch unreinerem Blut in die Welt setzen und das Haus Ceos damit besudeln? Beenden? Wertloses Gesindel. So etwas soll Erijon das Geburtsrecht streitig machen? Ich glaube kaum. Nicht mit mir. Nicht, solange ich noch atme.
Ich stehe ruhig auf. Starre auf die blutige Ohrfeige in Papierform, die Tsatsuka mit zuckersüßem Lächeln in mein Gesicht geschlagen hat. Schließe die Augen und konzentriere mich auf den dumpfen, pulsierenden Schmerz, der sich wie ein Echo gegen die knochige Schale meiner Schädeldecke katapultiert. Immer und immer und immer wieder. Ein ohrenbetäubendes Crescendo in meinem Hirn. Ah, meine Migräne. Ich muss dich wieder herausprügeln. Ich grinse und blecke meine weißen Zähne.
"Nasir."
Stille.
Schließlich ein leises, zögerliches "Ja, mein Herr?"
"Komm her."
Und wieder. Stille.
Dann höre ich das vertraute Klackern seiner harten Schuhsohlen, die sich mir nähern. Er geht sehr langsam.
"Ach, bevor du nachher nicht mehr aufnahmefähig bist. Sieh zu, dass morgen früh eine Kutsche bereit steht. Wir reisen nach Calpheon."
Noot noot!
Dieser Beitrag wurde bereits 3 mal editiert, zuletzt von Aquarius ()